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Bremer Pflegekräfte über Hygiene-Notstand"Es sterben nicht nur Frühchen"

Wegen Hygienemängeln starben drei Frühchen, ein Chefarzt musste gehen. Zu Unrecht, sagen Pfleger: Fehlendes Personal gefährde täglich Leben.

Zu wenig Leute, um hygienisch zu arbeiten: Neugeborenen-Intensivstation im Klinikum Bremen-Mitte. Bild: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Nach dem Tod von drei Frühgeborenen in einem Bremer Krankenhaus wurde der zuständige Chefarzt entlassen. Sie sehen die Schuld hingegen bei der Geschäftsführung. Weshalb?

Cornelia Winter: Durch die Personallage in den Bremer Kliniken kommen jeden Tag Patienten in lebensbedrohliche Situationen.

Martin Schumann: Es sterben nicht nur die Frühchen. Dass dies passiert ist, ist schrecklich, aber bei Kindern hat die Öffentlichkeit eben sofort ein Auge dadrauf. Ältere Menschen hingegen haben keine Lobby. Wir produzieren Schwerstkranke und wir produzieren Notfälle.

Im Interview: 

Können Sie Beispiele geben?

Schumann: Erst in den letzten Tagen gab es einen Suizidfall in der Psychiatrie, der zunächst nicht bemerkt wurde. Es wird häufig nicht registriert, wenn sich die Situation von Patienten nach Operationen verschlechtert.

Winter: Wir haben zum Beispiel oft keine Zeit, dementen Patienten Essen anzureichen. Es reicht gerade dafür, ihnen das Essen hinzustellen. Die Leute liegen dann im Bett und kleckern sich mit Essen voll, bis sie im schlimmsten Fall dehydriert oder mangelernährt auf die Intensivstation kommen. In der Notaufnahme kommt es vor, dass jemand stundenlang vor sich hin blutet, bevor ein Arzt Zeit hat, ihn anzusehen. Teils fängt es an, dass Patienten auf dem Flur liegen müssen.

Die Interviewpartner

sind Schwester und Pfleger in somatischen Abteilungen von Krankenhäusern der kommunalen Bremer Klinikholding Gesundheit Nord (Geno). Ihre Namen wurden geändert.

Zwei von ihnen sind seit etwa zwei Jahrzehnten bei der Geno beschäftigt, einer hat zuvor in anderen Bundesländern gearbeitet

Thomas Gerdes: Es gibt auf Stationen keinen Personalschlüssel mehr. Im Normalfall herrscht Notbesetzung. Die Abteilungen wurden als einzelne wirtschaftliche Einheiten neu organisiert und arbeiten gegeneinander.

Schumann: Gestandene Pflegekräfte, die seit Jahrzehnten im Beruf sind, kippen um - die können nicht mehr. Es gibt eine permanente Abwärtsspirale bei der Qualität.

Glauben Sie, dass die Frühchen-Tode mit mehr Personal hätten verhindert werden können?

Frühchen-Tode

Drei Frühgeborene sind im August und Oktober im kommunalen Klinikum Bremen-Mitte gestorben. Bei 23 Babys war ein multiresistenter Keim festgestellt worden. Das Gesundheitsamt war erst im September über das Hygiene-Problem informiert worden.

Letzte Woche wurde der Chefarzt der Kinderklinik, Hans-Iko Huppertz, wegen der Frühchen-Tode von der Geschäftsführung der kommunalen Bremer Klinik-Holding Gesundheit Nord (Geno) fristlos entlassen.

Huppertz hatte in der Vergangenheit mehr Mitarbeiter verlangt, sich dann aber mit der Geno-Geschäftsführung darauf geeinigt, die Personalsituation nicht zu ändern.

Die Beschäftigten der Kinderklinik haben sich am Wochenende öffentlich vor Huppertz gestellt. Die Bremer Opposition verlangt eine Beurlaubung des Geno-Chefs, der den Personalnotstand zu verantworten habe.

Gerdes: Es ist auf jeden Fall klar, dass die völlige Überlastung des Pflegepersonals der Hygiene massiv schadet.

Schumann: Wie für alle Stationen gibt es natürlich auch für die für die Frühchenstation Hygienerichtlinien. Die kommen vom Robert-Koch-Institut und die sind völlig in Ordnung. Es ist aber illusorisch, die einhalten zu wollen.

Winter: Die Hygiene im Krankenhaus steht und fällt mit sauberen Händen. Wir müssen uns nach jedem Toilettengang und bei jedem Handschuhwechsel - davon gibt es 70 bis 100 pro Schicht - die Hände desinfizieren. Laut Richtlinie sollen wir dabei die Hände 30 Sekunden mit Desinfektionsmittel einreiben und dies zwei Minuten einwirken lassen. Um dies einzuhalten, müsste man das Personal um etwa fünfzig Prozent aufstocken.

Die finanzielle Lage der Krankenhäuser ist in Bremen sehr schlecht - dafür kann die Klinikholding nichts.

Schumann: Uns ist durchaus bewusst, das gespart werden muss. Bis zu einem gewissen Grad tragen wir das auch mit. Wir fordern aber adäquate Betreuung. Dass es die schon lange nicht mehr gibt, hat sehr wohl etwas mit der Unternehmenspolitik zu tun.

Inwiefern?

Schumann: Die Geschäftsführung pusht etwa die Zahl der Operationen. Wir haben dann die Nachsorge sicherzustellen. Dafür gibt es aber keine Kapazitäten. Wegen der Fallpauschalen verbessert dies das Betriebsergebnis - zu Lasten der Patienten.

Winter: Die Pflegedienstleitung steht enorm unter Druck. Die Geno-Geschäftsführung baut sich offensichtlich ein höriges Team zusammen, der Druck wird nach unten weiter gegeben. Und gegenüber dem Pflegepersonal ist sowas viel leichter als in anderen Branchen - die Streikneigung ist leider sehr gering. Wenn es doch mal Protest gibt, fragt die Geno-Leitung: Wollt Ihr lieber privatisiert werden?

Wie hat sich der Personalstand verändert?

Winter: In den letzten Jahren ist die Zahl der Vollzeitkräfte auf meiner Station von fünfzehn auf elf gesunken. Im Durchschnitt schleppen wir etwa 30 Tage Überstunden mit. Für diese Stunden könnte man mehr reguläres Personal einstellen. Stattdessen behilft sich die Holding mit dem massenhaften Einsatz von hausfremden Zeitarbeits-Pflegepersonal.

Schumann: Gleichzeitig werden die Patienten aber immer älter und multimorbider, sie haben mehr Krankheiten.

Würden Sie sich in einer Geno-Klinik behandeln lassen?

Schumann: Nein. Ich würde zusehen, dass ich selbst oder meine Angehörigen da möglichst rauskämen.

Winter: Das kommt drauf an. Wenn es junge Menschen ohne Vorerkrankungen sind, geht es. Bei Älteren und Schwerkranken nicht.

Überall müssen Krankenhäuser sparen. Glauben Sie wirklich, dass es woanders besser ist?

Gerdes: In der Intensivpflege habe ich in anderen Krankenhäusern in anderen Bundesländern gearbeitet. Üblich ist ein Schlüssel von eins zu zwei. In meiner Abteilung arbeiten wir mit eins zu drei. In anderen Geno-Kliniken geht es hoch bis eins zu sechs. Das kann ganz schnell lebensgefährlich werden.

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8 Kommentare

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  • N
    Nachtigall

    Ich denke, was man anhand der Fälle im Bremer Krankenhaus sehen kann ist nur ein Gipfel des Eisbergs. Ich stimme meinen Vorrednern zu: Der Personalmangel bei gleichzeitiger Zunahme der Arbeitsverdichtung durch steigende Fallzahlen und Zunahme der Tätigkeitsanforderungen führen zu Fehlern und Mängel, auch bei der Fremd- und Selbsthygiene.

    Hier muss die Politik reagieren und nicht auf Kosten der Pflegekräfte (und somit der Pflegeempfänger = Patienten) sparen. Leider sind Pflegende nur sehr sporadisch und heterogen organisiert (Der größte Berufsverband der Pflegeberufe hat beispielsweise nur knapp 20000 Mitglieder, obwohl schätzungsweise 1,2 Mio. Pflegende in der BRD beschäftigt sind (Altenpflege + Gesundheit und Krpfl + Assistenzberufe). Die Pflege braucht eine größere Lobby und mehr aktive Beteiligung von der "Basis".

  • B
    Brennessel

    Ist doch alles nix Neues!

    Seid 15 Jahren werden die Kosten für Krankenhäuser dedeckelt. Die Krankenhäuser stehen im Wettbewerb der ja das "Allheilmittel" für alles sein soll.

    Konsequenz: Personalreduktion, Arbeitsverdichtung, Scheißegalhaltung, tote Menschen.

    Bei Kindern ist es besonders traurig, aber mal ganz ehrlich. in 2 Monaten redet der Mob doch eh über was anderes. In 20 Jahren haben wir dann amerikanische Verhältnisse und und "sozial" ist ein Wort dessen Bedeutung niemand mehr kennt.

  • H
    Harro

    Ich Arbeite in einer Notaufnahme mit einer angegliederten Aufnahme/Abklärstation. Es ging jetzt soweit das wir Überwachungspflichtige Patienten z.B. für die Stroke-Unit oder ähnliches Nachts in der Notaufnahme versorgen mußten. Insgesamt waren es 8 Patienten auf der Aufnahmestation, davon zwei Überwachungs- oder Intensivpflichtige. Dieses wurde dann nachts mit 2 examinierten und einer Schülerin bewältigt. Ich weiss das klingt jetzt nicht dramatisch, wenn man aber bedenkt das diese zwei Pflegekräfte nun gebunden sein werden wenn ein Notfall reinkommt ist die Schülerin!!!!! alleine mit den Patienten. Wie gesagt Intensivpatienten in der ZPA/ZNA über NAcht.

    Wir gehen alle am Stock, jeder in der Pflege. Unsere Abteilung hat mehr als 3000 Überstunden. Wo bleibt da die Erholung. Fakt ist: der Krankheitsstand steigt und die Motivation sinkt. Pflegefehler sind quasi vorprogramiert. Ich warte tgl. auf unser eigenes Bremenproblem bei uns im Haus. Traurig aber war. Man kann was sagen, klar!!! Aber irgendwie kehrt immer wieder nur ernüchterung ein. Lose versprechungen und das wars. Man fühlt sich einfach nur hilflos.

    Danke

  • A
    AFu

    Ich arbeite seit über 15 Jahren in der Intensivpflege und muß leider sagen, dass die Bedingungen immer schlechter werden. Die Arbeit wird immer weiter verdichtet und mensch muß immer mehr Patienten betreuen, dies ist gearde bei kritischkranken, instabilen Patienten oft fatal. Die Hygiene kann meist gar nicht mehr beachtet werden, weil wir Pflegende keine Zeit haben, selbst die elementarsten Maßnahmen durchzuführen. Beim Rhönkonzern durfte ich am Wochenende bis zu VIER Beatmungspat. gleichzeitig betreuen, wobei die Geschäftsführung auch noch stolz darauf war, die niedriste Personalbesetzung im Gesamtkonzern zu haben,damit die Herren und Damen Aktionäre sich noch mehr Kohle in den Rachen stopfen können.

    Über die Situation auf den Normalstationen, wo zwei Pflegende für bis zu 35 Pat zusändig sind, möchte ich gar nicht reden.

    Leider müssen die verbliebenen komunalen Häuser dieses Spiel mitmachen, damit sie am Markt bestehen können.Ist ja auch kein Wunder, wenn mensch sich anschaut wieviele Politbonzen in den Vorständen der Krankenhauskonzerne sitzen.

    Das deutsche Gesundheitswesen ist eine Schande für eines der reichsten Länder der Erde, nosokomiale Infektionen werden hingenommen, damit der Profit stimmt. Leider können sich die betroffenen Personen meist nicht wehren.

    Gesundheit ist keine Wahre!!!

  • N
    Nachtigall

    Ich denke, was man anhand der Fälle im Bremer Krankenhaus sehen kann ist nur ein Gipfel des Eisbergs. Ich stimme meinen Vorrednern zu: Der Personalmangel bei gleichzeitiger Zunahme der Arbeitsverdichtung durch steigende Fallzahlen und Zunahme der Tätigkeitsanforderungen führen zu Fehlern und Mängel, auch bei der Fremd- und Selbsthygiene.

    Hier muss die Politik reagieren und nicht auf Kosten der Pflegekräfte (und somit der Pflegeempfänger = Patienten) sparen. Leider sind Pflegende nur sehr sporadisch und heterogen organisiert (Der größte Berufsverband der Pflegeberufe hat beispielsweise nur knapp 20000 Mitglieder, obwohl schätzungsweise 1,2 Mio. Pflegende in der BRD beschäftigt sind (Altenpflege + Gesundheit und Krpfl + Assistenzberufe). Die Pflege braucht eine größere Lobby und mehr aktive Beteiligung von der "Basis".

  • B
    Brennessel

    Ist doch alles nix Neues!

    Seid 15 Jahren werden die Kosten für Krankenhäuser dedeckelt. Die Krankenhäuser stehen im Wettbewerb der ja das "Allheilmittel" für alles sein soll.

    Konsequenz: Personalreduktion, Arbeitsverdichtung, Scheißegalhaltung, tote Menschen.

    Bei Kindern ist es besonders traurig, aber mal ganz ehrlich. in 2 Monaten redet der Mob doch eh über was anderes. In 20 Jahren haben wir dann amerikanische Verhältnisse und und "sozial" ist ein Wort dessen Bedeutung niemand mehr kennt.

  • H
    Harro

    Ich Arbeite in einer Notaufnahme mit einer angegliederten Aufnahme/Abklärstation. Es ging jetzt soweit das wir Überwachungspflichtige Patienten z.B. für die Stroke-Unit oder ähnliches Nachts in der Notaufnahme versorgen mußten. Insgesamt waren es 8 Patienten auf der Aufnahmestation, davon zwei Überwachungs- oder Intensivpflichtige. Dieses wurde dann nachts mit 2 examinierten und einer Schülerin bewältigt. Ich weiss das klingt jetzt nicht dramatisch, wenn man aber bedenkt das diese zwei Pflegekräfte nun gebunden sein werden wenn ein Notfall reinkommt ist die Schülerin!!!!! alleine mit den Patienten. Wie gesagt Intensivpatienten in der ZPA/ZNA über NAcht.

    Wir gehen alle am Stock, jeder in der Pflege. Unsere Abteilung hat mehr als 3000 Überstunden. Wo bleibt da die Erholung. Fakt ist: der Krankheitsstand steigt und die Motivation sinkt. Pflegefehler sind quasi vorprogramiert. Ich warte tgl. auf unser eigenes Bremenproblem bei uns im Haus. Traurig aber war. Man kann was sagen, klar!!! Aber irgendwie kehrt immer wieder nur ernüchterung ein. Lose versprechungen und das wars. Man fühlt sich einfach nur hilflos.

    Danke

  • A
    AFu

    Ich arbeite seit über 15 Jahren in der Intensivpflege und muß leider sagen, dass die Bedingungen immer schlechter werden. Die Arbeit wird immer weiter verdichtet und mensch muß immer mehr Patienten betreuen, dies ist gearde bei kritischkranken, instabilen Patienten oft fatal. Die Hygiene kann meist gar nicht mehr beachtet werden, weil wir Pflegende keine Zeit haben, selbst die elementarsten Maßnahmen durchzuführen. Beim Rhönkonzern durfte ich am Wochenende bis zu VIER Beatmungspat. gleichzeitig betreuen, wobei die Geschäftsführung auch noch stolz darauf war, die niedriste Personalbesetzung im Gesamtkonzern zu haben,damit die Herren und Damen Aktionäre sich noch mehr Kohle in den Rachen stopfen können.

    Über die Situation auf den Normalstationen, wo zwei Pflegende für bis zu 35 Pat zusändig sind, möchte ich gar nicht reden.

    Leider müssen die verbliebenen komunalen Häuser dieses Spiel mitmachen, damit sie am Markt bestehen können.Ist ja auch kein Wunder, wenn mensch sich anschaut wieviele Politbonzen in den Vorständen der Krankenhauskonzerne sitzen.

    Das deutsche Gesundheitswesen ist eine Schande für eines der reichsten Länder der Erde, nosokomiale Infektionen werden hingenommen, damit der Profit stimmt. Leider können sich die betroffenen Personen meist nicht wehren.

    Gesundheit ist keine Wahre!!!