Buddha-Statue für Hannover: Die buddhistische Maria
Das Kloster Vien Giac in Hannover ist ein Zentrum des vietnamesischen Buddhismus. Am Wochenende wird dort eine weit gereiste Marmorstatue eingeweiht: Die dreieinhalb Tonnen schwere Avalokiteshvara verkörpert das Mitgefühl und die Liebe.
Fast sieht sie wie ein Popstar aus, die neue Statue auf dem Hof des buddhistischen Klosters Vien Giac in Hannover. Die Figur im langen Gewand steht auf einer Bühne, acht Scheinwerfer sind bereit, sie anzuleuchten. Dabei hat sie das eigentlich gar nicht nötig mit ihrem strahlend weißen Marmor. Ihre Augen sind geschlossen, als ob sie einer Musik lauscht. Irgendetwas Erholsames muss es sein, was sie da hört, denn auf ihren Lippen liegt ein leichtes Lächeln.
Der dreieinhalb Meter hohe und ebenso viele Tonnen schwere Koloss hat eine lange Reise hinter sich: Der Marmor für die Statue stammt aus Myanmar, geschaffen wurde sie in China. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Vietnam ging sie auf eine mehrwöchige Seereise, die in Deutschland ihr Ende gefunden hat: In Hannover wird sie an diesem Wochenende eingeweiht, dann reist sie zu ihrem endgültigen Bestimmungsort, dem Kloster Vien Duc in Ravensburg.
Zur Einweihungsfeier werden Vietnamesen aus ganz Deutschland nach Hannover kommen, um die Statue zu s ehen und ihr Fest zu feiern: das Avalokiteshvara-Fest. „’Avalokiteshvara‘ heißt ’die, die Leidende hört‘“, sagt Kloster-Mitarbeiter Hugo Cardenas. Seit zwölf Jahren arbeitet er im Kloster. Ein Mönch sei er nicht, eher ein „Mann für alles“, sagt er. „Oder besser: Dharma-Mitarbeiter, das klingt offizieller“, Cardenas lacht. Täglich führt er Besucher durch das gelbe Gebäude und erzählt ihnen vom Buddhismus.
Das mehrgeschossige, turmartige Hauptbauwerk des Klosters, die Pagode Vien Giac, gehört zu den größten in ganz Europa. Das Kloster war bei seiner Gründung vor rund 20 Jahren das erste seiner Art in Deutschland. Mittlerweile gibt es auch anderswo buddhistische Gemeinschaften für Vietnamesen, die Pagode ist nur noch eine von acht in Deutschland. Früher kamen mehrere Tausend vietnamesische Buddhisten aus ganz Deutschland, um in Hannover buddhistische Feste zu feiern. Für die Einweihung der Statue werden nur noch 500 bis 600 Gäste erwartet.
Geöffnet sind die Pforten der Pagode für jeden. So klebt im Verstorbenen-Gedenkraum neben vielen anderen Fotos das eines jungen Mannes. „Er war Katholik. Seine Mutter hat sein Foto aufgehängt, nachdem sie eine unserer Nonnen im Supermarkt getroffen hat“, erklärt Cardenas. „Die Frau hat unser Kloster immer für ein Asia-Restaurant gehalten. Auch jetzt kommt sie nur, um ihrem verstorbenen Sohn neue Opfergaben zu bringen.“ Die jüngste Gabe liegt noch unter dem Bild: eine Coladose und eine Tafel weiße Schokolade. „Die Frau ist keine Buddhistin“, sagt Cardenas. Dieses kleine Ritual helfe ihr aber, den Tod zu verarbeiten.
Dass die Toten auch den Buddhisten wichtig sind, zeigt sich an dem großen Haufen Gaben, die neben einem Altar in der Mitte des Raumes liegen: Chipstüten, Gummibärchen und Kekse. Was die Art der Opfergaben angeht, habe man sich dem Westen angepasst, so Cardenas. „Wir wollen ausdrücken, dass es den Verstorbenen jetzt hoffentlich besser geht. Das geht auch mit Süßigkeiten.“
Das Avalokiteshvara-Fest ist auch ein Fest für die Toten. Hinterbliebene wenden sich mit ihren Bitten und Wünschen an die Verstorbenen, genauso wie an die marmorne Avalokiteshvara auf dem Hof. Die Statue sei so etwas wie die buddhistische Maria, sagt Cardenas. „Sie steht für Liebe, Frieden und Mitgefühl.“
Zu den Ritualen des Avalokiteshvara-Festivals gehören die sogenannten Niederwerfungen der 500 Bodhisattva-Namen: Die Buddhisten werfen sich auf den Boden und sagen den Namen tibetischer Bodhisattva, gottähnlicher Gestalten – 500 Mal. Die Niederwerfungen werden im Laufe des Wochenendes dreimal wiederholt.
„Solche Traditionen und Rituale verstehen Menschen aus dem Westen kaum“, sagt Kevin Linde. Er kommt aus Pinneberg und ist zwischen lauter Vietnamesen der einzige Deutsche im Kloster Vien Giac. Wenn man ihn fragt, weshalb er sich mit 24 Jahren für das klösterliche Leben entschieden hat, lächelt er. „Ich wollte meinem Leben einen spirituellen Sinn geben“, sagt er.
Linde ist über Yoga zum Buddhismus gekommen. Er habe viel Zeit und Erklärungen gebraucht, um die buddhistische Tradition und ihre Rituale zu verstehen, sagt er. Am Anfang habe er alle kulturellen Fettnäpfchen mitgenommen: „Nach vier Jahren im Kloster fühle ich mich kulturell als Asiate.“
Vor einigen Jahren gab es schon mal einen deutschen Mönch im Kloster Vien Giac. „Er hat uns aber verlassen“, sagt Cardenas, „er fühlte sich noch nicht bereit, andere Leute zu beraten. „’Meine Landsleute stellen mir so viele Fragen über die Liebe‘, hat er uns erzählt, ’damit kenne ich mich doch selbst nicht aus.‘“
Im Buddhismus gibt es, genau wie im Christentum, unterschiedliche Ansichten zum Zölibat. Im vietnamesischen Buddhismus ist es nicht erlaubt, zu heiraten. Gleichberechtigung ist hingegen selbstverständlich: Frauen können im Vien Giac die volle Ordination erreichen, also zur Nonne ernannt werden.
„Ohne unsere Frauen wären wir ziemlich aufgeschmissen“, sagt Cardenas und blickt auf die drei kahlköpfigen Nonnen, die im Hof Lampions aufhängen. Die meisten Mönche seien schon älter und könnten solche Arbeiten nicht mehr machen. Einer von ihnen sitzt ein wenig abseits im Rollstuhl und isst ein Schokoladeneis. Eine halbe Stunde später wird auch er mithelfen.
Nach dem Fest wird die Avalokiteshvara-Statue die Gemeinschaft verlassen und die Mönche und Nonnen werden zu ihrem gewohnten Tagesablauf zurückkehren. Nichts bleibt – wie das im Buddhismus eben so ist.
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