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Buch über Harald SzeemannEin geistreicher Spekulant

Der Kunsthistoriker Roman Kurzmeyer hat ein spannendes Buch über den legendären Ausstellungsmacher Harald Szeemann geschrieben.

Harald Szeemann (1933 – 2005) in der Ausstellung „Monte Verita, Mammelle delle verita“, Zürich 1978 Foto: Keystone Schweiz/laif

Er war einer, der Skulpturen vom Sockel nahm und sie „nackt“ auf den Boden platzierte. Und zwar so dicht beieinander, dass man sich durch die sonst kathedralweiten Säle einer Kunsthalle geradezu seinen Weg bahnen musste. 1969 ließ Harald Szeemann in seiner damals kritisierten und heute legendären Ausstellung „Life in your head: When attitudes become form“ die Glasscheiben von Mario Merz niedrig an der Wand lehnen wie abgestelltes Baumaterial und Barry Flaganans dickes Tau manöver-erzwingend durch gleich zwei Säle legen.

Und womöglich ließ Harald Szeemann gar nichts stellen und legen, sondern stellte und legte eigenhändig, gemeinsam mit den vielen der 56 beteiligten Künstler (davon mit Hanne Darboven und Eva Hesse nur zwei Frauen!), die in der Vorbereitung von „When attitudes become form“ die Berner Kunsthalle zum kollektiven Atelier erklärt hatten.

Der prägende und 2005 verstorbene Schweizer Kunstmann Harald Szeemann war ein Macher, ein Ausstellungsmacher. Kein Kurator. Der Begriff „Ausstellungsmacher“ hängt ihm geradezu natürlich an, wo auch immer Szeemann erwähnt wird. Das wird er häufig, seit ihm die Fondazione Prada mit der Rekonstruktion seiner legendären Attitudes-Schau 2013 in Venedig und das Getty Institute 2018 mit der Reinszenierung seiner Wohnzimmerausstellung „Großvater: Ein Pionier wie wir“ auch posthum Ruhm bereiten.

Doch was macht Szeemann nun zum Ausstellungsmacher und nicht etwa zum Kurator? Der Schweizer Kunsthistoriker Roman Kurzmeyer konnte als sein Mitarbeiter in den achtziger Jahren – Szeemann hatte schon längst den Direktorenposten an der Berner Kunsthalle geschmissen und konzipierte nun frei, als alleiniger Kopf seiner „Agentur für geistige Gastarbeit“ weltweit Kunstausstellungen – diese andere Arbeitshaltung des Kunstmanns verfolgen.

Das Buch

Roman Kurzmeyer: „Zeit des Zeigens. Harald Szeemann, Ausstellungsmacher“. Edition Voldemeer, Zürich 2019. Gebunden, 272 Seiten, 29,95 EUR

Zeit des Zeigens

Denn Szeemann war kein passiver Beobachter der Kunst- und Kunstgeschichte, sondern er griff performativ in ihre Schaffung und Schreibung ein, die Ausstellung war ihm Medium der Kunst. Das hält Kurzmeyer in seinem Band „Zeit des Zeigens: Harald Szeemann, Ausstellungsmacher“ fest.

„Wie Aby Warburg war Szeemann, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, Anthropologe“ schreibt Kurzmeyer eingangs und deutet an anderer Stelle: „Er verstand sich als Subjekt des Kunstwerks“, es ging ihm um eine „authentische künstlerische Wahrnehmung und deren spezifische Erscheinungsform“. Aus Kurzmeyers Beobachtungen wird deutlich: Ohne Berührungsängste rückte Szeemann so nah wie möglich an Kunstwerk und Künstler heran, über die Epochen und Genres hinweg.

Ob er sich nun für ein Renaissancegemälde der Johannesenthauptung von Niklaus Manuel Deutsch interessierte „wegen ihrer persönlichen Mythenbildung durch Befreiung der Symbole aus ihrem religiösen Kontext“, oder durch sein enormes soziales Netzwerk die Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst selbst miterlebte, wie in seiner Freundschaft zu Künstler Niele Toroni, dessen Hinwendung zu einer mechanischen Malerei er begleitete.

Letztlich war Szeemann ein geistreicher Spekulant, nicht nur über Kunst allein, sondern über Kultur im Allgemeinen. In Alfred Jarry, der als Autor und Theatermacher im Paris des späten 19. Jahrhunderts die absurdistische Nicht-Wissenschaft der Pataphysik ins Leben gerufen hatte, fand er eine Orientierungsfigur. Jarrys Methode, Sammeln von Ideen, Assoziieren und hierarchieloses Gleichstellen von Fakten überführte Szeemann in grenzüberschreitende Ausstellungen.

Kunst und Kitsch

Und er zeigte seine Mutmaßungen mit Bildern jeglicher Art: Kunst und Kitsch, Original und Reproduktion, Werk und Dokument kamen in „A-historische Klanken“ (Museum Boymans-van Beuningen, 1988) oder „Monte Verità Ascona. Die Brüste der Wahrheit“ (Museo Casa Anatta, 1978) zusammen.

Szeemann „löste Geschichte pro forma auf, um die ausgewählten Objekte für die synchrone Betrachtung auf eine Ebene zu holen“ schreibt dazu Kurzmeyer. Szeemann selbst war ein manischer Sammler: Als das Getty Institute 2011 sein persönliches Archiv aus der Fabrica Rossa im Schweizerischen Maggia übernahm, sah es sich mit 26.000 Büchern und 750 Meter Dokumenten konfrontiert.

Für seine kühnen kulturanthropologischen Projekte ist Szeemann nicht bekannt, vielmehr wurden seine Ausstellungen zur zeitgenössischen Skulptur und Performancekunst Legende. „When attitudes become form“ und die documenta 5 gelten als Meilensteine. Seine reinen Kunstausstellungen, die er meist gemeinsam mit den Künstlern (es werden über die Dekaden zwar mehr, aber nie viele Frauen) in einem Werkprozess anlegte, rückten Wahrnehmung und visuelle Erfahrung in den Vordergrund.

So entstanden ungewöhnliche Rauminszenierungen, weder Landschaften, noch Architektur. Kurzmeyer spricht in Anlehnung an Theorien der Kunsthistorikerin Rosalind E. Krauss von „Ortskons­truktionen“, einer erweiterten Form der Bildhauerei. In einer Phase der Kunst, die Szeemann bis in die Achtziger miterlebte und in der Konzept und Material in ein neues Verhältnis traten, ist dann der Schritt vom „Kunst machen“ zum „Ausstellung machen“ nur ein kleiner.

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