: Bühne an Bord
■ Wo sich waschechte Seebären unter adelige Schön-geister mischen: ein Kleinkunstabend auf der MS Friedrich
Hochverehrte Anwesende ...“ Oh, das ist aber höflich. „Vor mir sitzt die Crème de la crème des Bildungsbürgertums.“ Oha. „Ihr seid der Adel des abendländischen Schöngeistes.“ Aber nicht doch. „Unter euch sind Männer, kraftstrotzende samentriefende Herrscher der Natur.“ Na, jetzt aber genug. „Unter euch sind Frauen, funkelnde Brillanten von erotischer Strahlkraft.“ Die Röte steigt schon in die Wangen der Gäste. Ein verzücktes Kichern hie und da. Draußen tuckert ein Weserkahn vorbei. Die MS Friedrich beginnt zu schaukeln. „Es ist ein Geschenk der kosmischen Allgüte, vor euch auftreten zu dürfen.“ Geschmeicheltes Kichern. Dann drängen sich noch zwei Gäste in die Zuschauerreihen. Hans-Martin Sänger fährt fort: „Es ist eng.“ Und damit hat er mehr als recht. Menschenmassen sind es gar nicht, die zur Bordbühne, dem Kleinkunstabend auf der MS Friedrich an der Schlachte, gekommen sind. Vielleicht 50 oder 60. Aber sie sitzen ineinander verkantet und gepresst wie Sardinen. Die Stimmung ist gemütlich, als Moderator und Veranstalter Sänger den ersten Künstler ankündigt.
Ein „waschechter Seebär“ sei das, mit Namen Nagelritz. In Wahrheit heißt er Dirk Langer, vertont Seemannsgedichte des großen deutschen Humoristen Joachim Ringelnatz und schlüpft schon seit fünf Jahren in die Rolle des Matrosen Nagelritz, der Unmengen Seemannsgarn spinnt und ein Experte in Sachen Seemannsbräute ist. Nagelritz verwechselt gleich bei der Begrüßung Steuerbord mit Backbord, aber das ist nicht schlimm, denn er hat sein Schifferklavier dabei. Und das macht den kleinen Fauxpas wieder wett. „Sage mir doch, dass heut Sonntag sein soll, Margarete ...“ singt er wehmütig, und alle Gesichter blicken verklärt auf das Wasser. Ein Weserkahn tuckert vorbei. Hach, wie schön. „Margarete, mein schöner, dein freier, einzig freier Tag.“ Zum Schunkeln kommt es leider nicht, dazu ist es dann doch ein bisschen eng.
Der feine Matrose kann aber auch anders. Erzählt von den Bräuten und von der wahren Liebe, für die ein echter Seefahrer keine Zeit hat. „Ich wollt ich wär ein Malzbonbon und du, du würdest mich lutschen.“ Es herrscht echte „Zur See“-Atmosphäre. Die Köpfe wenden sich wieder sehnsuchtsvoll zum Wasser. Ach ja, das waren noch Zeiten und Nagelritz muss seine Hohner wieder auspacken und eine Zugabe spielen. „Wir unterbrechen das Programm für die Nachrichten“. Schock! Von den wogenden Weiten der See zurück an die Schlachte. Schade, schade, aber das Programm muss weiter gehen. Hans-Martin Sänger liest wieder. Den Wilhelm-Busch-Preis für satirische Versdichtung im letzten Jahr hat er wirklich verdient. Obwohl er es sich – wie anscheinend jeder Kabarettist, der etwas auf sich hält – nicht verkneifen konnte, die obligatorische ausgelutschte Reich-Ranicki-Parodie vorzutragen.
Sänger will die Bordbühne auf der MS Friedrich als regelmäßige Veranstaltung etablieren. Einen nächsten Termin gibt es schon, am 14. September. „Im Winter wird das allerdings schwierig. Man kann die Heizung nicht die ganze Zeit über laufen lassen, weil sie so laut knattert.“ Das Programm steht noch nicht ganz fest. Musik, Literatur, Zauberei, Kabarett oder am Besten alles zusammen, eben „die echten, die ganz großen kulturellen Highlights“. Dann kommt ein Pantomime-Clown. Boris Radivoj ist eines der Talente aus dem „Künstler-Pool“, der sich bei Hans-Martin Sänger in zehn Jahren Kabarett- und Kleinkunstveranstaltung angesammelt hat. Eine Vermittlungsagentur ist derzeit im Aufbau. Im Pool schwimmen auch Folk-Sänger Hucky und das A-Capella-Quartett „Immer Parallel“. Beide geben noch eine Zugabe – vielleicht auch nur, weil das hochverehrte Publikum bisher von jedem eine Zugabe gefordert und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat. Noch ein Weserkahn, viel Applaus und die Crème de la crème des Bildungsbürgertums ploppt wieder aus den Bänken. S. Polig
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