Bühnenbildnerin Annette Kurz: "Aus der Summe der Details entsteht Dichte"
Eigentlich schätzt Annette Kurz, Bühnenbildnerin am Hamburger Thalia-Theater, an ihrer Arbeit gerade das Vergängliche - und kann es manchmal dann doch nur schwer ertragen, dass von ihren Kreationen meist nichts übrig bleibt.
taz: Frau Kurz, Sie haben Kunstgeschichte studiert. Sind Sie nur aus Versehen am Theater gelandet?
Annette Kurz: Nein. Aber mich haben Museen und ihre Gegenstände schon immer fasziniert. Denn alle Dinge haben ihre Vergangenheit - und je mehr sie mit Geschichte aufgeladen sind, desto interessanter finde ich sie.
Theoretisch oder praktisch?
Das ist genau der Punkt. Parallel zur Kunstgeschichte habe ich in Paris Bildende Kunst studiert und auch einen Bühnenbild-Kurs belegt. Der hat mir so gut gefallen, dass ich sofort wusste: Das ist es! Trotzdem bereue ich das Kunstgeschichtsstudium nicht. Es hat mir inneres Archiv verschafft, aus dem ich immer schöpfen kann.
Warum wollten Sie bühnenbildnern?
Weil es - anders als die Bildende Kunst - ein Mannschaftssport ist. Man arbeitet mit Schauspielern, Regisseuren, Dramaturgen zusammen und entwickelt das Bild gemeinsam.
Stört es Sie nicht, dass es eine "angewandte Kunst" ist?
Nein. Ich fühle mich sehr frei, meine Ideen umzusetzen. Wobei Bühnenbild in Frankreich nicht als so untergeordnet gilt wie hierzulande. Dort ist es eine der Regie gleichberechtigte Kunstform. Deshalb hatte ich nicht das Gefühl, dass ich von der "freien" Bildenden Kunst zu einer Art "dienender" Kunst ging.
44, stammt aus Hamburg und hat in Paris Kunstgeschichte und Bildende Kunst sowie in Straßburg Bühnen- und Kostümbild studiert.
Sie entwarf Bühnenbilder für Inszenierungen unter anderem in Hamburg, Berlin und Hannover für RegisseurInnen wie Luk Perceval und Sandra Strunz.
Seit der Spielzeit 2009/2010 ist sie Ausstattungsleiterin am Hamburger Thalia-Theater, wo ihr Lebensgefährte Perceval zeitgleich als leitender Regisseur anfing.
Sie lehrt regelmäßig an der Academie voor Schone Kunsten, Antwerpen, und der Ecole des Arts Décoratifs in Straßburg.
Sondern ich hatte den Eindruck, ich gehe dahin, wo ich mich entfalten kann, wo der Ort ist für den Dialog mit den Künstlern. Die Kleider-Wand, die ich für "Hamlet" gemacht habe, steht zum Beispiel nicht für sich allein, sondern die Regie projiziert Ideen hinein. Und die Schauspieler gehen hindurch, benutzen sie, bringen sie zum Glühen.
Und das Publikum?
Das ist natürlich auch wichtig, sehr sogar. Ich bin überzeugt, dass es auch Details wahrnimmt.
Auch dass die 105 Tische, die Sie gerade für "Macbeth" bauen lassen, alle verschieden sind?
Ja - und wenn man sie nicht alle sieht, wird man sie trotzdem atmosphärisch wahrnehmen. Ich bin überzeugt, dass aus der Summe der Details eine atmosphärische Dichte entsteht. Denn jeder Tisch dieser Welt offenbart gelebte Zeit. Nur, dass es hier eben Fiktion ist, weil ich Gebrauchsspuren und Patina mit anbringen lasse.
Lassen Sie sich in Ihre Entwürfe hineinreden?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Wenn ich mir aber mal etwas ausreden lasse, bemerke ich oft im Nachhinein, dass der Kompromiss zu groß war.
Wie oft passiert das?
Das kann immer mal vorkommen. Aber inzwischen habe ich einen ganz guten Instinkt. Mit Regisseuren, die ich schon länger kenne, ist es einfacher. Wenn ich einen Regisseur noch nicht so gut kenne, muss ich erst die Spielregeln deutlich machen und sagen, was mich interessiert.
Nämlich?
Bühnenbilder, die wie eine Skulptur im Raum stehen. Dabei ist natürlich der Theaterraum sehr wichtig: Ist es eine horizontale Halle oder ein Turm am Thalia-Theater. Es gefällt mir, da eine Skulptur hineinzugeben, die hoffentlich Anlass zum Spielen ist.
Gibt es auch etwas, das Ihnen weniger gefällt?
Einen realistischen Raum zu bauen.
Wollen Regisseure sowas?
Manchmal, aber dann muss man darüber sprechen, und meistens verständigt man sich. Außerdem: Jemand, der wirklich geschlossene realistische Räume haben möchte, wird mich nicht fragen.
Mit dem Regisseur Luk Perceval, mit dem Sie oft arbeiten, sind Sie privat liiert. Erschwert das die Arbeit?
Nein, es erleichtert sie. Unsere künstlerischen Parameter sind deckungsgleich. Da ist es eher so, dass ich mich selbst übertreffe, weil ich angespornt werde, noch präziser zu sein. Wir führen einen sehr unbestechlichen Dialog. Da packt der den anderen dann schon mal bei der Nase und sagt, guck mal, eigentlich geht es doch noch einfacher.
Ein Beispiel?
Unsere erste gemeinsame Arbeit vor zwölf Jahren in Antwerpen: Thomas Jonigks "Täter", in dem es um Inzest geht. Das Bühnenbild bestand aus einer 300 Kilogramm schweren, stehenden Glasplatte, die sechs Schauspieler halten mussten. Hätte sie um 20 Zentimeter geschwankt, wäre sie umgefallen. Wenn also einer losließ, mussten die anderen übernehmen, um das fragile Gleichgewicht wieder herzustellen. Eine Metapher für diese Familie, die ein schweres, zugleich transparentes Geheimnis hat.
Sie machen es den Schauspielern nicht leicht.
Nein, das ist auch nicht mein Ziel. Für "Andromaque" in Berlin mussten die Schauspieler zum Beispiel die ganze Zeit auf einem 50 Zentimeter breiten Altar stehen, unter dem Scherben lagen. Und wenn ich für "Hamlet" den Fußboden gestalte, kann man darauf nicht bequem laufen: Die erste Version bestand aus nebeneinander gelegten Balken, die in die Tiefe eine Art Schlucht ergaben.
Nachdem sich eine Schauspielerin darin das Bein gebrochen hatte, habe ich den Boden natürlich verändert. Aber manchmal muss man an solch eine Grenze gehen, um spürbar zu machen, dass der Raum nicht neutral ist.
Werden Ihre Bühnenbilder manchmal als zu dominant bezeichnet?
Ja, gelegentlich. Allerdings ist es schon länger nicht mehr vorgekommen.
Leiden Sie, wenn Ihre Bühnenbilder wieder zerstört werden?
Ich bin da ambivalent. Einerseits mag ich es, dass ich nicht wie ein Maler materielle Bilder habe, die meine Wohnung bevölkern. Ich mag dieses Flüchtige und Leichte, denn das ist wie das Leben. Man kann nichts festhalten, alles verschwindet - und das ist auch im Theater so. Was bleibt, sind die Geschichten.
Schauen Sie bei der Zerstörung zu?
Nein. Das würde ich nicht gut aushalten - wobei natürlich jeder Fall verschieden ist. Bei der erwähnten Glasplatte ging es vor allem um die Performance. Bei den Shakespeare-Bühnenbildern - Hamlets Kleiderwand und Macbeths Tische - geht es eher um biografische Dichte. Trotzdem: Dass das Hamlet-Bühnenbild zerstört wird, ertrage ich, glaube ich, nicht.
Warum?
Weil die Erschaffung eine besondere Geschichte hat: Zu viert haben wir zwei Wochen lang jede Jacke einzeln auf Bügel gehängt, um einen bestimmten Farbverlauf hinzubekommen. Um ehrlich zu sein: Ich überlege gerade, wie ich dieses Bühnenbild retten kann.
Und die Tische des "Macbeth"?
Da gibt es schon etliche Anfragen von Kollegen, die sagen: Wenn das Stück in sechs Jahren nicht mehr gespielt wird, kann ich so einen Tisch gut gebrauchen. Das freut mich. Denn das, was ich eigentlich erzählen wollte - dass sie bei Leuten in der Wohnung gestanden haben könnten -, wird dann real. Die Fiktion wird Zukunft. Ein schönes Gefühl.
Wie inszenieren Sie Ihre eigene Wohnung?
Ich habe es am liebsten ganz leer.
Wieso?
Weil alles hier ist, am Theater. Und in meinem Kopf. Mein Kopf ist voller Gegenstände und Materialien, voller Geschichten und Gefühle. Da finde ich es wunderbar, einen neutralen Ort zu haben, wo mich nichts ablenkt von meinem inneren Raum.
Wie hält es Ihr Mitbewohner und Partner Luk Perceval?
Er hat es am liebsten vollgestellt und gemütlich.
Sprechen Sie eigentlich Flämisch miteinander, seine Muttersprache?
Wir sprechen meistens Deutsch - außer wenn wir nicht verstanden werden wollen. Und wenn wir streiten.
Da können Sie mithalten?
Nicht so gut, aber wenn es hart auf hart kommt, sage ich etwas auf Französisch. Da kann Luk nicht so gut mithalten.
Wie haben Sie Flämisch gelernt?
Komischerweise nicht während der drei Jahre, die ich in Antwerpen verbracht habe. Weil ich dort erstens immer Französisch sprechen konnte, da viele Belgier natürlich Französisch sprechen - obwohl die Flamen es nicht gern tun. Zweitens wurde um mich herum viel antwerpischer Dialekt gesprochen - das ist so etwas wie Oberbayerisch. Und ich wollte Flämisch nicht mit so einem starken Dialekt sprechen. Als Luk und ich später nach Berlin zogen, habe ich es durch den Abstand dann doch gelernt - auch weil Luks Söhne öfter zu Besuch kamen.
Sie sprechen also "Oberbayerisch".
Nun - ich hoffe, dass es zumindest etwas Gemäßigtes ist. Wie Hessisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!