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Bremer Kliniken sollen besser werdenEinigkeit in der Bürgerschaft

Mehr Investitionen und mehr Personal, damit Patienten zufriedener sind: Das wünschen sich im Grunde fast alle Fraktionen der Bürgerschaft für die Bremer Kliniken.

Ein Lächeln im Krankenhaus hilft immer. Bremen hätte gerne mehr davon Foto: dpa

BREMEN taz | Dass drei ÄrztInnen fünf Meinungen haben, ist so ein Sprichwort und das gilt gemeinhin auch für die Politik. Nicht so allerdings am Mittwoch in der Bürgerschaft, als über die Qualität der Bremer Kliniken debattiert wurde. Da waren sich die Fraktionen im Grunde recht einig: Besser solle es werden, es gibt Bedarf an Investitionen und Personal. Die Zufriedenheit der Patienten müsse sich verbessern, sagte Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD), aber die medizinische Qualität Bremer Kliniken liege über dem Durchschnitt.

Anlass für die Debatte war eine Studie zur Zufriedenheit der PatientInnen, die letzte Woche von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht wurde (siehe Kasten). Bremer PatientInnen würden demnach eine Klinik weniger häufig weiter empfehlen als im Bundesdurchschnitt. Die CDU hatte eine Aktuelle Stunde zum Thema beantragt.

Mehr erhofft hatte sich von der Debatte eine Gruppe dreier Angehöriger, deren Sohn, Mutter und Tochter in Bremer Klinken zu Schaden oder zu Tode kamen und die Konsequenzen daraus vermissen. Am Dienstag hatten sie ihren Unmut in einem offenen Brief formuliert.

Zusammengetan hatten sich dafür die Mutter von Kerim Ucar, der Sohn von Ayten Akin, und die Mutter von Melissa Beck. Die 21-jährige Melissa Beck hatte sich im August 2014 kurz nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie im Klinikum Bremen-Ost umgebracht. Aus Sicht der Mutter war sie dort nie richtig von einem zuständigen Arzt behandelt worden, weil das Personal fehlte.

(Un)zufriedene Patienten

Für eine aktuelle Studie hat die Bertelsmann-Stiftung eine Million Patientenfragebögen der Krankenkassen AOK und Barmer ausgewertet.

Für Bremen würden 73,9 Prozent der Befragten die Klinik nach ihrer Behandlung weiterempfehlen, für Niedersachsen 76,7 Prozent.

Beide Bundesländer liegen damit deutlich unter dem bundesweiten Schnitt von 79,3 Prozent und am Ende der bundesweiten Skala.

Die 79-jährige Mutter von Noah Akin war 2014 nach einer Behandlung im Klinikum Bremen-Ost gestorben. Sie fiel nach einer Lungenspiegelung – die nicht hätte gemacht werden dürfen – ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Akin wirft der Klinik vor, seiner Mutter lebensrettende Maßnahmen verweigert zu haben.

Und dann Kerim Ucar. Dem 18-Jährigen wurde im Oktober 2017 eine gesunde Niere statt der kranken Milz entfernt. Das fiel erst bei der Untersuchung des entnommenen Organs in der Pathologie auf. Laut Anwalt der Familie soll der Arzt während der OP noch telefoniert haben, weil er sich unsicher war.

Drei krasse Fälle, die für die Familien schlimmes Leid bedeuten und bei denen vor allem die Mutter von Melissa Beck auch heftige Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft formuliert, die die Ermittlungen eingestellt hat.

Drei krasse Fälle, bei denen allerdings auch die Frage ist, ob sie etwas über die allgemeine Qualität der Krankenhäuser aussagen. Der Tod von Melissa Beck zumindest verweist auf einen eklatanten Personalmangel.

Konsequenzen gefordert

Um die Fälle ging es am Mittwoch in der Bürgerschaft nur am Rande, als Klaus Remkes, Abgeordneter der rechtspopulistischen Bürger in Wut, sie ansprach und gleich lauthals Taten und Konsequenzen einforderte.

Die RednerInnen der anderen Fraktionen gingen darauf kaum ein und waren auch zurückhaltender, was Schlussfolgerungen aus der Umfrage der Bertelsmann-Studie anging. FDP, Grüne, SPD und auch die Gesundheitssenatorin verwiesen darauf, dass die bei der Studie abgefragte subjektive Zufriedenheit der Patienten keineswegs gleichzusetzen sei mit der medizinischen Qualität der Kliniken. Schließlich kann auch ein grummeliger Arzt der beste seines Faches sein. Gleichwohl will die Senatorin sich mit allen Klinikchefs Bremens zusammensetzen.

Überlastetes Personal

Peter Erlanson von der Linksfraktion erinnerte daran, dass PatientInnen nicht zufrieden sein können, wenn das Personal unzufrieden, weil überlastet, ist. Der CDU-Gesundheitspolitiker Rainer Bensch erklärte, es gebe einen Investitionsbedarf von mindestens 80 Millionen Euro und der Senat stelle nicht einmal die Hälfte zur Verfügung.

Die Krankenhaus-Investi­tionen seien gestiegen, hielt Senatorin Quante-Brandt entgegen. Seit 2014 stehen laut Gesundheitsressort jährlich 38,6 Millionen Euro zur Verfügung – 10 Millionen mehr als zuvor. In 2017 und 2018 seien noch fünf Millionen aus dem Strukturfond und sieben Millionen aus dem kommunalen Investitionsprogramm hinzugekommen.

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4 Kommentare

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  • Üblicherweise sind die Leute, die sich organisieren, die Spitze des Eisbergs!

  • Gleichfalls verheerend: Die Vermittlung des Eindrucks, dass die drei "krassen Fälle" zwar "für die Familien schlimmes Leid" bedeuteten, die Allgemeinheit aber im Grunde nicht kümmern müssten! Grundverkehrt! Was ist bedrohlicher und politisch relevanter, als wenn der Staat respektive seine Institutionen statt die Grund- und Menschenrechte seiner Bürger pflichtgemäß zu schützen - insbesondere das Recht auf Leben! - selbst massiv gefährdet bzw. verletzt?! Im Übrigen erhebe nicht nur ich massive Vorwürfe gegen die Bremer Justiz - auch Noah Akin hat Verfassungsbeschwerde eingereicht. In beiden Fällen wurden die Beschwerden vom Bundesverfassungsgericht auch bereits angenommen.

  • Es müssen bundesweit die Gehälter für das Pflegepersonal angehoben werden, damit der Beruf wieder attraktiver wird. Mit dem Ausschreiben weiterer Stellen, auf die sich niemand meldet, wird man den Pflegenotstand nicht beheben können.

  • Wie ignorant und in der Sache schädlich! Statt journalistisch sorgfältiger Prüfung der Fakten im Hinblick auf die Vorwürfe unserer Angehörigen-Gruppe zum Tatort Krankenhaus, das Bedienen von stereotypen Ressentiments in Richtung "der rechtspopulistischen Bürger in Wut". Und obendrauf eine bemerkenswert fehlerhafte Schlussfolgerung - nämlich die, dass das Fehlen des für die Krankenbehandlung zwingend erforderlichen Fachpersonals in einer Klinik noch nicht zwingend etwas über deren "allgemeine Qualität" aussage! Ein Krankenhaus, das wie die Psychiatrie des Klinikums Bremen-Ost mit schwer(st)kranken Patienten Behandlungsverträge abschließt, in Kenntnis der Tatsache, sie wegen fehlenden Personals überhaupt nicht erfüllen zu können, ist ein Tatort! Das Eingangsdelikt heißt Betrug! So wie im Juli 2014, als meine 20-jährige Tochter Melissa als Notfall im lebensbedrohlichen Zustand auf eine Station aufgenommen wurde, deren einzige Ärztin ohne Vertretung im Urlaub war! In der Konsequenz blieben die 21 Patienten der auf die Behandlung von schweren Depressionen spezialisierten Station wochenweise ohne ärztliche Behandlung! Der Arzt, die Ärztin ist die zentrale Figur im Behandlungsgeschehen.Wo er/sie fehlt, kann nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst festgestellt werden, welche Erkrankung den Beschwerden eines Patienten zugrunde liegt und folglich auch nicht regelgerecht behandelt werden.Welche Reaktion eines Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft wäre angesichts derartiger, unleugbar rechtswidriger, Gesundheit und Leben von Patienten bedrohende, Zustände angemessener als "gleich lauthals Taten und Konsequenzen einzufordern"?! Der vom Autor formulierte Zweifel, ob die Fälle unserer Angehörigen geeignet seien, etwas über die allgemeine Qualität der Krankenhäuser auszusagen, zeugt von beträchtlicher Ignoranz: Die personelle Ausstattung einer Klinik bedingt deren Strukturqualität. Aus der Strukturqualität folgt die Prozessqualität, das heißt die Qualität der Behandlung!