Buch von „Charlie Hebdo“-Zeichner Luz: Zwiegespräch am offenen Grab

Der Zeichner Luz überlebte den Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“. Sein persönliches Trauma hat er in „Katharsis“ bearbeitet.

Der französische Cartoonist Luz hält sich die Hand vor den Mund

Sprachlos: Luz bei einer Pressekonferenz kurz nach dem Attentat. Foto: dpa

Wenn einer von Charlie Hebdo mal kurz einen Furz rauslässt, sind sofort 15 Journalisten zur Stelle, um daran zu schnuppern“, verkündete der Zeichner Renald Luzier, besser bekannt als Luz, ausgerechnet im Interview mit der Internet-Zeitung Médiapart. Das Gespräch fand letzten Mai zum Erscheinen seines Buchs „Katharsis“ statt, das nun auch auf Deutsch erhältlich ist.

In „Katharsis“ verarbeitet Luz den Anschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins vom 7. Januar und blickt dabei auf vier Monate blanken Wahnsinn zurück: Nicht nur seine Person und der neue Redaktionssitz standen seitdem kontinuierlich unter Polizeischutz, sondern auch das gesamte Team im unentwegten Fokus der Medien. Den Überdruss an jener Aufmerksamkeit kommentiert nun auch einer der etwa 30 Sketche, aus den „Katharsis” besteht: Er zeigt Luz, wie er sich das Mikrofon eines Reporters schnappt und es sich in den Hintern steckt.

Eigentlich hätte Luz in der Redaktion von Charlie Hebdo sitzen sollen, als das Kalaschnikow-Geknatter losging, das allein im Redaktionsgebäude zwölf Menschen in den Tod riss. An dem Morgen aber feierte er seinen 43. Geburtstag. Als er mit etwas Verspätung bei Charlie Hebdo eintraf, wurde er einer der ersten Zeugen der Tragödie. Auf der Straße erblickte er beide Attentäter, wie sie auf der Flucht um sich schossen. Unter Luz’ Feder verwandelt sich diese Szene zu einer Tanzchoreografie, die in einem Liebesakt auf dem Bürgersteig kulminiert.

Luz’ gezeichnete Katharsis fängt mit seiner Zeugenaussage im Sitz der Pariser Kriminalpolizei an: „Darf ich ein Blatt Papier und einen Stift nehmen?”, fragt er den Polizeibeamten. „Natürlich”, antwortet dieser. „Nehmen Sie sich Zeit.” Mit zitternder Hand kritzelt er ein Strichmännchen, das seinen Schöpfer mit weit aufgerissenen Augen fassungslos anstarrt – und noch eins, und noch eins, bis das Blatt voll ist.

Ein ungewünschtes Symbol

Zeit, um das Massaker an seinen Freunden zu verarbeiten, hatte er keine. Noch unter Schock fand sich Luz im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit wieder: Der Anschlag war zur nationalen, ja internationalen Angelegenheit geworden – und Charlie Hebdo zum Symbol der Meinungsfreiheit.

Die massive Anteilnahme rühre ihn zwar sehr, sagte Luz der Zeitschrift Les Inrocks kurz nach dem Attentat. Doch die aktuelle symbolische Bürde widerspreche genau dem, woran Charlie immer gearbeitet hätte: „Symbole zerstören, Tabus stürzen, Wahnvorstellungen entlarven.” Unbeirrt kommentierte er weiter: „Dieser plötzliche Konsens nützt Hollande, um die Nation wieder zusammenzuschweißen. Er nützt aber auch Marine Le Pen, um die Wiedereinführung der Todesstrafe zu verlangen. Symbolik kann jedem zu jedem möglichen Quatsch dienen.“

Den Frust über die Vereinnahmung des Anschlags brachte Luz auch bei seiner Grabrede zur Beerdigung von Stéphane Charbonnier, seinem ehemaligen Chefredakteur und besten Freund, auf den Punkt: „Ihr seid Charlie? Dann beweist es!”

Gezeichnete Katharsis: Luz’ unmittelbare Reaktion auf dem Polizeirevier. Foto: Luz

In der Mitte des Bandes „Katharsis“ zeichnet er sich, wie er über Charbonniers ausgehobenem Grab sitzt und ihm von seiner Beerdigung erzählt. Gelächter strömt aus dem gähnenden Erdloch. „Charb, bist du’s?”, fragt Luz. „Aber nein, das bist du selbst, du Idiot! Du führst ein Zwiegespräch im Kopf”, antwortet seine eigene als Geisterstimme aus dem Grab. „Du musst dich dran gewöhnen, Mann. Charb ist nicht mehr da, du redest ab jetzt mit dir selbst.“ Durch den Kunstgriff kann Luz das Unsagbare aussprechen: Den Anschlag überlebt zu haben, zermürbt ihn. Und wenn er jetzt auch tot wäre? „Warte! Fall nicht runter! Wie käme ich denn sonst wieder hier raus?”, warnt ihn sein imaginäres Ich. Und macht den seelischen Abgrund für jeden sichtbar, vor dem Luz steht.

Seine Frau Camille, der viele Seiten gewidmet sind, habe ihm den Mut gegeben, weiter zu leben, weiter zu lieben – aber auch flüchtige Begegnungen, wie mit dem Mann im Café, der sich beim Lesen von Franquins „Schwarze Gedanken” vor Lachen kugelt. „Dabei war Franquin dermaßen deprimiert, als er ‚Schwarze Gedanken’ gezeichnet hat”, bemerkt Luz, dem das Zeichnen vor Kummer und Wut fast abhanden gekommen wäre.

Sein Handwerk wurde ihm zu Fluch und Flucht, wie sich aus dem Sketch „Fürsorgliche Überwachung” herauslesen lässt: Drei Wächter stehen hinter Luz am Zeichentisch und überwachen seine Sicherheit. Dem Blatt Papier entspringt ein zweiter gezeichneter Luz und lenkt die Wächter ab. Der erste Luz geht derweil im Wald spazieren. Von der Natur inspiriert holt er seinen Zeichenblock aus der Tasche. Doch auf der ersten Seite sitzt er wieder mit den drei Wächtern im Rücken, die prompt aus dem Blatt hervorspringen, um ihn zu überwachen. Mit dem Zeichnen kommt das Trauma, die Ausweglosigkeit, der triste Alltag ohne die alten Partner wieder hoch. Aber das Zeichnen kann ihn auch vor der Depression retten, von den Ängsten befreien.

Wie sein Mentor Cabu, der am 7. Januar starb, arbeitete Luz für „Katharsis“ mit einer Feder statt dem ihm gewohnten Pinsel – eine Hommage zwischen den Strichen. Die anderen Überlebenden hingegen kommen in dem Band nicht vor – ebenso wenig der Streit um die Millionen, die Charlie Hebdo durch Spenden und den phänomenalen Abo-Zuwachs infolge des Anschlags zuflossen. Luz’ eigene Ankündigung vom April, den Propheten Mohamed nie wieder zeichnen zu wollen, spielt der Sketch „Kleks” an: Aus Versehen verschüttet Luz ein kleines Tintenfass auf ein frisches Blatt Papier. Sofort erscheint neben ihm ein Islamist: „Er hat schon wieder Mohammed gezeichnet!“, kreischt dieser. Beim Versuch, seine Unschuld zu beteuern, kann der Karrikaturist nur scheitern.

In Frankreich wurde es ein Beststeller

Aktualität inspiriere ihn nicht mehr, gab er als Grund für seine Kündigung bei Charlie Hebdo an, die im September in Kraft trat. Ohne Charb, Cabu und Co. sei zudem der Redaktionsschluss zu einer einzigen Qual geworden. Nun verkündete auch sein Kollege Patrick Pelloux, Charlie verlassen zu wollen: „Wir müssen das Kapitel beenden, damit es uns besser geht.“ Am Ende haben also doch die Terroristen gewonnen, stöhnte darauf die Öffentlichkeit. Vor „Katharsis“ aber verneigen sich Kritik wie Leserschaft. In Frankreich wurde es ein Beststeller.

Der Erfolg von „Katharsis“ liege in dessen therapeutischen Tugenden, erklärt der französische Verleger Alain David der Zeitung Le Figaro: „Was im Januar passiert ist, hat schockiert, traumatisiert. Das Buch hat seinem Autor gut getan, und tut nun auch den Lesern gut.”

Luz: „Katharsis”. Dt. v. Aumüller/Osterwald. S.Fischer, Frankfurt, 2015, 126 Seiten, 16,99 Euro

Allein in den letzten Monaten sind in Frankreich über 40 Bücher erschienen, die sich mit dem „Après-Charlie” beschäftigen. Für heftige Debatten sorgte vor allem „Qui est Charlie?” des Historikers und Demografen Emmanuel Todd, in dem er den solidarischen Trauermarsch vom 11. Januar als einen „Anfall von Hysterie” bezeichnet und sich von den Partizipanten distanziert.

Charlie Hebdo selbst ist im ganzen Wirbel mittlerweile fast zweitrangig geworden, wenn auch das Heft es kürzlich wieder geschafft hat, die Öffentlichkeit mit teils wenig geschmackvollen Witzen vor den Kopf zu stoßen. Ganz wie früher. Doch die Diskussion über das Après-Charlie fängt gerade erst an. Sie wird bestimmt noch viel Tinte fließen lassen.

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