Buddy Holly zum 75. Geburtstag: Der Petting-Elvis
Buddy Holly starb jung und lebt dafür ewig. Denn er war der sauberste Star, den die USA je hatten. Dass er das Musikbusiness revolutionierte, fällt da schon mal unter den Tisch.
Ein Republikaner hat dann doch noch Buddy Holly entdeckt. Um seine Vorwahlkampagne in Gang zu bringen, engagierte Rick Santorum, Möchtegernpräsidentschaftskandidat vom rechteren Rand seiner Partei, The Crickets. Es war Anfang August 2011 und die betagten Herren, vor mehr als einem halben Jahrhundert die Begleitband von Holly, beschallten die "Santorum Summer Dance Party" mit den alten Hits.
Gute Wahl. Ist es doch gar nicht so einfach, einen Rockstar zu finden, den man zu Wahlkampfzwecken missbrauchen könnte. Die meisten Versuche von Politikern, popmusikalische Kompetenz zu suggerieren, scheiterten kläglich - zuletzt der von Gordon Brown, der keinen einzigen Songtitel seiner vorgeblichen Lieblingsband Arctic Monkeys nennen konnte.
Es stehen ja auch viele Fettnäpfchen bereit, wenn man für die Wahlkampftournee ein Motto wählt wie Santorum: "Mut für den Kampf um amerikanische Werte". Sollten die in Frage kommenden Rockstars noch am Leben sein, könnten sie sich gegen die Vereinnahmung wehren. Also bleiben nur tote Vertreter dieses Berufstandes. Wenn sie aber nicht mehr am Leben sind, dann haben sie sich womöglich umgebracht. Oder sind an Drogen gestorben. Haben zu viel getrunken. Hatten ein loses Maul. Ganz sicher auch zweifelhafte politische Einstellungen. Und zuviel Sex hatten sie doch sowieso alle.
Alle bis auf Buddy. Das liegt vor allem daran, dass der in seinem nur 22 Jahre währenden Leben kaum Zeit gefunden hatte, neben einer Handvoll unsterblich gewordener Lieder auch schlechte Erinnerungen zu hinterlassen. Bis er vor mehr als 52 Jahren eines der Opfer des berühmtesten Flugzeugabsturzes der Popgeschichte wurde, war Holly so unauffällig geblieben, dass einer seiner Highschool-Lehrer gestand, sich erst an seinen Schüler erinnert zu haben, als er die Nachricht von dessen Tod in der Zeitung las.
Am 7. September wäre Buddy Holly 75 Jahre alt geworden
Am 7. September wäre Buddy Holly 75 Jahre alt geworden und pünktlich zu diesem Jubiläum wird deutlich, dass jenes Amerika, das er repräsentiert, endgültig verloren ist. Es war das Amerika der Fünfziger Jahre, ein Land im Aufbruch, stramm fortschrittsgläubig und doch ein wenig melancholisch, nicht mehr ganz unschuldig, aber immer noch ziemlich naiv, voller Elan, aber dabei unsicher wie ein pickliger Teenager: Ein Land, das mit großen Augen in die Zukunft blickte.
Solch große Augen hatte auch Charles Hardin Holley, als er im Alter von fünf Jahren einen Talent-Wettbewerb gewann. Später verschwanden die Augen hinter der großen Brille, die zu seinem Markenzeichen wurde, als er in nur zwei Jahren Hit auf Hit aufnahm.
Es gibt keine Filmaufnahmen von Holly, seit 52 Jahren hat ihn niemand mehr tanzen sehen. Vielleicht hat er ja die Hüften geschwungen wie Elvis, der ihm einst riet, die Brille nicht abzulegen für die Bühne. Die Fotografien zeigen nur einen schlacksigen, meist fröhlichen, angemessen selten auch nachdenklichen jungen Mann. Holly trägt die Haare nicht zu lang und Pullover mit V-Ausschnitt. Oder unförmige Anzüge, in die er hineingeworfen wirkt wie ein Kind in die Welt der Erwachsenen. Auf einem Foto mit Waylon Jennings, der, bevor er selbst ein Country-Star wurde, in Hollys letzter Begleitband den Bass spielte, lacht Holly wie befreit, eine Zigarette zwischen den Fingern. Näher, so scheint es, ist Buddy Holly Genussmitteln oder gar Drogen nie gekommen.
Die jugendfreie Alternative zu Elvis
Dieses unschuldige Verlangen steckt auch in nahezu allen seinen Liedern, in denen er nur eins thematisiert: die einzige, große Liebe. Eine Liebe, die zu rein ist, um wahr zu sein. Jene Liebe, die sich im ersten Kuss manifestiert und nicht zum Altern verdammt ist. Holly selbst heiratete sechs Monate vor seinem Tod. Bereits beim allerersten Rendezvous hatte er um die Hand von Maria Elena Santiago angehalten. Und ihr eine Rose geschenkt.
Holly war die jugendfreie Alternative zu Elvis. Presley war Sex, Holly bestenfalls Petting. Diese Unschuld faszinierte seine Zeitgenossen. Der Absturz der kleinen Chartermaschine am 3. Februar 1959 bei Clear Lake, Iowa, die Hollys Leben und das von "La Bamba"- Star Ritchie Valens und Radio-DJ The Big Bopper forderte, ging als "the day, the music died" in die Geschichte ein.
Was über die mythische Dimension seines Todes oft vergessen wird: Buddy Hollys Einfluss auf die Popgeschichte war und ist größer, als es heute manchmal scheint. Wohl niemand hat so viele Evergreens in so kurzer Zeit geschrieben, aber vor allem war Holly der erste weiße Rockstar, dessen Programm vornehmlich aus selbstgeschriebenenSongs bestand. In gewisser Weise ahmte er zwar nur nach, was Little Richard oder Chuck Berry vorgemacht hatten, aber die agierten unter den Bedingungen des musikalischen Rassismus damals in einer Parallelwelt. Holly war es vorbehalten, den Autoren einzuführen in ein Geschäft, das bis dahin auf Arbeitsteilung zwischen Sänger, Songschreiber und Produzent beruht hatte. Er half entscheidend mit, den Popmusiker vom Dienstleister zum Künstler zu befördern.
Holly war auch der erste Rocksänger, der seine Songs mit Streicherarrangements auspolsterte, er domestizierte den schwarzen Gospel für ein weißes Publikum, und ausgerechnet die großartigsten Diebe aller Zeiten haben sich bei ihm so ausführlich bedient wie bei niemandem sonst. Das fängt schon bei deren Namen an: Die Beatles wollten sich unbedingt nach einem Insekt benennen, weil Holly von Crickets, also Grillen begleitet wurde. Auch die Everly Brothers und Kinks wären ohne Holly kaum denkbar, die Hollies haben ihm sogar ihren Namen zu verdanken. Und als er 1958 durch Großbritannien tourte, saß ein gewisser Keith Richards im Publikum, zwei Tage vor dem Flugzeugabsturz sah ihn ein 17-Jähriger Bob Dylan, der Holly später bescheinigte, "selbst Nostalgie zu transzendieren".
Dass Holly und sein Werk auch heute nicht vergessen sind, beweisen zwei neue Tribute-Alben. Auf "Rave On Buddy Holly" und "Listen To Me: Buddy Holly" interpretiert ein denkbar breites Spektrum aktueller Künstler seine alten Songs. Für "Listen To Me" hat sich eher gesetzteres Personal versammelt. Brian Wilson, Chris Isaak, Jackson Browne, Linda Ronstadt, Jeff Lynne oder Lyle Lovett interpretieren die alten Gassenhauer sehr respektvoll, um genau zu sein: müde. Am Schlagzeug saß Ringo Starr.
Säulenheiliger der Tea-Party-Bewegung
Auch "Rave On Buddy Holly" hat seinen Ex-Beatle zu bieten. Paul McCartney entdeckt für "It's So Easy" nicht nur den Bluesmann in sich: Ohne ihn wären beide Compilations erst gar nicht möglich gewesen, besitzt er doch seit den Siebziger Jahren die Rechte am Songkatalog des von ihm verehrten Buddy Holly. Mit der Erlaubnis von Sir Paul darf Kid Rock nun aus "Well All Right" ein großartiges Stück Soul fertigen und Patti Smith mit "Words Of Love" beinahe, aber eben dann doch nicht in den Kitsch abstürzen. Modest Mouse erhielten die Erlaubnis, "That'll Be The Day" mit einem völlig neuen Rhythmus auszustatten, und Cee Lo Green arbeitet hingebungsvoll den bislang gut verborgenen Sex-Appeal von "(You're So Square) Baby I Don't Care" heraus. Selbst dem zu Tode genudelten "Peggy Sue" wird neues Leben eingehaucht, ausgerechnet als Lärmorgie von Altmeister Lou Reed. Beide Alben beweisen vor allem eins: Diese Songs sind einfach nicht kaputt zu kriegen.
Die Kraft seiner Lieder ungebrochen, ein Leben unbefleckt von Skandalen: Holly hätte das Zeug zum Säulenheiligen der Tea-Party-Bewegung zu werden. Bisher ist es aber nur Rick Santorum, der versucht, eine ideelle Verbindung herzustellen. Ob ihm das helfen wird? Schon wird spekuliert, wann Santorum aus dem Rennen um die republikanische Kandidatur aussteigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann