Bremer Hooligan-Prozess: Überschaubare Strafen
Das Bremer Amtsgericht stellt neonazistischen Hooligans, die 2007 eine Party antirassistischer Fans überfielen, Milde in Aussicht - auch wegen der langen Verfahrensdauer, die es selbst verschuldete.

BREMEN taz | Eine offenbar geplante Provokation: Als "Racaille Verte", eine eher linke Werder-Fangruppe, im Ostkurvensaal des Bremer Weserstadions gerade eine Party veranstaltet, verlangen zwei Männer in neonazitypischer "Thor Steinar"-Bekleidung Einlass - vergeblich. Wenige Minuten später stürmen zwei Dutzend Hooligans den Saal. Ein Anwesender wird gezielt brutal zusammengeschlagen, ein zweiter ebenfalls schwer verletzt, fast 40 weitere leicht.
Über viereinhalb Jahre nach jenem Überfall begann am Donnerstag gestern der Gerichtsprozess. An sieben Tagen sollen insgesamt 64 Zeugen vernommen werden. Links der Block aus sieben Angeklagten und sieben Verteidigern, ihnen gegenüber ein einsamer Staatsanwalt, und das auch nur stellvertretend - der eigentlich zuständige Kollege ist im Urlaub. Nebenkläger gibt es keine, die Betroffenen wollen vermeiden, sich erneut zur Zielscheibe zu machen. "Wir wären gerne als Nebenkläger aufgetreten", sagt Thomas Hafke vom Fan-Projekt, in dessen Räumen die Feier damals stattfand. "Aber das konnten wir aus juristischen Gründen nicht."
Die zum Teil sehr forsch auftretenden Anwälte der Verteidigung gingen sofort zum Angriff über: Sein Mandant werde durch die späte Anklageerhebung "unangemessen belastet", trug einer der Verteidiger vor. Bei der in Rede stehenden Tat handele es sich um einen "an und für sich wenig besonderen Vorgang", führte er aus und verlangte die Einstellung des Verfahrens - unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch sein Kollege beklagte die "knappe Ressource Recht" und erklärte, eine "körperliche Auseinandersetzung zwischen Fußball-Fans", noch dazu vom selben Club, habe lediglich "innerfamiliären Charakter".
Für den Fan-Beauftragten Hafke ist das blanker Unsinn: "Kloppe zwischen Fans sieht völlig anders aus", sagt er. Als Grund für den Überfall vermutet er die Arbeit von Racaille Verte, etwa gegen Homophobie und Rassismus im Stadion.
Wie aber ist der späte Verfahrensbeginn zu erklären? Amtsrichter Hans Ahlers erkannte eine "nicht unproblematische Beweislage". In der Tat hatten die Überfallenen zunächst gezögert, Anzeige zu erstatten. Drei Monate nach dem Überfall lag jedoch der Großteil der Aussagen vor. Seither wurden Zeugen, wie diverse Vorfälle dokumentieren, von Mitgliedern der rechtsextremen Organisationen "Standarte Bremen" und "Nordsturm Brema" bedroht.
Wie unzureichend sich die Justiz bemüht, Opfer und Zeugen zu schützen, zeigte sich sogar im Gerichtsgebäude: Ungehindert fotografierten die zahlreich anwesenden Hooligans Prozessbesucher und Pressevertreter. "Ich will nicht fotografiert werden", sagte eine Journalistin - "Halts Maul" lautete die Antwort. Selbst als die ihrerseits vermummten Hooligans eine Pause dazu nutzten, die Racaille-Verte-Anhänger in der Gerichts-Cafeteria abzufilmen, blieben die Polizisten am Nebentisch passiv.
Der juristische Deal, der derweil unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustande kam, läuft offenbar auf ein moderates Strafmaß hinaus. Richter Ahlers stellte gestaffelte Tagessätze in Aussicht, zum Teil auf Bewährung, zwischen 30 und "höchstens 90" Tagessätzen. Obendrein gelte ein Teil davon schon als abgegolten - wegen der langen Verfahrensdauer. Es bliebe in allen Fällen bei weniger als 91 Tagessätzen - der Grenze für einen Eintrag ins Führungszeugnis.
Als "total enttäuschend" bezeichnete einer der Überfallenen den Verlauf. Das nun zu erwartende Urteil stelle keinen wirksamen Schutz dar: "Nächste Party, nächster Angriff."
Auf Seiten der Verteidigung hingegen herrschte offenkundige Zufriedenheit. Bis zum nächsten Verhandlungstag entscheidet sie über eine Annahme der Tagessätze - dann wäre der Prozess schon wieder beendet.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier