Bücher für Randgruppen: Jetzt auch mit Sichtbarkeitszone
■ Schwarze Sonne über Europa – Bewegen Sie sich vorsichtig! Der Kosmos Verlag lockt mit einem Bastelset zum Jahrhundertflash
„Die Sonne scheint und mir scheint, dass es heut' so bleibt.“ (Andreas Dorau auf der CD „neu!“)
Eingeschweißt in Plastik befindet sich der hochglanzlackierte Modellplan mit ISBN-Nummer, das Leporello zu einem Jahrhundertereignis: Die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999. Der Kosmos Verlag, dem wir manche schöne Vogelstimmenplatte, manches illustre Nachschlagewerk über Schnecken, Käfer und Salzwassermollusken verdanken, stapft in den Spuren von Yps und präsentiert nicht nur für Kinder diesen Modellplan zum Nachstellen der Finsternis mitsamt der „Sonnenfinsternis-Brille“.
Eingeleitet wird mit „Facts“ über die Sonne, wobei der coole Slang anschließend wie die Sonne selbst verschwindet. Danach folgen die üblichen Warnungen, nie ungeschützt in die Sonne zu schauen. Neben seltsam verschlungenen Protuberanzen am sorgfältig ausgeschnittenen Sonnenball wird dann auch ein Blick in das Sonneninnere gewährt.
Auf Faltseite drei erhaschen wir einen Eindruck von der letzten totalen Sonnenfinsternis des 20. Jahrhunderts, die zum ersten und einzigen Mal in diesem Jahrhundert auch in Deutschland zu sehen sein wird: Nach Ostzone und Wiedervereinigung jetzt auch eine Sichtbarkeitszone. Letztmalig bildete sie sich vor mehr als 100 Jahren, doch „leider versperrten am 19. August 1887 dichte Wolken den Blick“.
Anschaulich durch eine leicht gespreizte Knabenhand wird die Schattenbildung demonstriert, der Bereich des sogenannten Kernschattens, dort, wo die Sonne vollständig abgedeckt ist und die grünlich schimmernde Korona als leuchtender Strahlenkranz rund um die „schwarze Sonne“ beobachtet werden kann. Vielleicht aber auch die eine oder andere rötliche Protuberanz. Schließlich wird das Geschehen der Finsternis selbst durch die „Vier Kontakte“ erläutert: „Erster Kontakt“ (Mond schiebt sich langsam vor Sonne), über den zweiten und dritten zum vierten und letzten Kontakt (Sonnenfinsternis ist zu Ende).
Auf Seite sechs strahlt in flammendem Licht der vorgestanzte Modellbogen. Erde und Mond können herausgetrennt, gefalzt und auf dem Bogen aufgestellt werden, um das finstere Ereignis nachzustellen. Mit einer dem Paket leider nicht beiliegenden Taschenlampe werden wir angeregt, die Sonne zu simulieren. Durch einen Knick des Leporellos auf den Seiten vier bis fünf bedingt, fallen der aufgestellte Mond und die Erde jedoch immer wieder um.
Warum die herausgetrennte Erde schließlich Island und Sizilien zeigt, Inseln, die auf dem aufgedruckten Erdmodell in gleicher Größe fehlen, wird wohl für immer das Geheimnis des Grafikers bleiben. Wir jedenfalls wenden das Blatt, um die günstigen Orte für die Beobachtung in Deutschland zu suchen: Saarbrücken, Karlsruhe, Stuttgart, Ulm und München werden sie erleben, die totale Finsternis, während die Rostocker nur 83 Prozent Bedeckungsgrad, die Berliner immerhin 88 Prozent zu erwarten haben. Ausgerechnet in Rumänien, 100 Kilometer von Bukarest entfernt, wird mit zwei Minuten und 23 Sekunden die längste Totalitätsdauer erreicht werden, aber eine Schönwettergarantie, so der Kosmos-Plan, gibt es dort natürlich auch nicht.
Da in Deutschland bis zum 7. 10. 2135 nur partielle Sonnenfinsternisse zu erwarten sind, wird die beiliegende weißblaue Sonnenfinsternisbrille am 11. August 1999 aus dem Umschlag gezogen, die Bügellängen werden angepasst und das mit dem CE-Symbol versehene Teil auf die Nase gesetzt. Wahrscheinlich ist jetzt erst mal nichts zu sehen: Die „Gläser“ bestehen aus Sonnenfilter-Folie mit dem Filterfaktor 1:100.000. Sie gestatten den direkten Blick in das Sonnenlicht. Allerdings ist die Brille nicht ganz ungefährlich: „Bewegen sie sich vorsichtig (Sturzgefahr).“ Wenn sie „schonend und trocken“ aufbewahrt, „nur mit Watte“ gereinigt wird, lässt sie sich später wieder verwenden. Zum Beispiel am 21. 6. 2001 im südlichen Afrika, zur nächsten Sonnenfinsternis. Dauer: 3,5 Minuten.
Wolfgang Müller
„Schwarze Sonne über Europa“-Package aus Leporello (12 Seiten) mit integriertem Bastelbogen und Sonnensichtbrille. Kosmos Verlag 1999, 9,95 DM
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