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Bremer Ausbildungsfonds kann kommenAusbilden wird bald belohnt

Die Bremer Ausbildungsumlage ist verfassungsgemäß, sagt der Staatsgerichtshof. Wegen einer Sonderregel für Kirchen war die Entscheidung knapp.

Wer in Bremen ausbildet, soll finanziell entlastet werden: Die Ausbildungsumlage ist verfassungsgemäß, so der Staatsgerichtshof Foto: Sina Schuldt/dpa

Bremen taz | Der Gerichtssaal des Bremer Staatsgerichtshofs ist zur Urteilsverkündung voll. Schließlich sind auch alle vertreten, die vor Gericht die Ausbildungsumlage abschaffen wollten: die Handels- und die Handwerkskammer, die Rechtsanwalts- und Apothekerkammer, die Kammern von Ärz­t*in­nen und Zahnärzt*innen.

Vereint sahen sich diese Berufsstände in ihrer Ablehnung, unzumutbar werde ihr Recht als Arbeitgeber eingeschränkt. Der Bremer Staatsgerichtshof hat an diesem Montag gegen sie entschieden: Das Ausbildungsunterstützungsfondsgesetz aus dem Jahr 2023 ist verfassungsgerecht. Das bedeutet, dass ab nächstem Jahr alle Unternehmen einen Beitrag zur Ausbildungsförderung zahlen müssen.

Die Empörung bei Wirtschaftsverbänden und Opposition ist groß: Von einem „schweren Schlag für alle Unternehmen“ spricht die Bremer CDU, einen „schwarzen Tag für unsere Wirtschaft“ sieht die FDP. Und die Handelskammer kündigt weitere Einzelklagen von Mitgliedsunternehmen gegen das Gesetz an.

Ziel des Gesetzes ist es, die Zahl der Ausbildungsplätze und die Qualität der Ausbildung zu erhöhen – und so etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun. Die „Zwangsabgabe“, wie die Handelskammer es nennt, soll von allen Betrieben in Bremen abgeführt werden. Pauschal werden von allen 0,27 Prozent der Arbeitnehmerbruttolohnsumme fällig – also 0,27 Prozent der gesamten Lohnkosten eines Unternehmens über das Jahr. Kleinstbetriebe sind ausgenommen. Das Geld wandert in einen Fonds.

Wer ausbildet, profitiert von dem Gesetz

Wer ausbildet, bekommt aus dem Fonds Geld zurück: 2.250 Euro pro Azubi und Jahr. Für den Ausbildungsbetrieb kann sich das netto durchaus lohnen. Das Ressort der Bremer Arbeitssenatorin Claudia Schilling (SPD) rechnet vor, dass ein Unternehmen mit fünf Beschäftigten und einem Azubi zwar rechnerisch 719 Euro zahlen müsste – durch die Verrechnung mit dem Ausgleich aber 1.531 Euro ausgezahlt bekommt.

Der Ausgleich soll Ausbildungsbetriebe entlasten und es attraktiv machen, Lehrstellen anzubieten – und auch zu besetzen. Mit dem restlichen Geld des Fonds sollen zentral Maßnahmen finanziert werden, damit Ausbildungen nicht nur begonnen, sondern auch erfolgreich beendet werden: Beispiele sind Weiterbildungen für Ausbilder*innen, Sprachkurse für zugewanderte Azubis, Nachhilfe in praktischer Form in den Betrieben oder eine zentrale Einführungswoche für Auszubildende.

Vor allem zwei Argumente führen die Gegner aus der Wirtschaft an: Zum Einen kritisieren sie die zusätzliche Bürokratie. Sie müssen künftig einmal jährlich die Zahl der Auszubildenden und die Summe aller Jahresgehälter an die Behörde melden. Zum anderen finden sie, eine Ausbildungsplatzabgabe schiebe den Unternehmen Verantwortung für ein Problem zu, an dem sie keine Schuld trügen. Schließlich seien die Betriebe händeringend auf der Suche nach Azubis und würden gerne mehr ausbilden – es fehle allein an passenden Kandidat*innen.

Das Argument wird vom Gericht in der Begründung aufgenommen – das Problem anhand einiger Zahlen dann aber doch zum Teil den Unternehmen angelastet. Laut Expertenkommission gebe es in Bremen ein seit Jahren rückläufiges Ausbildungsplatzangebot. Auf 100 Suchende kämen nur 91 Plätze. Und 31 Prozent (und damit noch etwas mehr als im Bundesschnitt) der Ausbildungen brechen vorzeitig ab.

Unternehmen tragen Verantwortung für Fachkräfte

Juristisch waren andere Argumente noch wichtiger: Das Land dürfe gar kein Ausbildungsfondsgesetz verabschieden, hieß es, schließlich greife es damit in die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ein. Das Gericht verwarf den Einwand. Der Bund habe zwar die Möglichkeit, einen solchen Fonds aufzulegen, aber er mache davon keinen Gebrauch. Das Land darf also tätig werden.

Ein zweiter Einwand wirft dem Land vor, mit der Sonderabgabe gegen die eigene Verfassung zu verstoßen. Die Handlungsfreiheit, die Bremen in Artikel 3 allen zugesteht, werde durch die Ausbildungsplatzabgabe unverhältnismäßig eingeschränkt. Es gäbe keine rechtlichen Voraussetzungen, eine Sonderabgabe von Unternehmen zu erheben.

Das Gericht weist das zurück: Eine Abgabe mit lenkender Wirkung habe zwar Auswirkungen auf den Schutzbereich der Handlungsfreiheit; aber sie sei verhältnismäßig und gerechtfertigt. Einmal durch die überschaubare Höhe der Abgabe, vor allem aber, weil der Sachzweck klar auf der Hand liege. Die bessere Versorgung mit Fachkräften liege insbesondere im Interesse von Unternehmen. Und durch die historisch gewachsene duale Ausbildung mit praktischem Ausbildungsteil in den Betrieben hätten Unternehmen auch eine besondere Verantwortung, den Fachkräftemangel zu beheben.

Das sogenannte Passungsproblem, das also Ausbildungsplätze und Ausbildungswillige nicht so einfach zueinanderpassen, könne nicht allein auf die Gesellschaft abgewälzt werden. Natürlich haben der demografische Wandel, die Einwanderungspolitik und auch Entwicklungen in der Bildungslandschaft mit dem Trend zu mehr Abitur Auswirkungen auf die Menge an perfekt passenden Bewerber*innen. „Aber der Arbeitgeber muss seine Aufgabe erfüllen, auch wenn sich Umstände ändern.“

Ein Punkt hätte fast der Genickbruch sein können für das Gesetz: Gespalten waren die Richter in der Antwort auf die Frage, wer eigentlich gemeint ist vom Gesetz: Wer muss zahlen? Ist es eine homogene Gruppe von Arbeitgebern, die alle gleich behandelt werden? Oder gibt es Ausnahmen, die gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstoßen würden?

Die umstrittene Stelle im Gesetzestext klingt harmlos: „Dieses Gesetz gilt für im Land Bremen ansässige Unternehmen […].„ heißt es. Und kurz darauf: „Für die Auslegung des Begriffs Unternehmen gelten die Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes.“ Das Problem: Je nachdem, welchen Teil des §2 des Umsatzsteuergesetzes man sich anschaut, könnten damit die Kirchen als große Arbeitgeber rausfallen.

Die Mehrheit des Gerichts legt das Gesetz anders aus: „Der Gesetzgeber beabsichtigte weitgehend umfassende Einbeziehung aller privaten Arbeitgeber“, so der Vorsitzende Richter Peter Sperlich. Zwar habe der Gesetzgeber das Gesetz nach Kritik der Katholischen und der Bremischen Evangelischen Kirche etwas umformuliert, doch ausgenommen von der Umlage werde damit nur der „ideelle Bereich“ der Kirche; als großer Arbeitgeber, etwa in Kitas und Kliniken, müssten sie in den Fonds einzahlen. Es gebe „keine Ansatzpunkte“ dafür, dass der Gesetzgeber Arbeitgeber aus der Verantwortung entlassen sehen wollte.

Der Arbeitgeber muss seine Aufgabe erfüllen, auch wenn sich Umstände ändern

Peter Sperlich, Präsident des Staatsgerichtshofs

Die knapp unterlegene Minderheit der Vizepräsidentin und zweier Richter, einer von ihnen Stephan Haberland, sieht in der Definition von „Unternehmen“ durch das Umsatzsteuergesetz einen klaren Verweis darauf, dass Kirchen auch als große Kita- und Krankenhausträger ausgenommen wären – und damit, so folgern sie, verstoße das Gesetz gegen Gleichbehandlungsgrundsätze und sei verfassungswidrig.

„Die Aufgabe von Verfassungsgerichten ist es nur, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu prüfen. Nicht, Gesetze zu reparieren, damit sie konform sind“, so Haberland im Gerichtssaal, nach der eigentlichen Urteilsbegründung durch Richter Sperlich. „Das Gericht darf nicht Gesetze neu bestimmen, wenn der Gesetzeswortlaut klar und eindeutig ist.“ Es gebe keinen Hinweis darauf, dass einfach schlampig formuliert worden sei.

Wie auch immer das Gesetz gemeint war: Das Gericht hat mit seinem Urteil klar formuliert, wie es ausgelegt werden muss, damit es verfassungsgemäß ist. Wenn ab Januar die Daten der Unternehmen gesammelt werden, müssen sich also auch die Kirchen beteiligen.

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