: „British Lifestyle“ in Hessen
Infiziert oder nicht? Drei MKS-Schnelltests in Hessen fallen negativ aus. Sicherheit gibt es aber erst am Ende der Woche – nach weiteren Untersuchungen
aus dem BiebertalKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Es könnte der Bock gewesen sein, der Schafsbock. Der stand beim Gärtner in Krofdorf-Gleiberg. Weil es dort nur neun weibliche Tiere gibt, war der Bock nicht ausgelastet und durfte in der vergangenen Woche auch in einem Zuchtbetrieb in Biebertal-Königsberg ran. Jetzt haben die Hessen – möglicherweise – die Seuche. Denn sowohl bei der kleinen Herde der Gärtnerei in Krofdorf-Gleiberg als auch bei der großen des Schafzüchters in Biebertal-Königsberg wurden am vergangenen Dienstag von Veterinärmedizinern an fast allen Tieren die Symptome der gefürchteten Maul- und Klauenseuche (MKS) festgestellt. Die Bestände wurden umgehend von Amtstierärzten getötet und Blut- und Fleischproben an die Bundesforschungsstelle für Viruserkrankungen der Tiere in Tübingen verschickt. Von dort kam gestern Nachmittag eine – vorläufige – Entwarnung. Der Schnelltest hätte keine MKS-Viren nachweisen können, hieß es. Gewissheit darüber könne es aber erst am Wochenende geben, nach weiteren Untersuchungen.
Dafür aber wurde aus der Wetterau schon ein weiterer Verdachtsfall gemeldet. Der Ziegenhof dort ist wegen des Kontakts einer Studentin der Tiermedizin mit dem Hof im Biebertal vorsorglich abgeriegelt worden.
Doch der Bock ist nicht alleine schuld. Der hat die Seuche MKS am Ende zwar vielleicht doch nach Biebertal verschleppt. Doch zur Gärtnerei in Krofdorf-Gleiberg könnten die Viren als blinde Passagiere in den Reifen holländischer Blumentransporter gekommen sein; oder sie klebten an den Schuhsohlen der Fahrer. Schließlich seien in den Niederlanden schon 15 Fälle von MKS registriert worden. Das jedenfalls wird im schnell eingerichteten kleinen Krisenstab gemutmaßt, dem Vertreter der lokalen Feuerwehren, der Polizei, des Technischen Hilfswerks (THW) sowie der Kreisverwaltungen Gießen und Wetzlar angehören. Im großen Krisenstab in Wiesbaden sitzen seit gestern Vormittag die Experten aus dem Sozial- und dem Landwirtschaftsministerium zusammen, unterstützt vom Innenministerium. Vorsichtshalber hat die hessische Landesregierung gestern den Ankauf weiterer 1,5 Dosen Impfstoff – zusätzlich zu den vorhandenen 650.000 – bewilligt. Entscheiden über Impfungen muss jetzt die Bundesregierung, immer das Einverständnis der Europäischen Union vorausgesetzt. Sofortmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Seuche wurden in Hessen schon in der Nacht zum Mittwoch veranlasst: „British Lifestyle“ in der hessischen Provinz. Die Polizei sperrte alle Straßen rund um die beiden betroffenen Orte, die etwa sechs Kilometer voneinander entfernt in einer malerischen Mittelgebirgslandschaft liegen. Den Herausgebern der aktuellen „Shell-Generalkarte“ ist sie immerhin ein dicker roter Stern wert: „Lohnt einen Umweg“, heißt das. Zur Zeit aber eher nicht. Gestern Morgen begannen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren aus der Region, der Berufsfeuerwehr in Gießen und des THW, drei „Checkpoints“ einzurichten. Alle anderen Straßen, auch Feldwege, bleiben gesperrt. Dort sind 300 Polizeibeamte im Einsatz.
An der Absperrung zwei Kilometer vor Biebertal stauten sich seit den frühen Morgenstunden die Fahrzeuge. Rein in die Sperrzonen durften nur die Einwohner der Ortschaften, Krankenwagen und Rettungsfahrzeuge. Raus durfte zunächst kein Mensch. Rund 50 Feuerwehrmänner und -frauen sowie Helfer des TWH arbeiteten zügig an der Errichtung einer Gerüstkonstruktion, von der aus dann Lastwagen auch von oben mit Desinfektionslösung besprüht werden konnten. Ab 11.30 Uhr rollten die Fahrzeuge dann langsam durch die „MKS-Waschanlage“, wie eine Feuerwehrfrau aus Heuchelheim „ihre“ spezielle Desinfektionsanlage taufte. Reifen von Autos und Fahrrädern wurden von Feuerwehrmännern in blauen Schutzanzügen und mit Atemmasken mit „zweiprozentiger Formaldehydlösung“ (THW) abgesprüht. Fußgänger mussten durch zwei mit Desinfektionsmittel gefüllte Zinkwannen laufen.
Die Verkehrsteilnehmer gestern nahmen es gelassen. Schon am Dienstagabend waren die Menschen in den Ortschaften der Sperrbezirke auf Handzetteln über die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit informiert worden. Die Gesamtschule in Biebertal wurde geschlossen, die Sonderschule in Wettenberg auch. Sollten in Hessen allerdings tatsächlich an einem oder gar an mehreren Orten die Seuche ausgebrochen sein, droht das Chaos. Die Sperrgebiete müssten überall auf einen Radius von zehn Kilometer ausgeweitet werden. Betroffen wären dann auch die Städte Gießen und Marburg und in der Wetterau die Kurstadt Bad Nauheim.
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