Bürgerkrieg in Libyen: Rebellen bieten Straffreiheit für Gaddafi
Die Nato ist zu einem Eingreifen in Libyen bereit, aber nicht ohne Mandat der Vereinten Nationen. Frankreich und Großbritannien arbeiten an einem Flugverbot. Die Kämpfe gehen weiter.
NEW YORK/TRIPOLIS/BRÜSSEL afp/dpa/rtr/dapd | Mit einem Verzicht auf Strafverfolgung wollen die Aufständischen in Libyen Staatschef Muammar al-Gaddafi zur Aufgabe bewegen. "Wenn Gaddafi akzeptiert, das Land zu verlassen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, würden wir die Forderung aufgeben, dass er vor ein Gericht gestellt werden muss", sagte der Vorsitzende des Nationalrats der Rebellen, Mustafa Abdul Dschalil, in einem Interview mit stern.de am Montag in Bengasi.
Der ehemalige Justizminister Gaddafis bestätigte, dass es Versuche des Regimes gegeben habe, mit den Aufständischen in Kontakt zu treten. Er selbst stehe jedoch nicht in Kontakt mit Gaddafi, es gebe auch keine Verhandlungen. Der Nationalrat, dem Vertreter der befreiten Städte im Osten Libyens angehören, gilt als Übergangsregierung der Aufständischen.
Nato droht mit Eingreifen
Die Nato ist zu einem Eingreifen in Libyen bereit, wird ohne Mandat der Vereinten Nationen aber nicht aktiv werden. Das erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Montag in Brüssel. Auch US-Präsident Barack Obama sagte am Montag, die Nato prüfe ein Eingreifen. Bislang gebe es keine Anfrage von keiner Seite, um etwa eine Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Staat einzurichten oder Schiffe mit möglichen Waffenlieferungen abzufange, sagte Rasmussen.
Ein eigenes Angebot zum Eingreifen kündigte Rasmussen nicht an. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos zuschauten, "wenn Staatschef Muammar al Gaddafi und sein Militär weiter systematisch die libyische Bevölkerung angreifen", sagte er weiter.
Nach seinen Worten ist das Bündnis "auf alle Eventualitäten" vorbereitet und könnte in kurzer Zeit aktiv werden. "Wir stehen bereit, wenn es angefragt und angemessen mandatiert ist", so der Nato-Chef in Brüssel.
Die EU ist Diplomaten zufolge kurz davor, die Sanktionen gegen Libyen auszuweiten. Die Strafmaßnahmen sollen auch die staatliche Investmentbehörde des Landes treffen. Dabei handelt es sich um einen 70 Milliarden Dollar schweren Staatsfonds, der unter anderem an der italienischen Großbank UniCredit und an dem Fußballverein Juventus Turin Anteile hält.
Frankreich und Großbritannien arbeiten nach Angaben von UN-Diplomaten an einer Entschließung für ein Flugverbot in Libyen. Die beiden Länder wollten den Resolutionstext den 15 Mitgliedern des Weltsicherheitsrates "recht schnell" unterbreiten, sagten Diplomaten am Sitz der Vereinten Nationen in New York am Montag. Es herrsche "ein Gefühl der Dringlichkeit", betonten sie. "Man kann nicht zuschauen, wie die Bevölkerung massakriert wird, ohne etwas dagegen zu tun." Deshalb sei noch diese Woche "etwas zu Libyen zu erwarten".
Kämpfe an der Küste
Vor allem entlang der Küstenlinie versuchen die Truppen Gaddafis, an die Rebellen verlorene Städte zurückzuerobern. Dabei rücken sie mit Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Panzern vor. Ein Brennpunkt des Konflikts ist die nach Tripolis und Bengasi drittgrößte Stadt Misrata im Westen des Landes, wo sich Gaddafis Truppen zuletzt Häuserkämpfe mit den Rebellen lieferten. Ein Augenzeuge berichtete der BBC, dass die Stadt nach wie vor in der Hand der Rebellen sei. In der Nacht seien die Truppen Gaddafis mit 42 Militärfahrzeugen und sieben Panzern in die Stadt eingedrungen.
Die Soldaten hätten sich heftige Gefechte mit den Aufständischen geliefert und sich dann wieder aus der Stadt zurückgezogen. Zwei Panzer seien von den Regimegegnern zerstört worden. Mehr als 40 Menschen starben. 24 Soldaten und Söldner sowie 17 Aufständische und ein zwei Jahre altes Mädchen seien ums Leben gekommen, sagte Badi. Nach Rebellenangaben wurden bei den Kämpfen mehr als ein Dutzend Soldaten gefangen genommen. Ein Sprecher der Aufständischen sagte dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, von den 14 gefangenen Soldaten der Chamies-Brigade seien vier verletzt in ein Krankenhaus gebracht worden.
Luftangriffe auf Ras Lanuf
Die Luftwaffe von Libyens Machthaber Muammar el Gaddafi hat am Montag erneut mehrere Angriffe auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Ras Lanuf geflogen. Wie ein AFP-Journalist vor Ort berichtete, griff ein Kampfflugzeug einen Kontrollpunkt an einer Straße östlich der Stadt an. 400 Meter von dem Kontrollpunkt entfernt stieg darauf eine große Rauchsäule auf. Die Aufständischen erwiderten das Feuer mit Luftabwehrgeschützen. Offenbar gab es bei dem Angriff keine Opfer. Zuvor hatte es einen ersten Angriff auf dem Posten gegeben.
Aus Angst vor Angriffen der Einheiten Gaddafis hatten sich zuvor viele Menschen aus der umkämpften Stadt zurückgezogen. Innerhalb einer Viertelstunde verließen am Morgen ein Dutzend Autos die Stadt in Richtung der weiter östlich liegenden Stadt Brega. Brega wird seit vergangener Woche von den Aufständischen kontrolliert. Auch viele Aufständische verließen die Stadt. Der Hauptkontrollpunkt am Zugang zu Ras Lanuf war nur noch von einem Dutzend Rebellen besetzt.
Entgegen der Warnungen der Rebellen machten sich einige Bewohner in Richtung Westen nach Bin Dschawad auf. Die Stadt war am Sonntag von Getreuen Gaddafis zurückerobert worden. "Wir haben gehört, dass sie Menschen festnehmen und entführen. Wir müssen jetzt weg", sagte ein Familienvater mit Blick auf mögliche Angriffe von Anhängern des Machthabers. Das einzige Hotel in der Stadt, das fast ausschließlich von Journalisten bewohnt wird, wurde in der Nacht vom Personal evakuiert. Die Angestellten liefen aufgeregt durch die Gänge und riefen, "Schnell, schnell, Sie müssen gehen".
Ras Lanuf war von den Gaddafi-Gegnern am Freitag eingenommen worden. Am Sonntag wurde die Ortschaft von der libyschen Luftwaffe angegriffen. Die Aufständischen konnten sich aber in Ras Lanuf halten. Sie mussten sich nach heftigen Kämpfen allerdings aus Bin Dschawad zurückziehen, von wo aus sie ursprünglich Richtung Sirte, der Heimatstadt Gaddafis, vorrücken wollten. Bei den Kämpfen kamen nach Angaben von Ärzten mindestens zwölf freiwillige Kämpfer der Aufständischen ums Leben, mehr als 50 wurden verletzt.
Die Rebellen in Libyen sehen weiter keinen Spielraum für einen breiten Dialog mit Staatschef Gaddafi. Grundlage jeglicher Gespräche sei ein Rücktritt des Machthabers, bekräftigte ein Vertreter der Aufständischen in Bengasi. Gaddafi warf unterdessen den internationalen Medien in einem Interview mit dem Fernsehsender France 24 vor, Lügen über die Lage in Libyen zu verbreiten.
Auch die Stadt Sawija war am Montagmorgen wieder hart umkämpft, berichtet die BBC. Die Aufständischen hätten regierungstreue Kämpfer gefangengeonmmen, die angaben, den Befehl zu haben, die Stadt bis Mittwoch zurückzuerobern, berichtet die BBC in Berufung auf Augenzeugen.
EU und UN senden Erkundungsteams
Die Europäische Union und die Vereinten Nationen wollen sich mit Erkungdungsteams ein Bild von der unübersichtlichen Lage in Libyen machen. Das Team der EU soll vor Ort keinen Kontakt zur Regierung von Machthaber Muammar el Gaddafi aufnehmen. Es handele sich um eine "technische Mission", nicht um eine politische, sagte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Montag in Brüssel. Treffen mit Regierungsvertretern seien daher nicht geplant.
Das von der Europäischen Union (EU) nach Libyen entsandte Expertenteam Die EU-Experten reisten demnach jedoch mit offiziellen Visa ein. Das fünfköpfige Expertenteam hilet sich den Angaben des Ashton-Sprechers zufolge am Montag in der libyschen Hauptstadt Tripolis auf. Das von Ashton am Sonntag entsandte Expertenteam soll Informationen über die bisherigen Hilfsaktionen sammeln und eine Einschätzung abzugeben, welche weiteren humanitären Maßnahmen nötig sind.
Das "humanitäre Erkundungsteam" der Vereinten Nationen werde vom UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) organisiert, so ein Sprecher. Ob es neben der Hauptstadt Tripolis auch andere Städte besuchen dürfe, sei noch unklar. Nach Angaben des Sprechers ernannte Ban mit dem ehemaligen jordanischen Außenminister Abdelilah el Chatib zudem einen Sondergesandten für Libyen. Die UN forderte von Machthaber Muammar el Gaddafi zudem den sofortigen Zugang zu den Opfern von Bombenangriffen in der Stadt Misrata. Unterdessen versuchten Anhänger Gaddafis die Aufständischen zurückzudrängen.
850 Flüchtlinge auf Lampedusa gestrandet
Mehr als eine Million Libyer, die im Land oder außerhalb auf der Flucht sind, brauchen nach Angaben der UNO Hilfe. UN-Hilfskoordinatorin Valerie Amos sagte am Montag in Genf, die Flüchtlingsdramen spielten sich an den Grenzen des nordafrikanischen Landes ab, wo Rebellen den seit mehr als 40 Jahren herrschenden Machthaber Muammar Gaddafi stürzen wollen.
Priorität hätten für sie derzeit die 300.000 Einwohner der von Rebellen kontrollierten Stadt Misurata, die am vergangenen Wochenende von Regierungstruppen mit Panzern und Raketen beschossen worden sei. "Hilfsorganisationen brauchen jetzt dringend Zugang", sagte Amos, die kürzlich das tunesisch-libysche Grenzgebiet besucht hatte. "Die Leute sind verletzt, sie sterben und brauchen dringend Hilfe."
Angesichts der dramatischen Lage in Nordafrika haben erneut rund 850 Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa gewagt. In der Nacht zum Montag strandeten nach Angaben von Reportern elf Boote mit den zumeist tunesischen Flüchtlingen auf der Insel. Die Behörden rechneten mit weiteren Überfahrten, auch aus dem von blutigen Unruhen erschütterten Libyen.
Trotz rauer See hatten sich bereits am Wochenende rund hundert Flüchtlinge nach Lampedusa gerettet. Zwischen Sonntagabend und Montagmorgen trafen dann noch einmal elf Boote mit 850 weiteren Flüchtlingen ein. Ein weiteres mit rund 100 Passagieren war am Morgen noch in Sichtweite vor der Küste der Insel. Da noch bis Dienstag bessere Wetterbedingungen herrschen sollten, rechnete die Küstenwache mit dem Eintreffen weiterer Boote.
"Flugverbotszone ist kein Videospiel"
In der US-Regierung mehren sich unterdessen die skeptischen Stimmen zu einer solchen Flugverbotszone. Nach Verteidigungsminister Robert Gates äußerte sich am Sonntag auch der neue Stabschef im Weißen Haus, Bill Daley, zurückhaltend. "Eine Menge Leute reden über eine Flugverbotszone, als wäre es (...) ein Videospiel oder so etwas", sagte er dem US-Sender NBC. "Wer darüber auf diese Weise redet, hat keine Ahnung, wovon er spricht." Der UN-Generalsekretär forderte von der Führung in Tripolis erneut die sofortige Einstellung der "unverhältnismäßigen Gewalt und wahllosen Angriffe auf Zivilisten". Auch müsse die Sicherheit der Ausländer in Libyen garantiert und Hilfsorganisationen Zugang zu den Bedürftigen gewährt werden.
Die von Rebellen festgenommenen Briten wurden unterdessen freigelassen und verließen das Land. Das "kleine diplomatische Team" sei auf "Schwierigkeiten" gestoßen, erklärte der britische Außenminister William Hague. Die Briten waren laut Hague nach Bengasi gereist, um "Kontakte mit der Opposition aufzunehmen".
Ein Sprecher der libyschen Opposition hatte angegeben, ein britischer Diplomat und mehrere britische Soldaten seien nach ihrer Ankunft in einer von Rebellen kontrollierten Zone festgenommen worden. Ein Sprecher des oppositionellen Nationalrats sagte, das Gremium habe es abgelehnt, mit den Briten zu sprechen.
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