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Brasilien Der Genossenschaftsverband Justa Trama hat eine geschlossene Kette der Solidarökonomie zur Produktion ökofairer Textilien aufgebautDer rote Faden der Solidarität

Baumwolle wird in Brasilien normalerweise mit riesigen Mengen Pestiziden und Dünger angebaut Foto: Drawlio Joca

Aus Porto Alegre Sinara Sandri

Seit zehn Jahren webt die brasilianische Zentralgenossenschaft Justa Trama („Gerechter Faden“) an einem neuen ökosozialen Gewebe: einer vollständigen Produktionskette der solidarischen Ökonomie von der Pflanzung von Biobaumwolle bis zur fertigen Kleidung. 600 Beschäftigte in fünf Kooperativen sind daran beteiligt. Die anspruchsvolle Koordination über sechs brasilianische Bundesstaaten hinweg erfolgt über den Sitz von „Justa Trama“ in Porto Alegre.

Mitglieder der Zentralgenossenschaft verfügen über langjährige Organisationserfahrung bei der Beschaffung von Lohn und Brot aus der Zeit der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre. Anlässlich des Weltsozialforums in Porto Alegre 2005 fand Justa Trama Unterstützung bei staatlichen Bundesprogrammen zur Förderung der Solidarökonomie, um den roten Faden der Solidarität durchs ganze Land zu ziehen.

Die Nachfrage nach Taschen, die fürs Weltsozialforum werben sollten, bot Gelegenheit, den ökosozialen Produktionskreislauf zu schließen und Beschäftigte aus dem Norden und Süden Brasiliens zusammenzuführen. Eine enorme logistische Herausforderung: „Jeder, der von einem Prozess hört, der in Ceará beginnt und in Rio Grande do Sul aufhört, denkt, dass das vollkommen verrückt ist“, berichtet Nelsa Nespolo, Präsidentin der Zentralen Genossenschaft Justa Trama. Für sie besteht einer ihrer größten Erfolge darin, das Logistikproblem mit partizipativen Methoden gelöst zu haben – ohne die Herrschaft und zentrale Steuerung eines Managers. Beschäftigte diskutieren und treffen Entscheidungen ohne Vermittler, sie kontrollieren den gesamten Prozess.

Dabei bot das Umfeld schwierige Bedingungen. Baumwolle wird normalerweise mit riesigen Mengen Pestiziden und Dünger angebaut, die Branche steht unter starkem Druck der Chemieindustrie. Brasilien gehört nach China, Indien, den USA und Pakistan zu den fünf größten Baumwollproduzenten der Welt. Am anderen Ende der Kette, bei der Herstellung von Kleidung, arbeiten vor allem Frauen – prekär und entfremdet.

Doch Justa Trama spinnt hier einen ganz neuen Faden. Er beginnt mit der Hände Arbeit von etwa 350 kleinbäuerlichen Beschäftigten, die Biobaumwolle in den Bundesstaaten Ceará und Mato Grosso do Sul anbauen, im Nordosten und westlichen Zentrum Brasiliens. Die Anbautechnik schließt Mischkulturen und biologische Schädlingsbekämpfung ein. Jährlich werden zwischen drei und fünf Tonnen Ökobaumwolle geerntet und verarbeitet.

Nach der Ernte wird das Material nach Minas Gerais in den Südosten des Landes geschickt. Dort hat die Belegschaft eine insolvente Weberei als Genossenschaft übernommen, dort werden die Fäden gesponnen und gewebt. Die Näherinnen der Genossenschaft Univens in Porto Alegre nehmen dann den Stoff entgegen, schneiden ihn zu und nähen ihn zu Kleidungsstücken zusammen. Eine weitere Genossenschaft in Rondônia liefert Knöpfe und andere Accessoires aus den Samen Amazoniens, andere Näherinnen aus Rio Grande do Sul stellen aus Stoffresten Kinderspielzeug her.

Der gerechte Preis

Ein wesentlicher Punkt bei Justa Trama ist die kollektive Definition der Aktionsstrategien. Vierteljährlich treffen sich dafür Repräsentierende aller Genossenschaften und fällen Entscheidungen über Investitionen, Produktionslinien, Lohnhöhen und Produktpreise. Ihre Kalkulationen besagen, dass Justa Trama schon jetzt zukunftsfähig produzieren und mit den Verkaufserlösen überleben kann.

Eine wichtige und komplexe Rolle spielt dabei laut der Direktorin das Konzept des „gerechten Preises“. Sie seien bestrebt, einen Lohn zu garantieren, der dem hohen Wert des gesunden Produktes entspreche und den Beschäftigten dennoch die Möglichkeit gebe, es selbst zu er­werben. „Wenn das ökologische Endprodukt für sie zu teuer ist, so bedeutet das, dass Arme nur kontaminierte Produkte kaufen können“, erklärt Nelsa Nespolo.

Über dieses Ziel eines „gerechten Preises“ garantiert die Genossenschaftskette einen Lohn, der höher ist als in der traditionellen Textilkette. Und das, obwohl dort ein Kilo konventionelle Baumwolle manchmal sogar den doppelten Preis erreicht.

Die Kleider, Taschen, Accessoires und Kinderspielzeuge erreichen die Endkonsumenten also ohne Gift und Ausbeutung. Der Großteil davon seien „Personen, die bereits für die Idee der solidarischen Ökonomie sensibilisiert sind“, berichtet Nelsa Nespolo. „Das Produkt transportiert diesen Vorschlag, und alle sind begeistert, wenn sie seine Geschichte kennenlernen.“

Alles ohne Boss

Im Porto Alegres Stadtviertel Sarandi befindet sich die Genossenschaft Univens („Gemeinsam werden wir siegen“), die 1996 von Frauen gegründet wurde. Einige lernten erst zu nähen, andere belebten ihrer Fertigkeiten neu. Viele nahmen Handarbeiten mit nach Hause, wo sie sich um Kinder kümmerten und ein ergänzendes Einkommen erwirtschafteten.

Die Genossenschaft wuchs und ist der Stolz der Näherinnen, aber das Viertel ist immer noch in einer schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Situation. Nach offiziellen Zahlen liegt es beim Familieneinkommen im unteren Bereich, es ist die zweitgefährlichste Region für Frauen in der Hauptstadt von Rio Grande do Sul.

Die 72-jährige Isaurina Alzira da Silva ist eine der Gründerinnen von Univens, in der zurzeit 22 Näherinnen gemeinsam arbeiten. Sie erinnert sich gern an die Anfänge: „Die Frauen hatten einen Traum, der gut geplant wurde. Wir sind sehr stolz auf alles, was wir ohne Boss erreicht haben. Die anderen Leute bewundern uns, weil sie erkennen, dass die Arbeit gut gemacht ist.“ Im Atelier, das sich in ­einem Rohbau befindet, lassen die Frauen die Arbeitsaufgaben rotieren: Erstellung von Modellen, Nähen, Verwaltung des Unternehmens.

Die Genossenschaft produziert nicht nur für Justa Trama, sondern auch für andere. Justa Trama will demnächst in einer weiteren Produktionslinie auch Schuhe herstellen sowie noch mehr Biofarben für bunte Textilien. Die neue Stofffärbungslinie soll am 3. Oktober eingeweiht, Regenwasser und Reststoffe sollen dafür genutzt werden.

Die Genossenschaft will größer werden, ihre Beschäftigten besser qualifizieren und ihnen mehr Annehmlichkeiten schaffen. Ein Ort für Ausbildungskurse und Austauschprogramme soll gebaut werden – der rote Faden der Solidarität zieht sich auch durch die Zukunftspläne.

Übersetzung: Clarita Müller-­Plan­tenberg

Die Autorin ist Journalistin in Porto Alegre

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