Brexit-Deal mit London: Bedenken gibt es, aber erst später
In Brüssel gibt man sich zufrieden mit den Brexit-Verhandlungen. Doch die Entwicklungen in Großbritannien beunruhigen.
![EU-Brexit-Verhandler Michel Barnier und EU-Ratspräsident Donald Tusk EU-Brexit-Verhandler Michel Barnier und EU-Ratspräsident Donald Tusk](https://taz.de/picture/3076484/14/Brexit-deal.jpeg)
Barniers Worte sind typisch für die Stimmung in der EU. In die Erleichterung über den „Deal“ mit London mischt sich die Sorge, dass der Brexit doch noch scheitern könnte. Für Unruhe sorgt nicht nur die Rücktrittswelle in London. In Brüssel weiß man auch, dass es noch Widerstand in den eigenen Reihen geben könnte. Der 585 Seiten dicke Vertragsentwurf enthält viele Schwachpunkte.
Das fängt schon mit der Entstehungsgeschichte an: Der Text wurde nicht so transparent ausgehandelt, wie Barnier behauptet – sondern, wie so oft, in Brüsseler Hinterzimmern. Auch das Ergebnis der Verhandlungen ist nicht ganz so umfassend wie Barnier es darstellt. So wurden heikle Fragen der Agrar- und Fischereipolitik ausgeklammert.
„Wir müssen noch ein Fischerei-Abkommen aushandeln, das wird nicht einfach“, räumte eine EU-Vertreterin ein. Frankreich oder Spanien, die weiter Zugang zu britischen Gewässern wollen, könnten sich dabei querstellen. Beim EU-Gipfel am 25. November, wo der Deal abgesegnet werden soll, könnte dies noch für Diskussionen sorgen – auch wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits gegen weitere Verhandlungen ausgesprochen hat.
Lösung ist nur aufgeschoben
Ein weiterer heikler Punkt ist der sogenannte Backstop für Irland und Nordirland – also die Auffanglösung für den Fall, dass sich Brüssel und London nicht rechtzeitig auf einen Vertrag über ihre künftigen Beziehungen einigen. Dieser Backstop war bis zuletzt der kniffligste Streitpunkt. Der Entwurf löst das Problem nicht, sondern schiebt eine Lösung auf.
Die britische Premierministerin Theresa May will ihre Brexit-Vereinbarung mit der EU trotz des Widerstands aus ihrer eigenen Partei und der Opposition nicht aufgeben. Sie glaube „mit jeder Faser ihres Körpers“, dass der von ihr ausgehandelte Plan das Beste sei, das sie für die britische Bevölkerung erreichen konnte, sagte May am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Ihn abzulehnen, würde das Land in eine tiefe Unsicherheit führen.
Erst bis Juli 2020 soll geklärt werden, ob Großbritannien seine Übergangsphase nach dem Brexit über Ende 2020 hinaus verlängert oder eine spezielle Zollunion mit der EU eingeht. Das birgt Sprengstoff. Die britischen Brexit-Hardliner sehen darin einen Trick, ihr Land auf Dauer „gefangen“ zu halten. Aber auch auf EU-Seite gibt es Bedenken. Man müsse sich noch vor dem Brexit-Gipfel auf die maximale Länge der Übergangsphase einigen, heißt es in Brüssel.
Insgesamt können die EU-Unterhändler jedoch zufrieden sein. „Die EU hat sich zu einem überwältigenden Teil durchgesetzt“, urteilt der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. In den ersten Jahren nach dem Brexit werde Großbritannien in einer ähnlichen Lage wie Norwegen oder die Schweiz sein: „Sie übernehmen den Großteil der EU-Regelungen, haben in Brüssel aber nichts mehr zu sagen.“
Ausgewogen ist dies nicht. In Brüssel hält man trotzdem an der Fiktion eines „fairen Deals“ fest. Denn ein Scheitern – und einen ungeordneten Austritt – möchte niemand riskieren.
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