Bücher über Italien: Der verhasste Lieblingsnachbar
Die Deutschen lieben alles an Italien – außer die faulen und mafiösen Landesbewohner. Zwei Bücher beleuchten die Italien-Stereotype der Deutschen.
Spätestens seit man in italienischen Leitmedien ausführlich über die Umtriebe trübster Gestalten wie Hans-Georg Maaßen informiert wurde, kann man nicht mehr darüber hinwegsehen: Im deutsch-italienischen Verhältnis hat sich Grundlegendes gewandelt. War es noch in den 1980ern selten, zwischen Mailand und Palermo auf jemanden zu treffen, der das Hörensagen überschreitende Informationen zum kalten Nachbarland besaß oder an solchen Interesse gezeigt hätte, so gehört das bewundernde Spotten über „la Merkel“ heute zum Alltag.
Die Deutschen hingegen hatten schon immer ein manisch genau definiertes Urteil über die italienischen Dinge. Das zeigt jetzt das Buch des ehemaligen Leiters des Deutschen Studienzentrums in Venedig, Klaus Bergdolt: „Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen Vorurteil“. Es überzeugt als fleißige Dokumentation der Fülle der Gülle, die über die Jahrhunderte von insbesondere evangelischen Norddeutschen über Italien ausgegossen worden ist.
Über ganz Italien? Nicht ganz. Was die deutschen Besucher sich wünschten, war ja durchaus das Land, wo die Zitronen blühen – nur eben ohne dessen Einwohner. Diese „niedrigste Brut“ hinderte den geistigen Nordländer durch „infamste Betrügereien“ das „tausendfach Schönste“ (Karl Friedrich Schinkel) recht zu genießen, wenn sie einen mit ihrem „Tierblick“ anstarrten (Thomas Mann): Oder, wie es der Dichter Kotzebue zusammenfasste, seien sie eben insbesondere in der Erscheinungsform der Neapolitaner „faul, unreinlich, sinnlich, abergläubisch, völlig gleichgültig gegenüber Künsten und Wissenschaften, bloß Flitterstaat liebend, der ehelichen Treu fremd“.
So weit, so abgeschmackt – und so lange her. Ein großes Verdienst von Bergdolts sonst eher an der Moderne uninteressierten Arbeit ist es, an die „Vier Tage von Neapel“ zu erinnern, vom 27. bis 30. September 1943. Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Raub– und Vernichtungskrieges wurden die Okkupanten ausgerechnet im geschmähten Neapel gezwungen „auf Augenhöhe mit zivilen Aufständischen zu verhandeln“ und schließlich abzuziehen.
Klaus Bergdolt: „Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen Vorurteil“. Franz Steiner Verlag 2018, 240 Seiten, 32 Euro
Petra Reski: „Mafia. 100 Seiten“. Reclam 2018, 10 Euro
Und seitdem – alles gut und vorurteilsfrei im Verhältnis der Nachbarn? Natürlich nicht. Erschütternder als etwa die Manie des Spiegel, das Land mit den meisten Unesco-Welterbestätten sowie der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt beständig als vernudelten Mafiastaat zu zeichnen, ist vielleicht die Ignoranz der Dichter und Denker. Das Italienbild Rolf Dieter Brinkmanns etwa – der als repräsentativer Dichter der alten Bundesrepublik gelten kann –, ist eben auch in seiner Arroganz repräsentativ: Wenn ein unter anderem mit der Marke „Neuer Realismus“ versehener Schriftsteller in seinen hochsensiblen Gebilden die meisten italienischen Wörter schlicht falsch schreibt (Tabacci statt Tabacchi; Marcelleria statt Macelleria, Fredo satt freddo, Buena sera satt Buona sera: Beispiele aus dem kanonischen Gedichtband „Westwärts 1&2“), dann setzt er damit genau die Tradition der Herablassung fort, die Bergdolt aus den Archiven hervorgehoben hat.
Dass man schon alles weiß, ist nicht nur das älteste, es ist auch das am berühmtesten widerlegte Vorurteil. Seit Sokrates wissen wir, dass wir nichts wissen. Und das ist vielleicht die beste Methode, sich einer anderen Neuerscheinung zu nähern: „Mafia. 100 Seiten“ heißt es und ist in der gleichnamigen Reihe bei Reclam erschienen.
Wer sich ein wenig mit der italienischen organisierten Kriminalität und der entsprechenden Literatur beschäftigt hat, wird das Büchlein der ausgewiesenen, seit vielen Jahren in Venedig lebenden Mafia-Expertin Petra Reski vielleicht skeptisch zur Hand nehmen. Und wird dann aufs anregendste überrascht: Denn Reskis Schwerpunkt ist nicht, Standardwerke wie etwa John Dickies „Cosa Nostra: Die Geschichte der Mafia“ noch einmal hübsch aufbereitet und eingekürzt neu zu erzählen. Reski schreibt nicht über das, was wir hier in diesem supersauberen Deutschland von der Mafia zu wissen glauben, sondern darüber, was wir trotz immer näher kommender und in immer kürzeren Abständen erfolgender Einschläge einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen: dass es sich nämlich bei der Mafia (’Ndrangheta, Camorra, Cosa Nostra) wie bei Pizza und Pasta um ein höchst erfolgreiches Exportprodukt handelt.
Reski hat ein persönliches Buch über die Mafia in Deutschland geschrieben, die wir spätestens seit den Erkenntnissen der jüngsten „Pollino“–Ermittlungen auch einfach die deutsche Mafia nennen können, wenn eben deutsche PolizistInnen und BeamtInnen Informationen an den Mob weitergeben und deutsch-türkische Subunternehmen den Drogentransport in umgebauten Autos organisieren.
Das Ergebnis von Reskis Analyse ist eindeutig „Deutschland ignoriert die Mafia bewusst, weil Deutschland von der Mafia profitiert“. Und sie benennt etwas sehr einfaches, was diejenigen Journalistinnen, die sich mit dem Phänomen ernsthaft beschäftigen, nur zu gerne unterschreiben würden, wenn sie denn nicht zum hundertsten mal nach dem „Paten“ gefragt würden: „Die Faszination des Bösen hat mich nie interessiert. Denn diese Form der Darstellung tut der Mafia nicht weh. Ganz im Gegenteil.“
Deswegen lässt Reski ausführlich ProtagonistInnen des italienischen Justizapparates zu Wort kommen, die ein Leben wie im Hochsicherheitstrakt führen müssen, weil sie gegen die Mafia kämpfen; und deswegen betonen andere JournalistInnen mit einem anderen Schwerpunkt die Beharrlichkeit der zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Bewegung. Beide Gruppen stehen in der besten italienischen Tradition – der der „Vier Tage von Neapel“.
Die Mafia ist eine bewaffnete Bande, deren Ziel der Profit ist. Wenn sie wie in Italien bis in die 1980er Jahre hinein, die Linke bekämpfen soll, dann tut sie das mit faschistoider Gewalt; wenn sie im alternativlosen System des Neoliberalismus ihr Ziel meist mit anderen Mitteln erreicht – auch gut. In den an die Jugend gerichteten Worten eines bei einem ’Ndrangheta-Meetings in der Schweiz abgehörten Bosses: „Wer arbeiten will, kann arbeiten! Es gibt Arbeit für alle: Erpressungen, Kokain, Heroin!“
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