Brockdorff Klang Labor auf Tour: Ade, Eskapismus

Visionen sind heute wichtiger denn je: Das Leipziger Trio Brockdorff Klang Labor geht mit seinem groovy Popalbum „Die Fälschung der Welt“ auf Tour.

Pop trifft Philosophie trifft Politik trifft Party:Brockdorff Klang Labor. Bild: promo

Etwas läuft verkehrt. Der Blick in den Fernseher oder aus dem Fenster genügt: Menschen sterben auf hoher See, weil sie den Wunsch verspürten, ins hochgelobte Europa zu kommen. Andere gründen in Leipzig eine Bürgerinitiative, um zu verhindern, dass in ihrem Nachbarhaus ein Asylbewerber einzieht (O-Ton: „Aber unsere Kinder müssen doch da vorbei“).

Wie soll man all dem begegnen? Mit Tanz und Popmusik zu protestieren, wäre eine Idee, die man dank Brockdorff Klang Labor nun endlich wieder genießen kann. Das Leipziger Trio besingt auf seinem neuen Album „Die Fälschung der Welt“. „Feiert den Schein, das Klischee, die Kopie“, heißt es gleich im Auftaktsong „Debord“, der sich fröhlich an dem gleichnamigen französischen Situationisten abarbeitet.

Pop trifft Philosophie trifft Politik trifft Party. Mit Anspielungen, Zitaten und Verbeugungen von und vor Joseph Beuys, Christa Wolf oder Hunter S. Thompson sprechen die Leipziger die Ärgernisse der aktuellen Lage an, ohne dass die Zuhörer es merken, weil sie schon längst auf der Tanzfläche busy sind.

Brockdorff Klang Labor packen politische Forderungen so zuckersüß in Electropop, dass sie klingen wie Liebeslieder. Sie bewältigen Geschichte, während sie flirten. Auf ihrem vor fünf Jahren erschienenen Debütalbum „Mädchenmusik“ klang dies schon an, doch ist das Nachfolgewerk nun um einiges konkreter. „Wir waren in unserem Herzen schon immer politisch“, erklärt Sängerin Nadja von Brockdorff. „Aber es ist nicht so einfach, politische Themen in Songs zu packen. Vielleicht ist es auch nur Resultat eines Reifeprozesses, Sachen direkter anzusprechen.“

Liebeslied auf dem Siegertreppchen

So thematisieren sie in dem Song „Festung Europa“ die Versuche von Afrikanern, nach Europa zu gelangen, und fordern, einfach alle hereinzulassen, weil es doch genug Platz gibt. Das Ganze klingt wie ein Liebeslied und brachte sie im letzten Jahr aufs Siegertreppchen beim Protestsongwettbewerb des Musikmagazins Spex.

„Wir machen keinen Punkrock, in dem man ’Fickt das System‘ schreit“, erklärt von Brockdorff, und Bandkollege Sergej Klang ergänzt: „Natürlich kann man innerhalb eines dreiminütigen Popsongs keine Weltpolitik ausloten und diskutieren. Insofern ist es immer eine gewisse Verkürzung.“

Genau wie der Song „1989“, der die Verwirrungen der Wendejahre als persönliches Spiel zwischen Hoffnung und Angst beschreibt. Sie selbst kommen aus so wohlklingenden DDR-Provinzstädten wie Vieselbach, Sömmerda und Crimmitschau, Mitte der Neunziger verschlug es sie in eine Leipziger WG in der Nadja-von-Brockdorff-Straße, die als Namensgeberin für ein zwölfköpfiges Wohnzimmerorchester herhalten musste. Streikende Studenten und dichtende Künstler organisierten dort stadtbekannte Partys, auf denen als Abendunterhaltung der Panzerkreuzer „Potemkin“ aus Gemüse gebissen wurde.

Nachdem das „alte Konzept der wilden Neunziger ausgedient“ hatte, wie von Brockdorff es nennt, schrumpften sie mit Ekki Labor alles auf Trio-Größe ein und konzentrierten sich auf die Musik, die sie bei Alfred Hilsbergs Label ZickZack veröffentlichen. Dort ist nun auch „Die Fälschung der Welt“ erschienen, ein Album voller Visionen. Scheinen diese heute doch noch wichtiger zu sein als in den Nachwendejahren, als alles möglich schien.

Besserer Durchblick in 3-D

So lautet am Anfang des Albums die Aufforderung, den Job aufzugeben und das Land zu verlassen, doch heißt es nur wenige Songs später: „Escapism is over.“ Weil es keinen Ausweg gibt und weil es nicht mehr reicht, einfach nur Nein zu brüllen und sich dabei radikal zu fühlen. „Man muss gar nicht dem Klischee entsprechen, um Protest artikulieren zu können“, sagt Klang. „Es ist mir wichtig, dass es nicht so aufgesetzt wirkt“, fügt von Brockdorff an. „Man ist zu einem gewissen Teil ein Spiegel der Zeit – und wir versuchen vom Darstellen des eigenen Leids ein wenig abzurücken und gesellschaftliche Themen in den Blick zu nehmen.“

Für den besseren Durchblick liegt dem Album eine 3-D-Brille bei, um das Cover, in dem sich die Gesichter der drei Musiker im Kinosaal immer wiederholen, auch mehrdimensional besser erfassen zu können. Ein Gimmick als Spaß, um die Fälschung der Welt so richtig zu zelebrieren. Denn wie sagt Debord im Innencover so schön: „In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment im Falschen.“

Brockdorff Klang Labor: „Die Fälschung der Welt“ (ZickZack/Indigo); live 26. Oktober Leipzig, 27. Oktober Halle, 1. November Hamburg, 2. November Berlin, wird fortgesetzt
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.