Brennelementefabrik in Lingen: Atomdeal mit Russland
Die wirtschaftlich angeschlagene Uranfabrik in Lingen soll durch ein Joint Venture mit der russischen Atomagentur Rosatom aufgepäppelt werden.
Die bundesweit einzige Fabrik dieser Art beliefert Atomkraftwerke in halb Europa mit „frischem“ Brennstoff, darunter die belgischen Pannenmeiler von Tihange und Doel, das ebenso störfallträchtige AKW Cattenom in Frankreich und den neuen „Sorgenreaktor“ Olkiluoto 3 in Finnland.
ANF Lingen gehört der Framatome, einer Tochter des staatlich dominierten französischen Energiekonzerns Èlectricité des France (EdF). Weniger bekannt ist, dass die nicht ausgelastete und wirtschaftlich angeschlagene Uranfabrik durch ein Joint Venture mit der russischen Atomagentur Rosatom aufgepäppelt werden soll. Konkret geplant ist laut Spiegel, dass die Rosatom-Tochter TVEL 25 Prozent an der Brennelementefabrik übernimmt.
In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Vladimir Putin als Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und Nuklearindustrie mitgegründete Behörde Rosatom die zivile und militärische Atomindustrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150 Produktionsstätten. Nach Schätzungen von Experten des EU-Parlaments kontrolliert die Agentur 96 Prozent des nuklearen Materials in Russland. Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.
Eine Genehmigung der Zusammenarbeit steht aus
Framatome hatte die Kooperations-Pläne in Lingen zwar bereits im vergangenen Februar angekündigt, sie fanden bislang aber nur wenig öffentliche Beachtung. Im März stimmte das Bundeskartellamt dem Joint Venture zu. Bei ausländischen Beteiligungen an sicherheitsrelevanten Unternehmen ist zudem eine Genehmigung durch das Bundeswirtschaftsministerium erforderlich, die allerdings noch aussteht.
Anders als viele Grüne, die sich mehrfach und auf verschiedenen Ebenen gegen das Joint Venture ausgesprochen haben, hat sich Noch-Parteichef und Wirtschaftsminister Robert Habeck noch nicht öffentlich zu der Causa geäußert.
Das mögliche Joint Venture mit Rosatom sorgt in der Region für heftige Bedenken. „Zukünftig wollen Frankreich und Russland also auf ihrem gemeinsamen Außenposten im Emsland nuklearen Brennstoff für Atomkraftwerke weltweit herstellen – im Land des Atomausstiegs, hier in Lingen“, kritisiert das Bündnis „Atomkraftgegner:innen im Emsland“ (Agiel), das gemeinsam mit anderen Initiativen zu der Demonstration am Samstag aufgerufen hatte. Die Initiative befürchtet durch den möglichen Deal mehr Transporte von nuklearen Materialien und damit eine höhere Gefahr etwa durch Unfälle.
„Ein ganz wichtiger Punkt ist außerdem, dass wir uns von dem kompletten Atomausstieg dann wieder weiter entfernen, sagt Agiel-Sprecher Alexander Vent. „Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie diese Atomkooperation unterbindet und stattdessen die Stilllegung der Atomanlage in Lingen einleitet.“
Die Aktivist:innen von Agiel weisen auch darauf hin, dass die russische Atomindustrie Teile ihrer eigenen Brennelementeproduktion nach Deutschland auslagern könnte – unter anderem, um EU-Sanktionen im nuklearen Bereich zu unterlaufen. Framatome und Rosatom arbeiten bereits an anderen Standorten zusammen. Sie wollen unter anderem den zwischenzeitlich als gescheitert betrachteten AKW-Bau im bulgarischen Belene wiederbeleben. Mit diesen Aktivitäten, so Agiel, formten Frankreich und Russland „eine Allianz für eine neue nukleare Expansion“.
Militärische Nutzung ausgeschlossen?
Der Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, Vladimir Slivyak von der russischen Umweltorganisation Ecodefense, lehnt die Beteiligung der russischen Atomindustrie an der Brennelemente-Produktion ebenfalls strikt ab. Bei dem Joint Venture geht es seiner Meinung nach nicht vorrangig um wirtschaftliche Interessen. Er glaubt vielmehr, dass die russische Regierung so mehr Kontrolle über den europäischen Energiemarkt gewinnen will. Mit Blick auf die Kooperation in Lingen sagte Slivjak, es sei nicht sicher, dass das nukleare Material nicht für militärische Zwecke genutzt werde.
Die Regierungen Russlands und Frankreichs müssten den Atomausstieg in Deutschland respektieren und die Bundesregierung die Kooperation unterbinden, heißt es in einer Resolution von rund 80 Initiativen und Verbänden aus Deutschland, Frankreich und Russland. ANF und Rosatom ließen Anfragen zu dem Joint Venture unbeantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften