Braunkohlerevier in NRW: Proteste an der Abrisskante
Am Tagebau Garzweiler ist Demo-Saison. Außerdem gibt es Erfolge bei der autarken Energieversorgung. Ob die Anwohner bleiben dürfen, bleibt unklar.
Keyenberg ist eines der fünf Dörfer, denen Armin Laschets NRW-Landesregierung ein Moratorium gewährt hat: Erst 2026 soll entschieden werden, ob ihr Untergrund für die Sicherung der Klimakatastrophe zu verfeuern ist. Das bedeutet jahrelange Unsicherheit der verbliebenen rund fünfhundert Menschen, ob sie in ihren Dörfern bleiben dürfen oder nicht.
Ihr Ende würden die Gemeinden jedenfalls energieautark erleben. Seit einigen Jahren kooperiert Greenpeace Energy mit den verbliebenen Familien. In Berverath hat die Widerstandskämpferin Britta Kox das Dach des alten Familienhofs mit Solarpaneelen ausstatten lassen. Jetzt meldet der Grünstromproduzent, Keyenberg nebenan könne sich ab sofort „zu 100 Prozent mit selbst produziertem Ökostrom versorgen“.
Die fünf Anlagen auf den dortigen Hausdächern wurden finanziert durch den freiwilligen Antikohlecent pro verbrauchter Kilowattstunde von 12.000 der Greenpeace-KundInnen, um mit dem Geld Solarprojekte in deutschen Kohleregionen zu ermöglichen. Die Keyenberger Dächer schaffen laut Greenpeace Energy jährlich rund 75.000 Kilowattstunden, das sei sogar weit mehr als die verbliebenen 26 Familien im Ort bräuchten.
Bundesweiter Fördertopf
Insgesamt wurden mit Hilfe dieses Antikohle-Fördertopfs bundesweit mittlerweile 19 Photovoltaikprojekte nahe der Braunkohle-Orte realisiert. Eine weitere Anlage steht in Kerpen-Buir, also gleich am Hambacher Wald; nebenan in Düren hat die Evangelische Gemeinde ihre Gebäudedächer so üppig ausgestattet, dass sie über den eigenen Bedarf hinaus Energie ins Netz einspeisen kann. Andere Anlagen sind in den ostdeutschen Braunkohlerevieren, die größte mit immerhin 2,2 Megawatt bei Naumburg.
Die Proteste sollen am kommenden Sonntag weitergehen: Bei einem Dörferspaziergang durch die Garzweiler-Gemeinden wird ab 12 Uhr Luisa Neubauer für Fridays for Future sprechen. Schon am Samstag (16 Uhr) will der 85-jährige Philosoph und Politkünstler Bazon Brock an der Abrisskante sein Statement „Stop the Beast“ vortragen.
Seit 2010 findet alljährlich ein Klimacamp gegen den Braunkohle-Abbau statt. Dieses Jahr auch in Lützerath (noch bis 15. 8.) – rund um ein riesiges buntes Zirkuszelt mit Kunst und Kultur, mit Frühyoga, Lesungen bei Kaffee und Kuchen, mit Vorträgen über „Grünen Kapitalismus“ und Antworten auf die Frage „Anarchie – Was ist das?“ Und sicher auch mit der einen oder anderen Aktion, die man vorher nicht ankündigt.
Musikalische Untermalung der Proteste
Auch am kommenden Sonntag ist wieder viel Musik in den Dörfern geplant, ähnlich einer Veranstaltung Anfang Juni. Damals wurde das Wandelkonzert mit Beethovens 5. und 6. Sinfonie im letzten mächtigen Hof nahe der Abrisskante in Keyenberg geboten. Es hatte in Strömen geregnet, und HelferInnen mit Straßenbesen im Takt Beethovens letzten Satz begleitet, damit die Wasserfluten nicht in die Scheune laufen.
Dieses Mal kommt am Sonntagmittag die Formation Lebenslaute. Das bundesweite Musikensemble, das mal zu dritt, mal per Hundertschaft auftritt, macht seit 40 Jahren „widerständige Musik an unmöglichen Orten“. Repertoire: von Mendelssohn Bartholdy über Kurt Weill bis zum Totentanz von Camille Saint-Saëns. Ihr Selbstverständnis: „Bei der Wahl unserer Konzertorte lassen wir uns nicht durch herrschende Vorschriften einschränken.“
Dabei könnte es etwas weniger harmonisch werden als mit Beethoven im Juni, jedenfalls im Zusammenspiel mit den Sicherheitskräften. Eine Musikerin berichtet, man habe in der Gruppe gerade trainiert, wie man verletzungsfrei weggetragen wird.
Am Montagvormittag ist, so es bis dahin keine Verhaftungen wegen unlauteren Musizierens gibt, ein weiterer Auftritt geplant: im Hof (ein Baudenkmal von 1763) von Eckhardt Heukamp in Lützerath – quasi die Zugabe zum Klimacamp. Heukamp klagt gerade durch alle Instanzen gegen die Räumungsentscheidungen und kann täglich die Bagger vor seiner Hoftür stehen sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!