■ Buchtip: Noch eine Geschichte aus dem Milljöh
„Ich hab' mich gefragt: Was nervt dich eigentlich an der ,Lindenstraße‘“? Ganz abgesehen von der Katzenmusik, womit sie die Sendung einjaulen. Ich bin zu der Meinung gekommen, daß es die Ausländer sind. Mir ist aufgefallen, daß es nur „gute Ausländer“ gibt. Es gibt keine Dealer, die Ausländer sind. Es gibt keine Ausländerzuhälter. Es gibt keine miesen Ausländergauner und Geschäftemacher, die scharf auf die schnelle Mark sind. Nein! Die Ausländer der „Lindenstraße“ sind immer „gute Ausländer“. Alle arbeiten sie wie die Bekloppten, machen keine deutschen Frauen an, halten die Gesetze ein und sind dicke Kumpels mit der Polizei. Und wenn mit einer Deutschen gebumst wird, sind sie mindestens verlobt. Sie sind wie der „gute Indianer“ aus dem Ami-Western, der den weißen Soldaten zeigt, wo seine Sippe sich versteckt hält. Sie beulen sich nicht mit dem Ausländer-raus-Wichser. Sie gucken ein bißchen beleidigt, bis die „guten Deutschen“ dazwischenspringen und den „guten Ausländer“ verteidigen. Sie haben keinen Stolz, diese Ausländer. Sie wollen deutscher sein als die Deutschen [...] In Deutschland gibt es x-tausend Arschlöcher von Ausländern, die nicht die Scheiße wert sind, die sie scheißen! Das muß mal ganz korrekt gesagt werden!“ (Ibo, 17 Jahre)
Ibo, als Kind zur Behandlung eines komplizierten Beinbruchs von seinem in Hamburg arbeitenden Vater aus der Türkei importiert und dageblieben, darf wohl kaum auf ein Engagement in der „Lindenstraße“ hoffen. Seit er mit elf Jahren seine Schulkarriere abgebrochen hat, lernt er auf der Straße die weniger legalen Methoden fürs Leben. Die Erlöse seiner Raubzüge werden gleich an den nächsten Abenden durchgebracht.
Inzwischen ist Ibo 17 und auf der Suche nach einem Ausweg. „Ich weiß, ich hänge an einem dünnen Faaden. Wenn er reißt, wandere ich in den Knast.“ Aus einer Laune heraus – eher Selbsttherapie als Öffentlichkeitsarbeit – erzählt der Prügelknabe dem schriftstellernden Nachbarn seine Lebensgeschichte. Hans Jaeckel hat sie „aufgezeichnet“. Und es wurde gut: „Ibo“ ist weder ein neues Machwerk aus der Abteilung Lichterkettenprosa (Ausländer = Opfer und wenig mehr) noch eine sensationsgeile Asozialreportage über die angeblich immer gewalttätigere Jugend. Kein trendy HipHop-Slang, keine Gang(ster)rituale, kaum Skinhead-Bashing – statt dessen genaue Momentaufnahmen der Konflikte, Freundschaften und Kommunikationspfade zwischen Alten und Jungen, In- und Ausländern im Hamburger Kiez. Klasse Buch. Weitererzählen. Farin
Hans Jaeckel: „Ibo“. Unionsverlag, Zürich 1996, 168 Seiten, 22 DM
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