Buch über Walter Benjamins Familie: Erinnern und vergessen
Uwe-Karsten Heye erinnert an die Frauen der Familie von Walter Benjamin. Beim Kapitel über Dora Benjamin hat er aber die Quellenangabe vergessen.
Düstere Stellen gibt es im Leben des umfassend erforschten Philosophen Walter Benjamin viele, im Dunkeln liegende immer weniger. Für seine Familie gilt Letzteres nicht. Uwe-Karsten Heye, einst Sprecher von Kanzler Gerhard Schröder, hat sich in „Die Benjamins“ den Angehörigen des von den Nazis in den Tod getriebenen jüdischen Kulturtheoretikers gewidmet. Am Freitag präsentierte der Berliner Aufbau Verlag das Buch in Potsdam.
Heyes Beitrag zur Benjamin-Forschung dürfte vor allem die Auswertung bislang unbekannter Briefe aus dem Nachlass von Hilde Benjamin sein. Die ehemalige Justizministerin der DDR und Ehefrau von Walters Bruder Georg ist nicht nur wegen ihrer Beteiligung an den Waldheimer Prozessen als kommunistische Überzeugungstäterin verschrien. „Doch ihre DDR-Vita ist nicht erklärbar ohne ihre Familiengeschichte, ohne die existenzielle Bedrohung, die keiner von uns sich überhaupt noch vorstellen kann“, sagt Heye.
Konservative Kreise in der Bundesrepublik hatte Hilde als „Rote Guillotine“ und „Bluthilde“ beschrieben und sie mit dem Vorsitzenden des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, verglichen – was besonders infam war, weil Freisler der kommunistischen Anwältin 1933 Berufsverbot erteilt hatte, während ihr Mann Georg in das KZ Sonnenburg deportiert wurde. Zwölf Jahre musste Hilde den gemeinsamen Sohn Michael als sogenannten Mischling ersten Grades verstecken, nie konnte sie sicher sein, dass die Nazis nicht als Nächstes die „Mischlinge“ vernichten würden.
Unerbittlichkeit folgt der Verfolgung
Uwe-Karsten Heye: „Die Benjamins: Eine deutsche Familie“. Aufbau Verlag, Berlin, 361 Seiten, 22,99 Euro
Aus dieser Zeit stammen Briefe, die Heye von Hildes Schwiegertochter Ursula Benjamin zugänglich gemacht wurden: „Ich schrieb Dir ja schon, dass ich mir keine besonderen Aussichten verspreche; hoffentlich bist auch Du frei von Illusionen. Wenn es anders kommen sollte, dann umso besser“, heißt es etwa in einem Schreiben von Georg aus dem KZ. Es kam nicht anders. Georg starb 1942 in der „Schutzhaft“; auch seine Geschwister Walter und Dora überlebten den Nationalsozialismus nicht.
Heye versucht nachzuzeichnen, wie das Leid der verfolgten Kommunistenfamilie in Hildes Unerbittlichkeit bei der Verfolgung von NSlern mündete. Er habe die DDR-Justiziarin aus der „Kalten-Kriegs-Semantik herausschälen“ wollen, sagt er. Die Juristin sei „bevorzugtes Ziel“ revisionistischer Kampagnen, „verbunden mit einer Neigung, das SED-Regime derart schwarzzumalen, dass die Ungeheuerlichkeit des SS-Staates dagegen zu verblassen schien“, so Heye. Sein Buch solle „die Chance eröffnen, eher fairer“ mit Hilde Benjamin umzugehen.
Nicht immer wahrt Heye die gebotene Distanz. So schildert er einen Besuch im KZ Mauthausen, in dem Georg starb, als Zugang zur authentischen Erfahrung der Häftlinge: „Aber dann, zusammen mit einigen hundert Besuchern an diesem Tag, ist man plötzlich eingereiht und wird zu einer der Elendsgestalten, die halb verhungert vor mehr als siebzig Jahren aus den Eisenbahnwaggons am Bahnhof von Mauthausen kletterten oder einfach herunterfielen.“
Fotschrittliche Denkerin Dora
Auch den Blick auf Dora Benjamin, einer hellwachen Sozialforscherin, die ihrem Bruder Walter ins Exil gefolgt war, will Heye korrigieren. „Unterschätzt und übersehen“ hätten die Walter-Biografen die Frau, die für ihn jedoch eine beeindruckende, fortschrittliche Denkerin war.
Doch in seinen Ausführungen zu ihr hat sich Heye dabei bei einer Historikerin bedient, ohne dies deutlich zu machen. Vor Auslieferung der ersten Bände musste der Aufbau Verlag deshalb einen „Errata“-Zettel auf die Seite 3 des Buchs kleben. Etwas unvermittelt steht da, das Kapitel „Wo bleibt Dora?“ folge „in Aufbau, Text und Quellen weitgehend“ einem Aufsatz der Bremer Wissenschaftlerin Eva Schöck-Quinteros. Heye erwähnt einmal – auf der siebten Seite des Kapitels – einen „Sonderdruck der Universität Bremen“ von 1997 über die „Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland“, nennt jedoch weder den Namen des Aufsatzes noch dessen Verfasserin.
Dabei hat er auf 21 von 25 Seiten des Kapitels wörtliche Übernahmen benutzt, ohne diese als Zitat kenntlich zu machen. Teils sind ganze Absätze übernommen. „Ich muss ehrlich sagen, bei der Fülle von Quellen ist mir das untergegangen“, sagt Heye dazu. „Ich habe geschrieben, dass es diese Konferenz in Bremen gab, aber die Autorin nicht erwähnt, das ist ein Versäumnis, das ich bedaure.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen