Bremer Menschenrechtler Docke hört auf: Der ruhige Staranwalt
Bernhard Docke ist ein Kämpfer für Gerechtigkeit. Er hat nicht nur Murat Kurnaz aus Guantánamo rausgeholt. Nach 40 Jahren geht er in den Ruhestand.
Ende des Monats wird Bremens bekanntester praktizierender Strafverteidiger hier das letzte Mal seinen Mantel von der Garderobe nehmen, seinen Rucksack aufsetzen und unten am Wall sein Rad besteigen. „Ich finde es wichtig aufzuhören, bevor man mental und körperlich abbaut“, sagt er. „Außerdem gibt es jede Menge schöne Dinge jenseits des Berufs, für die ich jetzt mehr Zeit habe.“
Der drahtige 67-Jährige zählt diverse Sportarten, Theater und Musik, Freunde und Familie sowie die Leidenschaft für Werder Bremen auf, bevor er sagt: „Jetzt aufzuhören, ist aber auch ein bisschen ambivalent, weil ich mich in diesem Beruf aufgehoben gefühlt habe. Das ist zu einer Passion geworden.“ Eine Passion, die 1983, am Tag des Kohl-Wahlsieges, mit einer geteilten Robe für drei junge Uni-Abgänger begann und ihn bis zum Supreme Court der USA und auf den Roten Teppich der Berlinale führte.
Erste Begegnungen mit der Justiz hatte er allerdings bei der Bundeswehr. „Einige Mitschüler und ich wollten nicht verweigern, da wir die armen Wehrpflichtigen nicht hilflos der Indoktrination durch Militaristen ausgeliefert sehen wollten“, sagte Docke in seiner Dankesrede für den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon 2016.
Bei der Bundeswehr angeeckt
Im linken Bremer Schülermilieu jener Zeit sozialisiert, konnte er beim Bund den Mund nicht halten. Bei den folgenden juristischen Auseinandersetzungen vertrat ihn Heinrich Hannover, Freund der Eltern, legendärer linker Anwalt und einer, der „von seiner ganzen Art komplett unkonventionell“ war und „sich mit staatlichen Instanzen angelegt“ hat, so Docke.
Die Bekanntschaft mit Hannover war eine der Erfahrungen, die für Docke in das Jura-Studium an der Uni Bremen mündeten. An dessen Ende machte er ein Praktikum bei der UNO in New York und damit in einem Land, über das er bis heute in einer Mischung aus „Faszination und Schauder“ spricht. Es gehört zu den weniger bekannten Seiten seines beruflichen Wirkens, dass er in den USA nicht nur um die Freilassung des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz kämpfte, sondern auch an drei Mordverfahren mitwirkte und an deutschen Universitäten zahlreiche Vorlesungen über das US-Strafrecht gehalten hat.
Am liebsten wäre er bei der UNO geblieben, doch der damalige Präsident Ronald Reagan hielt diese für eine terroristische Vereinigung und strich die Mittel für das Projekt, in dem Docke mitarbeitete. Die Kanzleigründung mit den Freunden Armin von Döllen und Thomas Piegeler war eher eine Verlegenheitslösung. Neben Verfahren mit politischen Hintergründen wie die erfolgreiche Verteidigung von Demonstranten, die sich aus Protest gegen atomare Aufrüstung vor die US-Kaserne in Garlstedt gesetzt hatten, spezialisierten sich die drei auf die Vertretung von Kreditnehmern, die aufgrund sittenwidriger Verträge im Schuldturm gelandet waren.
Die Akribie und Eindringlichkeit, mit der er wenige Tage vor dem Ruhestand von einem anderen frühen Fall erzählt, verrät viel davon, wie sich sein Gerechtigkeitssinn bis heute an staatlicher Willkür entzündet. 1950 wurden der ehemalige, aus der Ukraine nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter Oleksa Szwajka und seine Frau Wilma, eine Bremerin, von der Hansestadt für staatenlos erklärt. Das entsprach dem damals noch geltenden wilhelminischen Staatsangehörigkeitsrecht, aber nicht dem kurz zuvor in Kraft getretenen Grundgesetz.
Mehr als dreißig Jahre später, nachdem Wilma Szwajka bei vielen Anwälten abgeblitzt war, kämpfte Docke das Recht des Ehepaares auf die deutsche Staatsbürgerschaft durch. „Der Fall hat mich lange beschäftigt und aufgeregt, weil am Unrecht dieser Familie gegenüber deutlich wurde, dass der Krieg und die Zeit des Faschismus Auswirkungen bis in die Jetztzeit hatten“, sagt Docke.
Nach der Fusion mit dem Büro „Hannover & Partner“ im Jahr 1988 spezialisierte er sich hauptsächlich auf das Strafrecht. 1994 übernahm er beispielsweise den Fall zweier ukrainischer Gebrauchtwagenhändler, denen zwei Bremer Polizisten 39.000 Mark gestohlen hatten. Niemand glaubte den Opfern, erst zehn Jahre später verschaffte Docke ihnen das Geld zurück. „Aufgeben war keine Option“, sagt Docke in einem TV-Beitrag über diesen Fall, aber der Satz kann als Motto über seiner ganzen Laufbahn stehen.
Bernhard Docke, über Steinmeiers Weigerung, den Bremer Murat Kurnaz aus Guantánamo zurückzunehmen
Besonders über seinem berühmtesten Fall: Fünf Jahre wurde der Bremer Murat Kurnaz in Guantánamo interniert und gefoltert, ohne Anklage und Verfahren. Docke und Kurnaz’ Mutter Rabiye erreichten schließlich nicht nur seine Freilassung, sondern konnten nachweisen, dass die US-Behörden nach kurzer Zeit nicht mehr an seine Schuld geglaubt hatten und ihn bereits 2002 nach Deutschland abschieben wollten. Die Bundesregierung lehnte dies ab, obwohl selbst der BND ihn für unschuldig hielt. „Das war eine eiskalte, inhumane Entscheidung. Verantwortlich dafür war der heutige Bundespräsident“, sagte Docke in einem taz-Interview zur Premiere des Kino-Films „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ im Februar.
„Es war für uns beide ein Stück weit späte Genugtuung, weil wir damals komplett allein waren“, sagt er heute über den mittlerweile preisgekrönten Film von Andreas Dresen. „Alle sind uns mehr oder weniger aus dem Weg gegangen, weil nach 9/11 die Angst verbreitet war, sich vielleicht für etwas Falsches und Gefährliches einzusetzen. Am Ende meiner beruflichen Tätigkeit so ein filmisches Dokument über meinen wahrscheinlich größten Fall zu bekommen, ist ein Sahnehäubchen obendrauf.“
Nicht aufgeben, aber abgeben muss er jetzt seinen letzten großen Fall, in dem er Angehörige der Opfer und Überlebende des Staudammunfalls im brasilianischem Brumadinho, bei dem 2019 mehr als 270 Menschen starben, im Ermittlungsverfahren gegen einen Manager des TÜV Süd vertrat. „Aber der Fall ist in guten Händen,“ sagt Docke. Und das ist ihm verdammt wichtig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!