piwik no script img

Buch „Am Wasser das Haus“Erzählraum mit Lüftung

Am Wannsee richtete sich der Künstler Max Liebermann 1910 eine Sommerresidenz ein. Magdalena Saiger widmet dieser Villa eine literarische Ortsbegehung.

Erst Sommerresidenz, dann Zufluchtsort: Max Liebermanns „Blick aus dem Nutzgarten nach Osten auf den Eingang zum Landhaus“ (1919) Foto: Oliver Ziebe © Max-Liebermann-Gesellschaft

Gut zehn Jahre ist es her, da unternahm Magdalena Saiger mit Berliner Freunden an einem warmen Sommertag einen Ausflug an den Wannsee. Ein Ziel: die Liebermann-Villa in der Colomierstraße 3, ein Anwesen mit Gartenlandschaft und kleinem Museum mit Arbeiten von eben Max Liebermann, geführt von einem engagierten Verein. „Der originalgetreue Garten war wunderschön und die Kunst war schön, und bis dahin war es ein schöner Ausflug“, erzählt die Hamburger Schriftstellerin. In einem Nebenraum stieß sie auf eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Hauses, „und da bin ich richtig aufgewacht“.

Saiger tippt auf den Umschlag ihres neuen Buches, weist auf den Titel, „Am Wasser das Haus“, und gleich darunter: „Eine literarische Ortsbegehung“. Dass der Künstler vorkommt, „ist klar“, sagt sie. „Er war der, der diese Villa am See entworfen hat, und er hat sie mit seiner Familie zweieinhalb Jahrzehnte belebt; aber ich wollte den Eindruck einer Liebermann-Biografie vermeiden, deshalb steht sein Name nicht auf dem Umschlag.“ Sie sagt: „Ich wollte vielmehr eine Hausbiografie schreiben.“

Als Sommersitz gedacht, hat die Villa seit ihrem Bezug im Jahr 1910 denkbar unterschiedliche Zeiten erlebt: Nachdem die Nationalsozialisten Liebermanns Frau Martha das Gebäude 1940 brachial geraubt hatten, ließ der Reichspostminister Wilhelm Ohnesorg hier sein Personal fortbilden; es wurde zum Lazarett und nach Kriegsende zu einem Krankenhaus, bis 1969. Liebermanns ehemaliger Malsaal, groß mit hohen Decken und lichtdurchflutet, war OP. Später fand in der Villa hier ein Tauchclub seinen Sitz. Zwischendurch stand sie jahrelang leer, verfiel; der komplexe Garten wucherte zu, die Geschichte des Ortes schien vergessen.

„Es ist jetzt ein bedeutungsschwerer Ort, weil Liebermann vielen ein Begriff ist“, sagt Saiger. „Aber es muss Menschen gegeben haben, für die das alles überhaupt keine Rolle gespielt hat“ – diese Menschen und ihre möglichen Geschichten hätten sie sogleich inte­ressiert, „Ich habe sofort angefangen herumzuspinnen, was sich hier wohl für Geschichten abgespielt haben“.

Wollte keine Künstler-, sondern eine Hausbiografie schreiben: Magdalena Saiger Foto: Philipp Schmidt

Nun ist Saiger, deren Debütroman „Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes“ im März 2023 erschien, auch Historikerin, parallel zu ihrem Wannsee-Buch hat sie an ihrer Dissertation geschrieben, über die „Alte Messe“ in Belgrad: erst ambitioniertes Ausstellungsgelände für eine Weltausstellung, wurde sie Konzentrationslager, Künstlerkolonie und auch Wohnquartier: „Ich habe damals angefangen, mich über Zugänge zur Geschichte über Orte und Räume zu interessieren.“ Darüber wird die Person allerdings nicht vergessen. „Ich habe mich gerne mit Liebermann und seiner Biografie beschäftigt“, sagt Saiger. Aber auch er ist hier nur zu Gast gewesen, hat wie alle nach ihm seine Spuren hinterlassen.

Das Buch

Magdalena Saiger: „Am Wasser das Haus. Eine literarische Ortsbegehung“. Edition Nautilus, Hamburg 2025, 190 S., 22 Euro; E-Book 16,99 Euro

Besonders das Kapitel, in dem Saiger beschreibt, wie nach dem Januar 1933 die Ausgrenzung den jüdischen Maler trifft und Villa samt Garten nun Zufluchtsort werden, ist von großer Präsenz. „Liebermann war Professor, er war lange Präsident der Berliner Akademie der Künste, auch der Secession, wird jeweils später deren Ehrenpräsident, wird noch 1932 zum Berliner Ehrenbürger ernannt“, listet Saiger auf. Drei Jahre später zählt das alles nichts mehr: Als Liebermann im Februar 1935 auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee beerdigt wird, bleibt die Zahl der Trauergäste überschaubar.

„Als ich dieses Kapitel entworfen habe, dachte ich, ich schreibe über eine vergangene Zeit“, sagt Saiger nach kurzem Nachdenken. Jenes Gefühl sei ihr gründlich abhandengekommen: „Zu lesen, wie die Anfeindungen gegen ihn aus der Mitte der Gesellschaft kamen, aus bürgerlichen Kreisen, die ich für verlässlich und loyal gehalten habe, und wenn man das mit unserem Heute abgleicht, das fasst mich schon an.“

Es ist eine große Dichte in dieser literarischen Ortsbegehung, die durch ein Jahrhundert führt; sprachlich eigensinnig und mit großer Lust am Untergründigem, auch am Witz: Wenn der Reichspostminister zurück will ins jungenhafte Wegträumen, während der harte Uniformstoff kneift. Wenn der Oberarzt am Ende der Nachtschicht gegen die Müdigkeit anraucht. Wenn am Eröffnungsabend der Vereinsvorsitzende des Tauchclubs sein so durchkomponiertes Redemanuskript verkramt hat und frei sprechen muss.

Es gibt unter den Lesenden ein großes Plot-Bedürfnis – und das bediene ich eher nicht

Magdalena Saiger

Zwischendrin gibt es eigenständige, fast lyrisch grundierte Minitaturen; widerständige Zwischenstücke, die den Erzählraum immer wieder durchlüften: Ein Boot spricht, ein Winter macht das Haus kleiner.

„Mir ist das Erzählen in kleinen Bildern wichtig“, sagt Saiger. „Ich kann, filmisch gesprochen, mit dieser ZDF-Kostüm-Ästhetik, die suggeriert, genauso ist es gewesen, als gäbe es nichts Fragliches, nichts anfangen.“ Also werden wir so bruchstückhaft und doch behutsam durch eine Ortswelt geführt, mit festen und mit losen Enden, um selbst etwas daraus zu schnüren. Mit einem leichten Lächeln sagt Saiger, unlängst zum dritten Mal mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet: „Es gibt unter den Lesenden ein großes Plot-Bedürfnis – und das bediene ich eher nicht.“

Lesen gegen das Patriarchat

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!