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Bürgerversicherung im GesprächNeuer Anlauf gegen Pflegenotstand

Die Grünen haben ihr Modell einer Bürgerversicherung für alle neu durchrechnen lassen. Das soll einen Systemkollaps abwenden. Die Idee droht an rechtlichen Fragen zu scheitern.

Das ursprüngliche Modell der Pflegeversicherung bröckelt längst angesichts der vielen Pflegebedürftigen. Bild: dapd

BERLIN taz | Die deutsche Pflegeversicherung muss dringend reformiert werden: Darüber sind sich fast alle einig. Auf Details konnte sich die Regierungskoalition bisher aber nicht einigen, weshalb die große Pflegereform für 2011 vorerst vom Tisch ist.

Am Mittwoch rückte die Bundestagsfraktion der Grünen dafür ihr Modell einer Pflege-Bürgerversicherung wieder in den Vordergrund. Eine Bürgerversicherung, die ausnahmslos alle Versicherten einbezieht, würde viel niedrigere Beitragssätze als das bisherige System ermöglichen, hat der Bremer Pflegeökonom Heinz Rothgang aktuell errechnet.

Wegen des prognostizierten Anstiegs der Pflegefälle von heute 2,2 Millionen auf 4,5 Millionen Menschen im Jahr 2050 geht er davon aus, dass die Kosten in jedem Fall stark steigen werden. Die Grünen wollen alle derzeit 9,5 Millionen Privatversicherten in eine solidarisch finanzierte Pflegeversicherung übernehmen.

Außerdem sollen nicht nur Gehälter, sondern auch Kapital- und Zinseinkommen in die Beitragspflicht einfließen - und zwar bis zu einer Höhe von 5.500 Euro statt wie bisher 3.712 Euro. Damit grenzen sich die Grünen nicht nur von den Plänen der schwarz-gelben Koalition ab, sondern auch von der SPD, deren Vorstand seit September Kapital- und Zinseinkommen wieder von der Beitragspflicht ausnehmen will.

Das Modell der Grünen funktioniert nur, wenn alle bisherigen privaten Rücklagen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro übernommen werden. Weil das juristisch schwierig ist, hat die SPD ähnliche Ideen für die Krankenversicherung bereits verworfen. "Es gibt da noch einige rechtliche Fragen", gibt Grünen-Vize Fritz Kuhn zu.

Die Grünen halten ihre Idee jedoch für legitim angesichts eines drohenden Systemkollapses: Während die Zahl der gesetzlich versicherten Pflegebedürftigen um 53 Prozent ansteigen wird, sagt das Statistische Bundesamt im privaten Bereich einen Anstieg von 281 Prozent bis 2050 voraus.

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5 Kommentare

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  • M
    Mauermer

    @aurora: Pensionen werden nicht aus der Rentenkasse bezahlt!!!

    Krankenkassen funktionieren nach dem Solidaritätsprinzip, genauso wie die Kfz-Versicherung. Es erschließt sich mir nicht, wie es besser werden soll, wenn mehr Beitragszahler vorhanden sind. Damit sind auch mehr Anspruchsberechtigte vorhanden. Besser wäre es, wie bei der PKV, jeden Versicherten seinen eigenen Beitrag zahlen zu lassen. Dann und nur dann wäre genug Geld in der Kasse.

  • M
    Mauermer

    Aha, daher weht der Wind:

    ...Das Modell der Grünen funktioniert nur, wenn alle bisherigen privaten Rücklagen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro übernommen werden...

     

    Liebe leute, das ist Enteignung. Ich habe dises Geld angespart und zwar für meine Pflege im Alter. Ich kann nicht erkennen, aus welchen Gründen ich dies sozialisieren sollte. Mit mir nicht!

    Da die Grünen aber sowieso schon ihre neuesten Steuerpläne veröffentlicht haben und die schon wieder in Richtung Neid und Mißgunst gegenüber den "Wohlhabenden" laufen, ist dieser Verein für mich nicht mehr wählbar. Für andere auch, die wählen lieber die Piraten statt dieser stockkonservativen Verhinderungspartei. Ach so, noch eine Anmerkung, ich bin das Kind armer Leute und habe auf dem zweiten Bildungsweg erst die Fachhochschulreife gemacht und dann studiert. Mir ist also nichts geschenkt worden. Schon daher habe ich eine starke Aversion gegen die dauernde Umverteilung von der Mitte nach unten!

  • A
    Apfelsaft

    Es gab in "meinem" Krankenhaus einmal eine tolle Karikatur. Diese zeigte eine Krankenversicherung, bestehend aus zwei Gebäuden, das eine war 5-mal so hoch wie das andere und trug die Aufschrift "Management". Das kleine Gebäude trug eine die Versicherten betreffende Aufschrift.

    Seit der Aufnahme der BKKen in das allgemeine Versicherungssystem füttern die Versicherten zig unnötige Vorstände und Manager mit durch. Wofür in aller Welt braucht es in Deutschland 154 Krankenkassen (lt. Wikipedia)?

    Würde man an dieser Stelle sparen und noch mehr Kassen einstampfen, wäre das Problem der Unterversorgung mit Pflegekräften m. E. wesentlich kleiner. Wir hätten dann zwar mit einmal eine Menge Arbeitslose mehr. Ich finde allerdings, daß man gut nachrechnen muß, welche Lösung am tragbarsten ist.

  • A
    aurorua

    Nicht nur die Pflege, auch die Krankenversicherung und insbesondere die Rentenversicherung muß aus Gründen der Gerechtigkeit und ohnehin aus Kostengründen in eine Bürgerversicherung überführt werden.

    Schluß mit exorbitant hohen Pensionen für NICHTEINZAHLER und immer mehr Armutsrenten für Beitragszahler!!!

    Parteien die sich dazu nicht bekennen, sind nicht wählbar!

  • H
    Hasso

    Typisch SPD: Juristisch schwierig! Die Bedürftigen aufs Kreuz zu legen, ist bekanntlich seit Schröder juristisch kein Problem mehr. Deutschland mit einer Hand in der Hosentasche zu regieren, war ja wohl nichts.Schröders Buch müsste nicht heißen: 'Entscheidungen',sondern Fehlentscheidungen.Mit seinem Sozialabbau ,Lohndumping,Senkung des Spitzensteuersatzes und Deregulierung der Banken hat er doch wohl ganz Europa in die Bredouille gebracht. Die SPD sollte sich was schämen. Reagan, Thatcher und Schröder, die Handlanger der Nimmersatten haben uns hier was eingebrockt, was nicht mehr rückgängig zu machen ist, bis zu dem Zeitpunkt, wo "alles in Scherben fällt".