Bremen wird abgeholzt: Bremen, Stadt der Baumstümpfe
In der Sägesaison 2012/13 wurden doppelt so viele Bäume gefällt wie im Durchschnitt üblich. Ökonomische Gründe schließt das Umweltressort kategorisch aus
Vielerorts in Bremen sind derzeit frische Baumstümpfe zu sehen. Längs der Weser, an der Humboldtstraße, am Niedersachsendamm, und so fort. Gestern ging die seit Oktober dauernde Sägesaison zu Ende. „Da mussten wir noch mal richtig Gas geben“, bestätigt Kerstin Doty vom Umweltbetrieb Bremen.
Schaut man in dessen Statistiken, bestätigt sich der subjektive Eindruck: Diesen Winter verschwanden in Bremen genau 1.606 Bäume vom öffentlichen Grund. „Im Durchschnitt“, so heißt es in der Selbstdarstellung des Umweltbetriebs, würden jährlich 0,2 Prozent der 400.000 Stadtbäume „aus den verschiedensten Gründen gefällt“. Das wären 800. Wie ist die Verdoppelung zu erklären?
Günter Brandwiede verweist auf den Klimawandel. Brandwiede ist beim Umweltbetrieb, der aus der Fusion von „Stadtgrün“ und der „Entsorgung Nord“ entstand, für die Innenstadtbäume zuständig. Er beobachtet die Zunahme vielfältiger Stressfaktoren: etwa längere Trockenphasen und drastischere Temperaturschwankungen, die beispielsweise Pilzbefall begünstigen – die von Laien oft kaum wahrgenommen werden könne.
In den Wallanlagen, sagt Brandwiede, habe diese Saison „erheblich mehr als sonst“ gefällt werden müssen. Er versichert: „Wir haben uns sehr lange um Erhalt bemüht“ – aber nun sei bei vielen Bäumen das Ende erreicht gewesen.
Allerdings gibt es den Klimawandel nicht erst seit gestern. Auch das Auslaufen der Lebenserwartung vieler Pappeln und Robinien, mit denen Bremen nach dem Krieg wiederbegrünt wurde, erklärt nicht die auffällige aktuelle Verdoppelung der Fällquote. Als tatsächliche Neuerung dieser Saison nennt Brandwiede daher, als dritte Begründung, einen „Kurswechsel“ beim Amt für Straßen und Verkehr (ASV). Erstmals habe das ASV den Umweltbetrieb mit der Gewährleistung der Verkehrssicherheit beauftragt, also dem Entfernen von als riskant eingestuftem „Straßenbegleitgrün“. Bislang sei das von Fremdfirmen erledigt worden – die offenbar zurückhaltender agierten.
Wird in Bremen radikal zurück geschnitten oder gar gerodet, um kontinuierlichen Kontroll- und Pflegeaufwand zu sparen? „Früher wurde ein noch größerer Aufwand für den Rückschnitt betrieben“, formuliert Kerstin Doty, Sprecherin des Umweltbetriebs. Allerdings: „Dass Bäume aus ökonomischen Gründen gerodet werden“, betont Umweltressort-Sprecherin Brigitte Köhnlein, „schließe ich ganz klar aus.“ Der Erhalt der Bäume habe „immer Priorität“.
Köhnlein verweist auch auf die Nachpflanz-Pflicht. Zwar könne nicht jeder Baum an jedem Ort „eins zu eins“ ersetzt werden – in der Tat weist die offizielle Fäll-Liste nur bei rund der Hälfte der entnommen Bäume Ersatz auf. In der Summe, sagt Köhnlein, sei die Stadt jedoch zum Erhalt eines „konstanten Baumbestandes“ verpflichtet. Die Zahl der Straßenbäume unter den 400.000 im öffentlichen Raum stehenden Gehölzen sei sogar deutlich gestiegen: Von 60.000 im Jahr 1998 auf etwa 70.000 in 2009, der letzten derzeit verfügbaren Erhebung. Die Tendenz im privaten Baumbestand sei statistisch nicht erfasst.
Aus Sicht des Umweltverbands Bund ist Schwund im privaten Baumbestand häufig in Zusammenhang mit Baustellen zu beobachten. „Da werden zwar ein paar Bretter an die Bäume gedrahtet“, sagt Bund-Geschäftsführer Georg Wietschorke, „aber dann zu nah an die Wurzeln gegraben.“ Mittelfristig seien die eigentlich per Baumsatzung geschützten Bäume dann abgängig.
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