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Brecht, etwas zu beredt

■ Bertolt Brecht wäscht sich nicht: Ottokar Runzes Film zum 100. Geburtstag des Dichters

Mit Bertolt Brecht ist das so eine Sache: Man muß sich entscheiden. Ob man den frühen Brecht mag, zum Beispiel, oder lieber den der knallharten antikapitalistischen Lehrstücke. Ob man den Dichter mehr schätzt oder den Dramatiker. Nun begeht man dieser Tage seinen 100. Geburtstag, es drängt also mit den Entscheidungen.

Da hat der Regisseur Ottokar Runze einen Film gedreht, ihn sinnigerweise „100 Jahre Brecht“ genannt und sich aus dem Brecht- Material die Figur des Emigranten herausgesucht. Der Film wartet zunächst mit einigen schönen Zitaten aus Briefen an und von Brecht auf – vorgelesen von Hanne Hiob, seiner ältesten Tochter: family business. „Bertolt Brecht wäscht sich nicht“, zitiert sie ihre Mutter, Brechts erste Ehefrau Marianne Zoff, die ganz gut Bescheid wußte über die Unarten ihres Mannes: zum Beispiel, daß Brecht log. Und darum auch nicht viele Freunde hatte. Und war sie es, der Brecht schrieb, daß man mit Kindern nichts anderes anfangen könne, als sie zu fotografieren?

Mit diesem privaten, liebenden und geliebten, insgesamt aber anscheinend eher unausstehlichen Brecht könnte man sich anfreunden. Aber leider nimmt Ottokar Runze seinen Filmtitel als ernsten, ganz und gar unprivaten Auftrag. „100 Jahre Brecht“ heißt: Was will uns der Dichter heute sagen? – Und so schulmeistert er drauf los: mit schlauen Brecht-Zitaten über die Freiheit, die Demokratie und ihren Untergang, die Runze zwischen Theaterszenen montiert, aus den „Flüchtlingsgesprächen“ und „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.

Die Figuren dieser Stücke sind, sagen wir mal: etwas langweilig und viel zu beredt. Runzes Schauspieler – ausgeliehen im deutschen Theater-Jet-Set – sind alle toll: Die könnten den schlau und dialektisch daherplappernden Brecht- Wesen bestimmt ein bißchen Leben einhauchen. Udo Samel ist dabei, Jürgen Hentsch und Meret Becker. Und letztere ist so echt proletarisch („Willse noch Bier? Ick hol dir.“), und so echt erschrocken (Stille! Augen! Mund!) – daß man den ganzen V-Effekt liebend gerne des Kinosaals verweist. Daß sie später noch die „Seeräuber- Jenny“ singt, ist erwartbar, aber trotzdem gut.

Doch in den kurzen Spielszenen kann sich nichts Interessantes oder gar Menschliches entwickeln. Der Emigrant und Flüchtling Brecht versteckt sich hinter seinen Theatertexten, dem Zuschauer bleibt die Message. Und weil Brecht alleine wohl nicht klarkommt, erklärt's der Regisseur ganz genau. „Ich stand auf dem Hügel, da sah ich das Alte herankommen, aber es kam als das Neue“, läßt Runze Brecht verlesen und blendet Bilder von Neonazis ein. Begriffen? Kolja Mensing

Panorama: heute, 13 Uhr, Royal

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