: Brave Krautdörfler
Trotz des 0:4 gegen Borussia Dortmund steht für den FC Ismaning fest: Dieser Tag geht in die Stadtgeschichte ein
ISMANING taz ■ Für einen Augenblick schien Marianne überfordert. Von links und rechts und oben und unten streckten sich Hände, zehnmal, zwanzig-, dreißigmal, und grapschten nach allem, was die blonde Frau um die 40 in mühevoller Arbeit auf einem Tisch neben dem Spielfeld angerichtet hatte. Kaffee und Kuchen und belegte Schnittchen, das übliche eben, was man so reicht, wenn man Gäste auf die Schnelle verwöhnen will. Den Verantwortlichen des FC Ismaning blieb nicht viel Zeit, um diesen außergewöhnlichen Moment zu feiern. 90 Minuten waren es, die der Bayernligist in der ersten Runde des DFB-Pokals erleben durfte. Dann stand es 0:4 für Borussia Dortmund, was der guten Laune keinen Abbruch tat.
Die meisten der 7.000 Zuschauer marschierten fröhlich nach Hause oder zogen in den benachbarten Biergarten um, auch Marianne strahlte wieder entspannt, so dass ihr Gatte, Präsident Helmut Horst, stolz verkündete: „Der 26. August geht in die Geschichte ein.“ Jubel, Tusch und Schluss eines großen Tages in Münchens Vorort.
So ist das nun mal, wenn im Sport die Kleinen gegen die Großen spielen. Vor allem die Kleinen wollen dabei eines: zeigen, dass sie mithalten können. Sportlich. Und wenn das nicht gelingt, wenigstens als Gastgeber. Als Belohnung winken im Idealfall Sätze wie: „Ich möchte meine Bewunderung für die Organisation aussprechen“ – Dortmunds Trainer Matthias Sammer sprach.
Akribisch wie bei der eigenen Hochzeit bereitete der FC Ismaning den „Super-Knüller“ (Stadionheft) gegen Dortmund vor. Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst. Müllabfuhr und Würstchenverkäufe. So viel musste in den vergangenen vier Wochen geplant werden. Sogar eine Zusatztribüne für 60.000 Mark Leihgebühr wurde installiert – eine Voraussetzung, dass man im Stadion in der Lindenstraße bleiben konnte und nicht nach Unterhaching umziehen musste.
Auf nützliche Tipps des örtlichen Nachbarn wollte man aber nicht verzichten. Zumindest was die Organisation betraf, denn da weiß Unterhaching durch den Bundesligaaufstieg, „wie so etwas aufgezogen wird“, sagte Hartl. Nur sportlich ließ sich Ismaning nicht reinreden, schon gar nicht Trainer Willi Bierofka. Der ehemalige Profi des TSV 1860 München, dessen Sohn inzwischen Gleiches tut, ist zwar ein äußerst sympathischer Mensch, aber wenn es um seine Mannschaft geht, legt er Wert auf Umsetzung seiner Befehle. Gegen Dortmund hießen die: „Scheu und Ehrfurcht ablegen. Frech und mit Mut spielen.“ Seine Spieler gehorchten brav.
Vor allem in der ersten Halbzeit. Ismaning grätschte und kombinierte munter mit, so gut, dass sich einige Besucher auf der Tribüne nicht sicher waren, wie viel Ligen zwischen den beiden Vereinen waren (vier!), und Sammer zweifelte, ob er „anfangs die richtigen Worte“ gefunden hatte. Den Fans war das freilich egal, sie wollten jubeln über die kleinen Erfolge der eigenen Mannschaft. Gewonnene Ecken zum Beispiel oder Einwürfe. Immerhin, eine Torchance des Studenten Reto Buchner war zu bestaunen.
Dortmund, allen voran Sammer, wollte sich auf den schmeichelhaften Sieg indes wenig einbilden. Zu passiv agierte die Mannschaft und ließ fahrlässig Chancen zu, etwa einen Kopfball durch Landschaftsgärtner Erik Becker. Vielleicht lag es ja daran, dass sich Dortmund im Umbruch befindet, und zwar „mittendrin“, wie Sammer betonte. Deshalb könne er „frühestens nach zehn Pflichtspielen“ sagen, wo der BVB stehe und interessierte sich vielmehr für die Frage, wie es wohl werde, „wenn wir wieder Rückschläge haben“. Zwei Siege in der Bundesliga, einer im Pokal, so etwas weckt natürlich Euphorie, der man realistisch, aber auch mit Humor begegnen wolle. Jürgen Kohler sagte: „So weit sind wir im Pokal lange nicht mehr gekommen.“
Und Ismaning, was bleibt dem „Krautdorf am Rande des Erdinger Mooses“ (Stadionheft)? Neben einem Gewinn von rund 100.000 Mark die Erkenntnis von Bisonzüchter Anton Kopp, dass Profis „die wenigen Chancen reinhauen“. Oder die von Maschinenschlosser Buchner, dass es zum Ende an Konzentration gefehlt habe.
Ein wenig enttäuscht war Abiturient Florian Ernst. Er hätte sich den Unterschied größer vorgestellt, sagte er. Sportlich natürlich. Organisatorisch war alles perfekt. Bis auf Stadionsprecher Herbert Hubauer, der einmal patzte. Als Miroslav Stevic ausgewechselt wurde, rief Hubauer frohlockend: „Meik Schtewitz!“ Kann ja mal passieren.
GERALD KLEFFMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen