■ Bündnisgrüne: In der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik ist es bei der antiwestlichen und linkspazifistischen Weltsicht geblieben: Wandeln auf deutschen Sonderwegen
Die Welt hat sich verändert, Joschka Fischer auch, seine Partei dagegen nicht. Eine Stimme Mehrheit gegen die Beteiligung der Bundeswehr an friedenserzwingenden Missionen der UNO zeigt: Die Bündnisgrünen winden sich, hin- und hergerissen zwischen den süßen Verlockungen der Macht und dem Erhalt ihrer ideologischen Selbstgewißheit. Einstweilen bleibt es also beim linken und gesinnungspazifistischen Traditionserlaß. Darauf aber läßt sich keine rot-grüne Regierungskoalition aufbauen.
Wahlarithmetisch steigen zwar die Chancen einer Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenn beide Parteien im bevorstehenden Wahlkampf ein eigenständiges politisches Profil herausstellen. Bei einem möglichen rot-grünen Politikwechsel wird es allerdings darauf ankommen, in den Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag politische Gegensätze zu überbrücken. Vieles ist verhandelbar, die Grundlagen deutscher Außen-, Sicherheits- und Europapolitik sind es nicht.
Nach dem Magdeburger Programmparteitag ist absehbar, daß das Verhältnis zur Nato, zu den Aufgaben der Bundeswehr und zum europäischen Integrationsprozeß zu den zentralen Auseinandersetzungen zwischen der SPD und den Bündnisgrünen führen wird. Gerade die letzten Wochen haben deutlich gemacht, daß das Ende des Ost-West-Konflikts bei den Bündnisgrünen nicht zu einer Revision weltanschaulicher Grundlagen geführt hat. Grüne Beiträge während der vorerst beigelegten Irak-Krise waren keine rhetorischen Entgleisungen, sie sind Ausdruck politischer Wertvorstellungen. „National-hegemoniale Interessenspolitik der USA“, „völkerrechts- und verfassungswidriger Einsatz“, deutsche „Vasallentreue“, die Bundesrepublik als „amerikanischer Flugzeugträger“, die Bundeswehr wolle „globale Interventionsfähigkeit“, so tönte die Schar linkstraditioneller Katecheten wie Jürgen Trittin, Ludger Volmer und Angelika Beer in ihren Predigten an die politische Öffentlichkeit.
Nun rächt sich im wahlentscheidenden Jahr, daß Joschka Fischer und seine politischen Freunde in ihrer Partei nicht beizeiten dafür gesorgt haben, durch Überzeugungsarbeit andere Mehrheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen zu organisieren. Eine Politik der De- facto-Auflösung der Nato verbunden mit der ablehnenden Haltung, das westliche Bündnis nach Osten zu öffnen, der Verweigerung einer Beteiligung an friedenserhaltenden und friedenserzwingenden Maßnahmen der UNO, aber auch der Ablehnung des Amsterdamer Vertrages – wie auf dem Parteitag in Kassel beschlossen – wären Rückfälle in unheilvolle deutsche Sonderwegstraditionen. Ein solcher Kurs würde die Bundesrepublik in die internationale Isolation führen und hätte negative Auswirkungen für die europäische Einigung, die transatlantischen Beziehungen und – letztlich für den Frieden in Europa.
Die grüne Forderung, anstelle der Nato („Ablösung“) eine gesamteuropäisches Sicherheitssystems auf der Basis der OSZE aufzubauen und außen- und sicherheitspolitische Souveränitätsrechte an sie abzutreten, ist politisch untauglich, da die OSZE aufgrund ihrer Ausdehnung, Zusammensetzung und Uneinheitlichkeit für supranationale Politik sowie als Bündnis kollektiver Verteidigung und Sicherheit untauglich ist. Wer für die Auflösung der Nato eintritt, ohne den überzeugenden Nachweis zu erbringen, wie ein sicherheitspolitisches Äquivalent aufgebaut werden kann, der setzt verläßliche Strukturen der Kriegsverhinderung aus Gründen ideologischer Selbstvergewisserung aufs Spiel.
Hinter dem Schein einer vermeintlichen sicherheitspolitischen Alternative schimmert antiwestliches Ressentiment und Linksnationalismus durch. Es wundert daher nicht, daß auch die politischen und militärischen Anstrengungen der Europäischen Union, in ihrem Rahmen eine „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ aufzubauen, wiederum nur als ein Manöver für westeuropäische Großmachtambitionen („Militärmacht EU“) abqualifiziert werden. Noch auf der Bundesversammlung in Kassel wurde ein Antrag verabschiedet, der demnach forderte, den Amsterdamer Vertrag nicht zu ratifizieren. Dementsprechend mußte sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen bei der Abstimmung im Bundestag enthalten. Zustimmung zum Euro, aber Ablehnung des Amsterdamer Vertrages : Wie soll darauf eine stabile Regierungskoalition aufgebaut werden?
Bündnis 90/Die Grünen setzen den weiteren europäischen Integrationsprozeß aufs Spiel und nehmen die Gefahr einer Renationalisierung der Politik mit allen Folgen für die politische Stabilität in Europa in Kauf. Ideologische Nibelungentreue geht eben vor Einsicht. Wenn es eine Konsequenz aus dem Bosnien-Debakel gegeben hat, dann doch die nach der Notwendigkeit einer einigen und durchsetzungsfähigen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Die zweite Lektion aus Bosnien, daß es nämlich in dem Wertekonflikt um Gewaltlosigkeit oder Lebens- und Freiheitsschutz die Humanität gebietet, militärische Gewalt einzusetzen, um Völkermord, Vertreibung und andere Greuel zu verhindern, wird somit ebenfalls ignoriert.
Fazit : Das beschlossene grüne Bundestagswahlprogramm huldigt weiterhin einem entleerten und geschichtslosen Pazifismusbegriff, weil UN-mandatierte kollektive Nothilfeaktionen (peace enforcement) im Grundsatz abgelehnt werden. Ein Pazifismus, der über Leichen geht, hat seine Moral verloren. Für die SPD gilt: Bei aller notwendigen Kritik auch an konkreten Fehlleistungen westlicher Politik bei der sicherheitspolitischen und militärischen Sicherheitsvorsorge darf jedoch an dem Grundsatz militärischer Wehrhaftigkeit von Demokratien in einer auf absehbare Zeit friedlosen Welt nicht gerüttelt werden.
Die SPD würde einen schweren strategischen Fehler begehen, wenn sie nicht schon vor den Bundestagswahlen von Bündnis 90/Die Grünen eine Revision grüner Programmatik verlangen würde. Und die Bündnisgrünen um Joschka Fischer wären gut beraten, wenn dies aus eigener Einsicht geschähe. Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Aber: Eine potentielle rot-grüne Regierungskoalition an der kurzen Leine einer grünen Bundesdelegierten-Konferenz; ich mag es mir für die Zukunft des rot-grünen Projekts, für das ansonsten gute Gründe sprechen, nicht ausmalen. Wolfgang Bruckmann
Vollständiger Text unter: http:// www.ndh.net/home/bruckmann
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