Brutaler Überfall in Russland: Journalist ins Koma geprügelt
Der regimekritische Mitarbeiter der Zeitung "Kommersant", Oleg Kaschin, wird bei einem Überfall schwer verletzt. Er berichtete über Proteste gegen ein Autobahnprojekt.
MOSKAU taz | Am Wochenende ist der russische Journalist Oleg Kaschin vor seiner Wohnung im Moskauer Zentrum brutal zusammengeschlagen worden. Die bislang noch unbekannten Täter fügten dem Reporter der angesehenen Tageszeitung Kommersant schwere Verletzungen zu. Er wurde mit einer Gehirnerschütterung, einem doppeltem Kieferbruch, gebrochenen Beinen und Fingern sowie inneren Verletzungen noch in der Nacht zu Sonnabend in ein Krankenhaus eingeliefert. Ärzte versetzten ihn nach einer Notoperation in ein künstliches Koma. Nach Aussagen eines Hausbewohners sollen am Abend zwei unbekannte Männer längere Zeit mit einem Blumenstrauß vor dem Haus auf ihr Opfer gewartet haben.
Vermutlich galt der Überfall der journalistischen Tätigkeit Kaschins, denn Wertsachen wurden nicht gestohlen. Für Kollegen und Bürgerrechtler bestehen daran zumindest wenig Zweifel. Auch der Chefredakteur des Kommersant, Michail Michailin, meinte, das Verbrechen hänge klar mit der beruflichen Tätigkeit Kaschins zusammen, und bezeichnete die Tat als Racheakt für Kaschins Arbeit.
Der 30-Jährige beschäftigte sich vornehmlich mit Protestbewegungen und Jugendorganisationen, die dem Kreml nahestehen. In letzter Zeit begleitete er auch den Protest gegen die Rodung eines Waldstücks im Moskauer Vorort Chimki, wo eine Autobahn nach Sankt Petersburg gebaut werden soll.
Erst vor wenigen Tagen war ein Aktivist einer Bürgerinitiative gegen den Straßenbau ebenfalls brutal zugerichtet worden. Chimki ist berüchtigt für äußerst kaltblütiges Vorgehen gegen Journalisten und politisch Andersdenkende. Vor zwei Jahren wurde der Chefredakteur der Lokalzeitung Chimskaja prawda, Michail Beketow, auf ähnlich gnadenlose Weise zusammengeschlagen. Er ist heute an den Rollstuhl gefesselt. Beketow ging den korrupten Machenschaften der lokalen Verwaltung in Chimki nach. Die Täter wurden nie ermittelt.
Die Jugendbewegung der Staatspartei Einiges Russland, die Junge Garde, hatte Kaschin im vergangenen Sommer in Internetbeiträgen im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das Straßenbauprojekt als Verräter und kriminellen Helfershelfer bezeichnet und seine Bestrafung gefordert. Nach dem Überfall beeilte sich die Jugendorganisation indes, das Verbrechen zu verurteilen und die Bestrafung der Täter zu verlangen. Die jahrelange Einschüchterung seitens des Staates hat eine Atmosphäre von Intoleranz und Gewaltbereitschaft auch in der Jugend geschaffen.
Das Verbrechen löste unter Menschenrechtlern und Kollegen große Bestürzung aus. Auch die staatlich gelenkten TV-Kanäle berichteten über den Vorfall an prominenter Stelle. Das ist ein Novum. Präsident Dmitri Medwedjew schaltete sich ebenfalls umgehend ein. "Die Täter müssen gefunden und bestraft werden", forderte der Staatschef mit Nachdruck von den Justizbehörden. Er beauftragte den Generalstaatsanwalt Juri Tschaika damit, die persönliche Kontrolle über die Ermittlungen zu übernehmen. Es gebe Videoaufnahmen von dem Überfall dank der in Moskau weit verbreiteten Überwachungskameras auf den Straßen, teilten die Ermittler mit. Hinweise auf die Täter gab es zunächst aber keine.
Nach Angaben der US-Nichtregierungsorganisation Komitee zum Schutz von Journalisten sind seit 2000 mindestens 18 ähnlich schwere Verbrechen an russischen Journalisten nicht aufgeklärt worden. Darunter auch der Mord an der bekannten Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006. Der russische Journalistenverband kündigte deshalb an, eigene Nachforschungen anstellen zu wollen.
Martialische Anordnungen des Kreml nach schweren Straftaten wecken nicht selten Zweifel, ob die Übertragung der Zuständigkeiten nicht eher darauf abzielen, die Aufklärung zu verschleppen.
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