Buchautorin Carolin Emcke: "Ich will mich nicht verkleiden müssen"
Carolin Emcke hat ein kluges und gänzlich unkitschiges Buch über das Begehren geschrieben. Es handelt streng genommen von nichts als dem guten Leben.
Um die nicht besonders überraschende Pointe vorwegzunehmen: Wer, wenn nicht sie, hätte so ein Buch schreiben sollen? Carolin Emcke steht nicht in Gefahr, unter KollegInnen als Autorin über Nischenkulturelles verrufen zu werden.
Diese Journalistin, Jahrgang 1967, hat über die RAF geschrieben, erhielt für ihren erhellenden Essay über „Liberalen Rassismus“ vor zwei Jahren den Otto-Brenner-Preis für Kritischen Journalismus, für das Buch „Von den Kriegen“ eine Auszeichnung der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie den Theodor-Wolff-Preis vor vier Jahren.
Und jetzt steht sie mit „Wie wir begehren“ in der Arena, etwa für den Preis der Leipziger Buchmesse auf der Vorschlagsliste. Für eine sehr persönliche Geschichte, die sich um Lesbisches, Schwules, Anderssexuelles dreht. Und zwar ganz und gar explizit, nicht zwischen die Zeilen gepackt.
Nein, Carolin Emcke kann es sich leisten, über Begehren zu schreiben, über ihr Begehren. Es ist ihre Geschichte, und zugleich – hat man das Buch gelesen – darf man wissen, dass es eine von Millionen ist. Sie werden sich wiedererkennen und diese ultragenaue Sprache auf den gut 250 Seiten lieben. Ein Coming-out-Traktat ist es trotzdem nicht. Wie könnte dies auch sein?, fragt Carolin Emcke. Versteckt, sozusagen als selbst verheimlichte Homosexuelle lebt sie nicht.
Im tazlab: Am 14. April liest Carolin Emcke aus ihrem Buch „Wie wir begehren“. S. Fischer, Frankfurt 2012, 254 Seiten.
Der Autor: Jan Feddersen, 54, ist Redakteur für besondere Aufgaben und verantwortlich für das tazlab.
Keine Geständnisliteratur
„Das wäre ein Missverständnis“, sagt sie beim Gespräch in einem Kreuzberger Café, „das ist keine Geständnisliteratur, ich muss mich ja nicht mehr outen.“ Sie nennt ihr Buch eine „Coming-of-Age-Geschichte, sie erzählt vom Erwachsenwerden und stellt zugleich die Frage, was das eigentlich heißen soll“. Gut formuliert, Carolin Emcke, aber nüchterner gesprochen darf man sagen, dass ihre Geschichte angenehm typisch geraten ist. Besser: von dem berichtet, was viele andere kennen.
Eine Kindheit, eine Jugend, in der Schwules, Lesbisches nicht existiert; dass eine Frau eine Frau begehrt, ein Mann einen Mann wird traditionell beschwiegen oder verwitzelt oder mit gehässigen Worten verworfen. „Man bleibt immer unsichtbar, normalerweise“, sagt sie, was auch bedeutet: Wird das Homosexuelle nicht selbst von schwulen Männern oder lesbischen Frauen thematisiert, bleibt es stumm – die gewöhnliche Erwartung wird auf Heterosexuelles gesetzt.
Sie hat sich nie verhuscht gemacht. Emcke war als Reporterin in vielen Teilen der Welt, in denen schwule Männer und lesbische Frauen des Todes sind. Aber deshalb schweigen? „Im Ausland meine Homosexualität zu verbergen, hat gelegentlich auch mit Selbstschutz zu tun. Aber ich merke auch dort, dass mich dieses Verschweigen umtreibt. Ich will mich nicht verkleiden müssen. Masken mochte ich schon als Kind nicht.“ Aus diesen Sätzen klingt eine sattelfeste Coolness, eine gute Selbstkenntnis – und Courage allenthalben, sich nicht einreden zu lassen, dass beschämend sein könnte, wer sie ist.
Aber all das klingt, gemessen an ihrem Buch selbst, wie das Übliche zum Thema. Die Entdeckung der eigenen Homosexualität als biografische Tragödie – Emcke aber besteht auf anderes: „Es gibt diese Geschichten, die sich entlang der Unterdrückung und des Leids erzählen. Nicht, dass das nicht stimmte, das ist gar nicht zu bestreiten. Aber mir war es wichtig, neben all dem schweren auch eine positive Geschichte zu erzählen.“ In der Tat, das gelingt ihr bestechend. Ihre Entdeckung, in einem gewissen Sinne sehr anders zu sein als die anderen, dauert viele Jahre, sie birgt sie in ihren mittleren Zwanzigern.
Filigrane Suchbewegungen
Dass sie jedoch, was ihr Begehren anbetrifft, nicht so tickt wie das Gros ihrer Freunde und Bekannten, ahnt sie erst nach und nach. Ihr Lebensroman kreist um Handball, um Jungs, um Verschwinden im Wald nach der Schule, in filigranen Suchbewegungen – und um Musik, um Modulationen. Vor allem jedoch um Glück, um die Liebe.
Carolin Emcke betont gerade diesen Punkt, um ihre Distanz zu katastrophenseligen Geschichten zu wahren. Als Frau eine Frau zu begehren, sie zu lieben, in ihren Körper hinein und wieder hinaus, sie wirklich zu wollen – darauf komme es an. „Du musst aufwachen können mit diesem Begehren und das Gefühl haben, ein Versprechen von Glück, von Erfüllung, Lust vor dir zu haben.“
Und eben nicht, so ließe sich fortsetzen, in traditioneller Manier, mit dem Coming-out nichts als einen Berg Probleme vor sich zu haben. Emcke, das ist das Privileg ihrer Generation, ist gewiss mit beredtem oder verklemmtem Nichtsprechen über das Thema Homosexualität aufgewachsen, aber nicht mit Paragrafen aus der Nazizeit und einer Mentalität der Bekämpfung und Verfolgung.
Keine traumatisierende Entdeckung
Insofern ist „Wie wir begehren“ auch ein poetisches Buch über eine vielleicht irritierende, aber nicht traumatisierende Entdeckung – diese Lust am Sexuellen am eigenen Geschlecht. Trotzige Posen liest man so nicht heraus, sie fehlen, weil der Autorin diese Art von Bekenntnis fremd ist. Scham? „Schambesetzt sind Passagen in der Erzählung – aber nicht die Sorte Scham, die man fühlt, wenn man etwas über die eigene Art zu lieben enthüllt. Sondern die Sorte Scham, die man fühlt, wenn man sich nicht gut benommen hat.“
Genug wichtige Statements von ihr eingesammelt. Möglicherweise gilt für ihr Buch vor allem dies: eine warmherzige, durchweg unkitschige Geschichte, wie es sie bisher nicht gab.
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