Bürgerrechtlerin Gannuschkina über Repressionen: "Immer mehr Menschen sind verärgert"

Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina beklagt die harte Hand der Moskauer Miliz gegenüber Menschenrechtsaktivisten und die Duldung russischer Faschisten.

Am 19. Januar demonstrierten in Moskau in Gedenken an die ermordete Journalistin Anastasia Baburova mehr als 500 Menschen. Bild: ap

taz: Frau Gannuschkina, am Sonntag haben zahlreiche Moskauer für das Recht auf Meinungsfreiheit demonstriert. Sie waren dabei?

Swetlana Gannuschkina: Ja, ich war auch mit dabei. Und wenn sie erlaubt gewesen wäre - und vor allem: wenn Ljudmila Alexejewa, die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe, nicht bei der letzten Demonstration sogar verhaftet worden wäre -, wäre ich wohl auch nicht hingegangen.

Warum reagieren die Behörden so nervös auf derartige Demonstrationen?

Die Machthaber wollten mit ihrem Vorgehen zeigen, dass sie die Herren im Haus sind. Gleichzeitig hat man Angst vor uns, mehr Angst, als eigentlich angebracht wäre. Durch ihr Verhalten gegenüber der Demonstration entfremdet sich die Macht zunehmend von der Gesellschaft. Wurden die ersten derartigen Demonstrationen noch mit Missfallen quittiert und mussten wir uns bei früheren Anlässen noch häufig anhören, es habe doch keinen Sinn, trotz Verbots an einer Demonstration teilzunehmen, so wird inzwischen das Vorgehen der staatlichen Organe immer kritischer kommentiert. Immer mehr Menschen sind darüber verärgert, dass man sogar eine Demonstration verbietet, deren erklärtes Ziel es ist, die Verfassung zu verteidigen.

Welche Perspektiven geben Sie der Bewegung?

Schwer zu sagen. Diese neue Bewegung hat Menschen vereint, die nur eines gemeinsam wollen: nämlich eine Garantie, dass die Verfassung geachtet wird. Die Frage ist, wie es weitergehen wird und ob die Machthaber die Kraft haben, dieses Zeichen aus der Bevölkerung zu akzeptieren.

Welche Rolle spielt Medwedjew in diesem Konflikt?

Er spielt gar keine Rolle.

Warum, er ist der Staatschef?

Weil Fragen wie die Genehmigung von Demonstrationen von den Machthabern der Stadt Moskau entschieden werden. Es sind Moskaus Machthaber, die nicht wollen, dass es in Moskau zu Unruhen kommt. Und möglicherweise wollen die Moskauer Machthaber dies deswegen nicht, weil sie vor dem Kreml ihr Image einer starken Macht wahren wollen. Seit Langem ist bekannt, dass die Moskauer Miliz in erster Linie die Befehle von Moskaus Bürgermeister, Juri Luschkow, ausführt.

Es waren sehr unterschiedliche Kräfte, die auf der Demonstration vertreten waren. Gibt es Anzeichen einer neuen Zusammenarbeit dieser Kräfte?

Das ist richtig, doch nur wegen einer gemeinsamen Demonstration für das Recht auf Versammlungsfreiheit, an der sich in der Tat sehr unterschiedliche Kräfte beteiligt haben, würde ich noch nicht von einer Zusammenarbeit dieser Gruppen sprechen.

Wäre das denn wünschenswert?

Ich persönlich will nicht, dass diese Bewegung zu einer Oppositionsbewegung gegen unsere Machthaber wird. Ich sehe in der Opposition keine Kräfte, die ich unterstützen möchte. Diese Aktionen wollen erreichen, dass die heutigen Machthaber die Verfassung schützen. Und wenn die Machthaber das akzeptieren, wird das Land überleben.

Und wenn nicht?

Dann wartet der Tod auf Russland.

Der Tod?

Der Tod und das Auseinanderbrechen. Das ist doch viel schlimmer, als wenn Menschen auf die Straße gehen. Und während wir in unserem Recht auf Versammlungsfreiheit behindert werden, können sich die Faschisten weiter ausdehnen. Jedes Jahr haben wir einen faschistischen Marsch, erleben wir faschistische Mahnwachen. Paradoxerweise behandeln die Machthaber uns und die Faschisten nicht gleich. Während unsere Demonstrationen verboten werden, werden Veranstaltungen der Rechtsextremen erlaubt. Auf diesen Demonstrationen werden Losungen gebrüllt, wie "Russland den Russen" oder "Gegen Migration", und das alles wird zugelassen. All das wird toleriert, genauso wie die Wehrsporttrainingscamps dieser Gruppen und ihre Waffen. Ich denke, die Behörden müssen faschistische Aufmärsche genauer beobachten.

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