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Bremer Abgeordnete Cakici über die Linkspartei"Ich hätte längst austreten müssen"

Nach Medienberichten über die Verhaftung ihres Bruders verlässt die Bremer Bürgerschafts-Abgeordnete Sirvan Cakici die Linkspartei.

Nicht mehr bei der Linken: die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Sirvan Cakici. Bild: Nikolai Wolff/Fotoetage
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Frau Cakici, wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode kehren Sie der Bremer Linkspartei den Rücken. Weshalb?

Sirvan Cakici: Ich hätte schon längst dort austreten müssen. Jetzt war ich mir diesen Schritt schuldig.

Am Wochenende machte ein Bremer Anzeigenblatt bekannt, dass Ihr Bruder Ende Oktober vorübergehend in Haft genommen wurde. Hat dies mit Ihrem Rücktritt zu tun?

Sirvan Cakici

30, war bis Montag Linkspartei-Abgeordnete und ist Vorstandsmitglied der Bremischen Bürgerschaft. In der Fraktion war sie Sprecherin für Kinder und Jugend, Migration, Sport und Familie.

Im selben Atemzug hat man mich auch mit der PKK in Zusammenhang gebracht und gleich noch ein altes Ermittlungsverfahren gegen mich wieder aufgewärmt. Diese Art der Berichterstattung ist Rufmord und ich lasse juristische Schritte prüfen. So etwas bin ich aber von Seiten der Medien gewohnt. Viel schwerer wiegt, dass mir anonyme Anrufer gedroht haben, die Verhaftung meines Bruder zu veröffentlichen, wenn ich mein Mandat nicht niederlege.

Das klingt, als ob Sie glauben, dass dahinter Teile Ihrer eigenen Partei stecken?

Das würde ich offen lassen.

Das klingt nach einem sehr belasteten Verhältnis. Wie würden Sie denn den Umgang zwischen Ihnen und der Partei beschreiben?

Zu den Kollegen in der Fraktion habe ich ein vertrauensvolles Verhältnis. Für Teile der Partei gilt das nicht. Von dort aus hat es seit Beginn der Legislaturperiode immer wieder Angriffe gegen mich gegeben. Vor meiner Kandidatur Ende 2006 war ich nicht in der Partei aktiv.

Die Verhaftung ihres Bruders, der bei der Staatsanwaltschaft als "Intensivtäter" geführt wird, liegt drei Wochen zurück. Es ging um Verdunklungsgefahr, doch die wurde ausgeräumt, inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß. Warum haben Sie dies nicht einfach selbst öffentlich gemacht?

Mein Bruder ist mehrfach vorbestraft und ich verurteile das, was er tut, scharf. Das habe ich nie verheimlicht. Als 2007 Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet wurden, habe ich darüber sofort den Innensenator informiert. Meine Mitgliedschaft in der parlamentarischen Kontrollkommission für Polizei und Geheimdienste habe ich freiwillig niedergelegt. Im Rechtsausschuss habe ich nie aktiv Funktionen wahrgenommen.

Gleichwohl leben Sie mit Ihrem Bruder im selben Haus. Wäre es nicht klüger gewesen, hier Distanz zu schaffen?

Die Distanz habe ich von Beginn an durch entsprechende Statements hergestellt. Vielleicht wäre es tatsächlich klüger gewesen, auszuziehen. Aber ich will mir nicht vorschreiben lassen, ob ich als Abgeordnete mit meiner Familie zusammen wohnen darf oder nicht.

Immerhin mussten Sie deshalb mehrere Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Politisch lässt sich so etwas zweifellos instrumentalisieren.

Obwohl mein Bruder in einem anderen Stockwerk lebt, wurden auch meine Räume durchsucht. Ein Gericht hat festgestellt, dass dies rechtswidrig war.

Noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft aber auch gegen Sie, weil eine Frau aus Hannover Ihnen vorwarf, sie bedroht zu haben.

Die Frau hat diesen Vorwurf zurückgezogen. In den nächsten Tagen ist mit einer Entscheidung zu rechnen.

Seit langem sind Sie Anwürfen ausgesetzt, sie stünden der PKK nahe. Was sagen Sie dazu?

Ich habe nichts mit der PKK zu tun. Dafür lasse ich mich nicht instrumentalisieren. Ich sehe mich als Deutsche, als Türkin und als Kurdin. Die einzigen Organisationen, in denen ich Mitglied bin, sind der Verband türkischstämmiger Mandatsträger, die türkische Gemeinde in Deutschland und die türkisch-deutsche Plattform.

Sie sind Wirtschaftsassistentin, haben kürzlich ein Studium aufgenommen. Was wollen Sie künftig tun?

Ich werde als fraktionslose Abgeordnete in der Bürgerschaft bleiben. Was die Zukunft bringt, wird man sehen. Auf jeden Fall will ich mich weiter politisch und sozial engagieren. Die Bürgerschaftswahl 2011 ist aber definitiv kein Thema für mich.

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7 Kommentare

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  • KM
    Katja Meister

    Hier geht es doch garnicht darum, irgendjemanden in "Sippenhaft" zu nehmen. Deshalb wird hier von vielen Schreibern etwas verwechselt. Zur Erinnerung: Frau Cakici selbst war es, die ihren Austritt aus der Partei erklärt hat, weil ihr offensichtlich ein Artikel im Weser-Report nicht gefallen hat, der sich mit ihrem Bruder beschäftigt. Dies wiederum hat sie zum Anlass genommen, mit großem Buhei ihre ehemalige Partei anzugreifen. Eins ist mir bei der Lektüre des Interviews allerdings schon unangenehm aufgefallen. Offensichtlich haben Frau Cakici und die Linksfraktion immer wieder öffentlich die Unwahrheit gesagt, wenn es um das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen die Abgeordnete ging. Noch immer wird also gegen Frau Cakici wegen Erpressung und Nötigung ermittelt. Dies macht mich allerdings sehr nachdenklich.

  • HH
    Hergen Hillen

    In diesem Fall ist es die Sippenhaft der Medien, die dafür gesorgt haben, dass eine ambitionierte Politikerin der Linkspartei öffentlich diskreditiert wird. Sirvan Cakici ist nicht die Erziehungsberechtigte ihres Bruders und auch nicht für dessen Straftaten verantwortlich. Im Übrigen ist es seit eh und je so, dass der Verfassungsschutz kurdische Kulturvereine und Kurden schlechthin mit der PKK in Verbindung bringt. In der Öffentlichkeit werden solche Zuschreibungsprozesse dann irgendwann nicht mehr hinterfragt. Es ist im Grunde die alte Masche staatlicher Repression: Um Inhalte einer politischen Partei oder Bewegung zu unterdrücken, wird nach Verfehlungen der Person gesucht. Kann man der Person, in diesem Fall Sirvan Cakici, keine konkreten Verfehlungen anhängen, wird im sozialen Umfeld gesucht. Es ist eigentlich ein ziemlich widerliches Spiel, was hier mit unliebsamen politischen Mandatsträgern getrieben wird. Leider funktioniert es immer wieder.

  • H
    Hatem

    @holperik und @kreuzberger

     

    Es geht nicht um Sippenhaft. Aber von einer Politikerin sollte man erwarten, dass sie sich von einem Intensivstraftäter in der eigenen Familie deutlich distanziert, statt mit ihm unter einem Dach zu leben. Sowas wirft zwangsläufig die Frage auf, ob Sirvan Cakici die richtige Frau für ihren Posten (Sprecherin für Kinder und Jugend, Migration, Sport, Familie) ist.

     

    Und dann bitte nicht vergessen: Gegen die Abgeordnete wurde ermittelt, wegen Bedrohung der Ehefrau ihres Geliebten. Sie verlor zeitweise ihre Immunität. Die Ermittlungen wurden eingestellt, weil die Anzeige zurückgezogen wurde.

     

    Und wer so PKK-nah ist - wie will der für türkischstämmige Migranten Politik machen?

     

    In der Summe muss ich sagen: Eine seriöse Politikerin stelle ich mir anders vor.

  • HH
    @ hatem

    es wäre mal interessant zu gucken, was so ihre cdu/spd/fdp freunde für verwandschaft hat und in wie fern die nicht auch vorbestraft sind oder sein sollten. ach ich vergaß, steuerhinterziehung, korruption und andere wirtschaftsvergehen sind je keine verbrechen, sondern nur kavaliersdelikte.

     

    und was der vs als "extremistisch" einstuft, kann niemand wirklich nach vollziehen. m.m.a stufen die herren und (wenigen) damen doch alles als "extremistisch" ein, wovor die angst haben. und das scheint eine menge zu sein.

     

    ein demokratiefreundlicher mensch

     

    p.s.: sippenhaft gab im dritten reich. ich dachte wir sind einen schritt weiter. aber daran erkennt jeder mensch, welchen geistes kind sie sind.

  • K
    Kreuzberger

    Ich bin weiß Gott kein Freund der Linkspartei, aber: Sippenhaft ist mittelalterlich.

    Dass sich sog. Linke einer solchen Praxis bedienen und auch der Leserbriefschreiber Hatem glaubt, dass das Verhalten anderer Familienmitglieder einer Politikerin selbst zugeschrieben werden können, offenbart in meinen Augen ein hochproblematisches Demokratieverständnis.

    Wünsche der jungen Frau einen glaubwürdigen, eigenständigen Weg ohne die kriminellen Aspekte ihrer Herkunftsfamilie und ohne die Bigotterie der Linkspartei.

    Ein Studium, das eine hervorragende Basis für eine selbstverantwortliche Existenz sein dürfte, ist sicherlich ein guter Anfang, die Mitarbeit bei amnesty o.ä. könnte auch dem gesellschaftliche Engagement der jungen Frau ebtgegenkommen.

  • H
    Holperik

    Klingt irgendwie nach Sippenhaft. Gut, dass mein Geschwister bürgerliche Spießer sind, meine Eltern Eigenheimbewohner. Wer weiß, was mir alles angedichtet worden wäre, wenns nicht so wäre.

  • H
    Hatem

    Wer solche Familienangehörigen hat, kann seine politische Karriere in die Tonne treten.

    Nicht nur, dass der Bruder Intensivtäter ist.

    Der Vater ist Vorstand des Vereins "Birati e.V.", laut Verfassungsschutz eine extremistische Truppe und PKK-Nah.

     

    Aber der Linkspartei schien das ja lange egal zu sein. Hauptsache Wählerstimmen. Aber so kann man sich natürlich auch unwählbar machen.

    Herzlichen Glückwunsch.