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Archiv-Artikel

Bremer Bulldozer-Fußball

Auch nach einem 8 : 1 ist nicht alles Gold, was glänzt: Von der Eleganz vergangener Jahre ist Werder Bremen noch ein gutes Stück entfernt. Zur Demontage einer biederen Bielefelder Elf reicht es aber

VON JENS FISCHER

Es mag komisch klingen nach einem 8 : 1-Sieg, aber auch gegen Bielefeld machen die Bremer Kicker zunächst 17 Minuten lang da weiter, wo sie auswärts gegen Wolfsburg aufgehört hatten. Feldüberlegen, aber der Wille, mutig zu spielen, gebiert vornehmlich Hektik. Also Fehlpässe.

Filigran-Entertainer Diego hält das verunsicherte Team allein am Leben und wird dafür überbordend verehrt. Er dribbelt mit Kunst- und Kabinettstückchen über die Mittellinie, aber verkneift sich den gescheiten Pass, weil die Mitspieler im Abseits stehen, abgedeckt sind – oder sowieso den Ball nicht unter Kontrolle bringen würden. So gibt der Alleinunterhalter den Abräumer, Regisseur und Stürmer. Seine technische Raffinesse übertüncht, dass derzeit kein Werderaner auch nur annähernd an Diego heranreicht. Wie in der Vorsaison sitzt der zweite Anzug nicht: Vranješ mit einer gefühlten Fehlpassquote von 235 Prozent; Rechtsverteidiger Pasanen, der zu gern ins Abwehrzentrum drängt, dabei seine Flanke den Gegnern öffnet; Linksverteidiger Tošić mit eklatanten Unzulänglichkeiten bei Tackling, Stellungsspiel und Flanken.

Noch problematischer: der Sturm. Denn dort spielt die erste Wahl. Absurd, nach einem auf 8 : 1 geschraubten Sieg die Offensive zu kritisieren? Denn es fehlt der einstige Charme des Werder-Spiels, Tore nicht nur mit robuster Physis zu erzielen, sondern mit spielerischen Mitteln: einer verblüffenden Körpertäuschung, einem eleganten Doppelpass, einer blitzgescheiten Pointe. Die dafür notwendigen Stürmer sind nicht im Kader. Almeida und Sanogo drücken die Bälle zwar mit dem Fuß oder dem Kopf über die Linie, ihre technischen Fertigkeiten sind aber zu begrenzt, um mit rasantem Kurzpassspiel durch die Abwehr zu tanzen. Statt Kombinationskaskaden sind lange, hohe Bälle in die Spitze zu erleben. Fußball von vorgestern. Sportdirektor Klaus Allofs sagt nach dem Spiel, die Stürmer hätten „Potenzial“. Eben. In der Offensive fehlt einer, mit dem Diego auch mal die hohe Schule des Zusammenspieles zelebrieren kann. Feinschmeckerfußball.

Ein nicht geringer Teil des Publikums will nicht nur 8 : 1-gesättigt, sondern auch im ästhetischen Empfinden befriedigt nach Hause gehen. Bielefeld bemüht sich als Aufbaugegner. In der 17. Minute kommt Peter Niemeyer. Vor der Saison gedemütigt, weil er nicht für die Champions-League gemeldet wurde, man ihn ausleihen wollte. Jetzt hämmert er den Ball in den Torwinkel, als wäre das nix. Eine Befreiung. Weil Bielefeld jetzt beginnt, „desaströs“ zu agieren, wie ein mühsam um Fassung ringender Trainer Middendorp analysiert. Spiele im Werder-Training sind häufig schwieriger zu gewinnen als dieses. Selten zuvor durfte Werder derart absolutistisch die Kopfballhoheit im gegnerischen Strafraum ausüben. Die Tore: folgerichtig. So macht Werder-Gucken vorerst auch wieder Spaß, gerade weil Bielefeld ihn nie verdirbt.

Daniel Jensen zeigt, dass er in der Lage ist, sich mit Diego die kreative Last zu teilen. Zudem ist Clemens Fritz erfolgreich ins Team zurückgekehrt und die verunsicherten Spieler haben Selbstvertrauen getankt. Die Werder-Brust ist wieder breiter geworden – gerade rechtzeitig zum Champions League-Spiel gegen Piräus am Mittwoch.