Buchmesse 2.0: Bilderbuch trotzt Online
Im Lesedom zu Frankfurt gibt es nun Daddelkonsolen. Die Alternative: hochwertige Kinderbücher – in Leinen gebunden.
"Guck mal! Hier gibt es Betten aus Pfahlmuscheln oder Austern. Und dazu Matratzen aus Seegras, Algen oder Schwamm!", giggelt Emma am Computer. Sie spielt "Muschelzimmer einrichten", ein Spiel, das auf der Webseite zur Kinderbuchreihe "Pimpinelle Meerprinzessin" zu finden ist. Pimpinella-Bücher kennt sie nicht, sondern nur einen Auszug. Und den hat sie im Zug entdeckt - in der "Leselok".
Die "Leselok" ist ein neues Kindermagazin. Seit diesem Sommer verteilt es die Deutsche Bahn kostenlos in den Zügen. Das 20-seitige Heft ist eine Kooperation der Bahn mit dem Ravensburger Verlag, aus dessen Buchtiteln, Kurzgeschichten und Romanauszügen sich der Inhalt zusammensetzt.
Die "Leselok" ist eine gute Idee, denn sie hat Niveau. Sie erinnert an das Bilder- und Geschichtenmagazin "Der bunte Hund". Vor einem Jahr musste der Lesehund eingestellt werden - aus wirtschaftlichen Gründen. Die Kooperation zwischen einem Verlag und einem Unternehmen wie der Bahn macht es nun möglich, ein Lesemagazin für Kinder sogar kostenlos anzubieten. Ein Phänomen, das auch auf der heute beginnenden Buchmesse zu beobachten ist.
Auf Kooperationen zwischen Buchbranche und anderen Wirtschaftszweigen legt die Frankfurter Buchmesse einen ihrer Schwerpunkte. "Creative Content" heißt er und steht neben dem Gastland China und "Zukunft Bildung" im Fokus. "Es hat auch schon in den vergangenen Jahren Aussteller der Creative Industries gegeben", sagt Caroline Vogel von der Buchmesse, "das sind die Branchen Film, Games, Musik, Design und Fotografie, aber in diesem Jahr stehen sie im Fokus, und man möchte Kooperationen verstärkt anregen." Zwar stehe das gedruckte Buch nach wie vor im Mittelpunkt, aber "die Buchmesse wird immer mehr zu einer Medienmesse", so Vogel.
Es geht dabei um die neuen Leseformate wie die E-Books, und Literatur wie Manga und Fantasy zum Downloaden fürs Handy. Vor allem aber sind da gewinnbringende Kooperationen des Buchs mit anderen Branchen. Und das sieht dann so aus: "Trendpanel Creative Industries: Future meets Books meets TV meets Games meets Mobile?" Mit solchen Überschriften zeigt der Buchhandel, wie offen er für andere Wirtschaftszweige ist.
Bei Kinder- und Jugendbüchern findet man jetzt schon für einzelne Buchtitel oder Serien aufwendig gestaltete Webseiten. Darin integriert sind Games, Quizfragen und Foren, in denen sich Jugendliche über die Bücher austauschen sollen. Auch die Social Media, also Plattformen wie Facebook, MySpace und Twitter, will die Messe diskutieren. Vielleicht kommen dann Aktionen wie die des jungen Autors Rainer Schmidt dabei heraus. Der ließ 300 Vorleser vom DJ bis zur Studentin je eine Seite aus seinem 300-seitigen Roman "Liebesreigen" vor laufender Kamera lesen und stellt die Videos nun bei MySpace ein. Auch eine Kunst.
Die Messe will das Know-how anderer Branchen anzapfen, die eine große Nähe zum jungen Publikum haben. Und sie will den Buchhändlern die Scheu nehmen. Wie Bücher in Games adaptiert werden und wie auch Buchhändler ihre Skepsis gegenüber Videospielen im Buchsortiment überwinden können, sind Themen der Messe. Überall werden also Spielkonsolen auf dem Messegelände aufgestellt sein, um den einen oder anderen Buchhändler zu verlocken. "Keiner weiß, was kommt", sagte Messegeschäftsführer Juergen Boos. "Aber: Alle dürfen und können alles ausprobieren."
Es gibt auch kritische Stimmen. Und die gehen in etwa so: Sind Bilderbücher im DVD-Format eigentlich zu befürworten - da sie doch gestresste Eltern noch eher dazu bringen, ihre Sprösslinge vor dem Fernseher zu parken, statt vorzulesen? Oder: Wo bleibt das gedruckte Buch im Digitalisierungshype?
Während die einen crossmedial unterwegs sind, vernetzen sich andere aus Interesse. Zum Beispiel ist der Anfang dieses Jahres neugegründete Verein Netzwerk Mehrsprachigkeit e. V., der Verlage, Autoren, Übersetzer, Pädagogen, Wissenschaftler und Institutionen vereint, mit 13 Verlagsständen vertreten. Er stellt mehrsprachige (Kinder-)Bücher vor.
Dieses Netzwerk steht für das Interesse an der Sprachförderung von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund. "Man hat jahrzehntelang davor die Augen verschlossen, dass Deutschland ein Migrationsland geworden ist. Inzwischen erkennt man das Potenzial", meint Literaturwissenschaftlerin Bettina Kümmerling-Meibauer. Sie wird am Donnerstag bei der Podiumsdiskussion zum Thema Mehrsprachigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur teilnehmen.
Auch der Bundesverband für Leseförderung, der sich auf der Leipziger Buchmesse in diesem Jahr gegründet hat, hat erstmals einen Stand auf der Buchmesse. Er informiert darüber, wer was in Sachen Leseförderung in Deutschland, Österreich und der Schweiz macht.
Eine deutliche Gegenbewegung zur Digitalisierung lässt sich indes bei Kinder- und Jugendbüchern erkennen. Man setzt auf das, was digital nicht kann - und zeigt den E-Books eine lange Nase. Ästhetisch ansprechend, inhaltlich hochwertig und häufig keiner der üblichen Sparten wie Bilderbuch, Sachbuch oder Kinderbuch mehr zuzuordnen, sind wahre Schätze zu entdecken. Der kleine Moritz Verlag etwa, der in diesem Jahr fünfzehn Jahre wird, legt ein großes 80-seitiges (die meisten Bilderbücher haben 32 Seiten!) Bilderbuch mit Leinenrücken vor, in dem der chinesische Illustrator und Künstler Chen Jianghong von seiner Kindheit im China während der Kulturrevolution erzählt. Sowohl inhaltlich als auch von seinem Erscheinungsbild ein wahres Geschenk.
Auch der vor einem Jahr gegründete Jacoby & Stuart Verlag setzt auf Qualität. Besonders bemerkenswert sind "Lienekes Hefte". Mit diesen während des Zweiten Weltkrieges entstandenen Bilderbuchbriefen legt der Verlag nicht nur ein wichtiges Zeitdokument und grafisches Liebhaberstück vor, sondern auch eine herstellungstechnische Raffinesse. Der Verlag hat jedes der neun Hefte, die der Jude Jakob van der Hoeden seiner inkognito bei einer anderen Familie untergebrachten Tochter schrieb und malte, in Originalgröße und fadengeheftet nachgebildet und sie in einen kleinen Schuber hineingesteckt.
Kostenintensiv in der Herstellung wie dieses sind auch Pop-up-Bücher, unter denen sich manches Kleinod entdecken lässt. So zum Beispiel im Knesebeck Verlag, der eine Moby-Dick-Adaption in Pop-up-Version in diesem Herbst auf den Markt gebracht hat. Doch wie werden diese Perlen ihren Weg in Kinderhände finden? "Emma, wollen wir mal eines dieser Pimpinella-Bücher aus der Bibliothek ausleihen?" Der Bildschirm ist schwarz, Emma sitzt auf dem Boden und malt. "Nee", sagt sie, "muss nicht sein, Mama."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge