Bürgerkrieg im Tschad: Leichen auf den Straßen Ndjamenas
Über 100 Tote, bis zu 50.000 Flüchtlinge in Kamerun und Tausende weitere in Nigeria: Die Schlacht um Tschads Hauptstadt am Wochenende hinterlässt eine blutige Bilanz.
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Nach dem Abflauen der Kämpfe in Tschads Hauptstadt Ndjamena haben die Aufräumarbeiten begonnen. Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) wurden bis gestern früh rund 100 Tote von den Straßen geborgen. "Dazu muss man die zählen, die in Krankenhäusern gestorben sind", hieß es weiter. Verwandte geflohener Tschader berichten der taz, es gebe noch mehr Tote, die aufgrund der Unsicherheit direkt auf dem Grundstück der betroffenen Familie beerdigt worden seien.
Laut IKRK gab es in Ndjamena rund 1.000 Verletzte - Opfer der intensiven Artilleriegefechte in der Hauptstadt zwischen dem Einzug der Rebellen am Samstag morgen und ihrem Rückzug aus der Stadt am Sonntag abend. Das Zentralkrankenhaus von Ndjamena ist nach einem AFP-Bericht mit Verwundeten überfüllt, die in Schubkarren liegen müssen, weil es sonst keinen Platz gibt. Sogar die Leichenhalle sei voll.
"Unser erster Eindruck ist, dass Zivilisten nicht gezielt angegriffen wurden", sagte IKRK-Direktor Simon Ashmore. "Aber es hat viele Kollateralschäden gegeben." Dazu kämen verbreitete Plünderungen in der Stadt.
Der am Sonntag von der französischen Armee evakuierte deutsche Helfer Roger Meyer, Leiter der Johanniter-Unfallhilfe im Tschad, berichtete der taz, die schweren Kämpfe hätten den ganzen Samstag angedauert. Bereits in der Nacht zum Samstag, bevor die Rebellen die Hauptstadt erreichten, sei aus der französischen Botschaft die Order an alle Ausländer der Stadt gekommen, sich in Evakuierungszentren zu versammeln.
Meyer harrte mit 300 anderen in der französischen Oberschule aus. "Auf der Straße tobten heftige Gefechte, mit Maschinengewehrsalven, Panzergeschossen und teilweise auch Panzern der Armee direkt vor der Schule. Wir lagen unter den Tischen", berichtete Meyer. In der Nacht zum Sonntag wurden alle zum Flughafen gebracht und ausgeflogen. Über den Verbleib seiner lokalen Mitarbeiter weiß er nichts.
Das Abflauen der Kämpfe am Sonntag abend ermöglichte der Bevölkerung die Flucht. Maurizio Giuliano, Sprecher der humanitären UN-Koordinierungsstelle OCHA, sagte der katholischen Nachrichtenagentur Misna, innerhalb weniger Stunden seien Zehntausende Menschen über die Brücke über den Chari-Fluss aus Ndjamena nach Kousseri im Nachbarland Kamerun geflohen. Dann zwang die Regierung laut Augenzeugen Autos zur Umkehr und schloss die Brücke wieder.
In Kamerun sprach das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Dienstag von 20.000, das kamerunische Rote Kreuz gestern von bis zu 50.000 Flüchtlingen aus Ndjamena. In Nigeria sind ebenfalls mehrere Tausend Tschader eingetroffen und berichten, zahlreiche weitere wären auf Buschpisten unterwegs.
Armeechef Mahamat Ali Abdallah rief die Fküchtlinge gestern auf, "sofort" zurückzukommen, da es keine "Gefahr" mehr gebe. Das sehen offenbar manche anders. Menschenrechtsorganisationen sorgen sich um den Verbleib verschleppter oder ungetauchter ziviler Regierungsgegner.
Gerügt wird, dass Frankreichs Soldaten in Ndjamena nur Ausländern geholfen haben, nicht gefährdeten Einheimischen. Die Menschenrechtsaktivistin Delphine Djaraibé sei auf eine französische Militärbasis geflohen, aber abgewiesen worden, ohne Schutz bekommen zu haben.
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