Bremer Pflegekräfte über Hygiene-Notstand: "Es sterben nicht nur Frühchen"

Wegen Hygienemängeln starben drei Frühchen, ein Chefarzt musste gehen. Zu Unrecht, sagen Pfleger: Fehlendes Personal gefährde täglich Leben.

Zu wenig Leute, um hygienisch zu arbeiten: Neugeborenen-Intensivstation im Klinikum Bremen-Mitte. Bild: dpa

taz: Nach dem Tod von drei Frühgeborenen in einem Bremer Krankenhaus wurde der zuständige Chefarzt entlassen. Sie sehen die Schuld hingegen bei der Geschäftsführung. Weshalb?

Cornelia Winter: Durch die Personallage in den Bremer Kliniken kommen jeden Tag Patienten in lebensbedrohliche Situationen.

Martin Schumann: Es sterben nicht nur die Frühchen. Dass dies passiert ist, ist schrecklich, aber bei Kindern hat die Öffentlichkeit eben sofort ein Auge dadrauf. Ältere Menschen hingegen haben keine Lobby. Wir produzieren Schwerstkranke und wir produzieren Notfälle.

Können Sie Beispiele geben?

Schumann: Erst in den letzten Tagen gab es einen Suizidfall in der Psychiatrie, der zunächst nicht bemerkt wurde. Es wird häufig nicht registriert, wenn sich die Situation von Patienten nach Operationen verschlechtert.

Winter: Wir haben zum Beispiel oft keine Zeit, dementen Patienten Essen anzureichen. Es reicht gerade dafür, ihnen das Essen hinzustellen. Die Leute liegen dann im Bett und kleckern sich mit Essen voll, bis sie im schlimmsten Fall dehydriert oder mangelernährt auf die Intensivstation kommen. In der Notaufnahme kommt es vor, dass jemand stundenlang vor sich hin blutet, bevor ein Arzt Zeit hat, ihn anzusehen. Teils fängt es an, dass Patienten auf dem Flur liegen müssen.

sind Schwester und Pfleger in somatischen Abteilungen von Krankenhäusern der kommunalen Bremer Klinikholding Gesundheit Nord (Geno). Ihre Namen wurden geändert.

Zwei von ihnen sind seit etwa zwei Jahrzehnten bei der Geno beschäftigt, einer hat zuvor in anderen Bundesländern gearbeitet

Thomas Gerdes: Es gibt auf Stationen keinen Personalschlüssel mehr. Im Normalfall herrscht Notbesetzung. Die Abteilungen wurden als einzelne wirtschaftliche Einheiten neu organisiert und arbeiten gegeneinander.

Schumann: Gestandene Pflegekräfte, die seit Jahrzehnten im Beruf sind, kippen um - die können nicht mehr. Es gibt eine permanente Abwärtsspirale bei der Qualität.

Glauben Sie, dass die Frühchen-Tode mit mehr Personal hätten verhindert werden können?

Drei Frühgeborene sind im August und Oktober im kommunalen Klinikum Bremen-Mitte gestorben. Bei 23 Babys war ein multiresistenter Keim festgestellt worden. Das Gesundheitsamt war erst im September über das Hygiene-Problem informiert worden.

Letzte Woche wurde der Chefarzt der Kinderklinik, Hans-Iko Huppertz, wegen der Frühchen-Tode von der Geschäftsführung der kommunalen Bremer Klinik-Holding Gesundheit Nord (Geno) fristlos entlassen.

Huppertz hatte in der Vergangenheit mehr Mitarbeiter verlangt, sich dann aber mit der Geno-Geschäftsführung darauf geeinigt, die Personalsituation nicht zu ändern.

Die Beschäftigten der Kinderklinik haben sich am Wochenende öffentlich vor Huppertz gestellt. Die Bremer Opposition verlangt eine Beurlaubung des Geno-Chefs, der den Personalnotstand zu verantworten habe.

Gerdes: Es ist auf jeden Fall klar, dass die völlige Überlastung des Pflegepersonals der Hygiene massiv schadet.

Schumann: Wie für alle Stationen gibt es natürlich auch für die für die Frühchenstation Hygienerichtlinien. Die kommen vom Robert-Koch-Institut und die sind völlig in Ordnung. Es ist aber illusorisch, die einhalten zu wollen.

Winter: Die Hygiene im Krankenhaus steht und fällt mit sauberen Händen. Wir müssen uns nach jedem Toilettengang und bei jedem Handschuhwechsel - davon gibt es 70 bis 100 pro Schicht - die Hände desinfizieren. Laut Richtlinie sollen wir dabei die Hände 30 Sekunden mit Desinfektionsmittel einreiben und dies zwei Minuten einwirken lassen. Um dies einzuhalten, müsste man das Personal um etwa fünfzig Prozent aufstocken.

Die finanzielle Lage der Krankenhäuser ist in Bremen sehr schlecht - dafür kann die Klinikholding nichts.

Schumann: Uns ist durchaus bewusst, das gespart werden muss. Bis zu einem gewissen Grad tragen wir das auch mit. Wir fordern aber adäquate Betreuung. Dass es die schon lange nicht mehr gibt, hat sehr wohl etwas mit der Unternehmenspolitik zu tun.

Inwiefern?

Schumann: Die Geschäftsführung pusht etwa die Zahl der Operationen. Wir haben dann die Nachsorge sicherzustellen. Dafür gibt es aber keine Kapazitäten. Wegen der Fallpauschalen verbessert dies das Betriebsergebnis - zu Lasten der Patienten.

Winter: Die Pflegedienstleitung steht enorm unter Druck. Die Geno-Geschäftsführung baut sich offensichtlich ein höriges Team zusammen, der Druck wird nach unten weiter gegeben. Und gegenüber dem Pflegepersonal ist sowas viel leichter als in anderen Branchen - die Streikneigung ist leider sehr gering. Wenn es doch mal Protest gibt, fragt die Geno-Leitung: Wollt Ihr lieber privatisiert werden?

Wie hat sich der Personalstand verändert?

Winter: In den letzten Jahren ist die Zahl der Vollzeitkräfte auf meiner Station von fünfzehn auf elf gesunken. Im Durchschnitt schleppen wir etwa 30 Tage Überstunden mit. Für diese Stunden könnte man mehr reguläres Personal einstellen. Stattdessen behilft sich die Holding mit dem massenhaften Einsatz von hausfremden Zeitarbeits-Pflegepersonal.

Schumann: Gleichzeitig werden die Patienten aber immer älter und multimorbider, sie haben mehr Krankheiten.

Würden Sie sich in einer Geno-Klinik behandeln lassen?

Schumann: Nein. Ich würde zusehen, dass ich selbst oder meine Angehörigen da möglichst rauskämen.

Winter: Das kommt drauf an. Wenn es junge Menschen ohne Vorerkrankungen sind, geht es. Bei Älteren und Schwerkranken nicht.

Überall müssen Krankenhäuser sparen. Glauben Sie wirklich, dass es woanders besser ist?

Gerdes: In der Intensivpflege habe ich in anderen Krankenhäusern in anderen Bundesländern gearbeitet. Üblich ist ein Schlüssel von eins zu zwei. In meiner Abteilung arbeiten wir mit eins zu drei. In anderen Geno-Kliniken geht es hoch bis eins zu sechs. Das kann ganz schnell lebensgefährlich werden.

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