Brandenburger gegen CO2-Lager: Einsatz für eine saubere Unterwelt
Vattenfall will ein unterirdisches Endlager für Kohlendioxid im Oderbruch einrichten. Viele Anwohner sind dagegen. Sie bekommen die Auswirkungen schon jetzt zu spüren.
Siegfried Link könnte ein ganz normaler Bürgermeister sein und Neutrebbin ein ganz normales Brandenburger Dorf. Der Bürgermeister würde sich zum Beispiel um die Hauptstraße kümmern. Nicht nur Link hat sich auf dem ollen Kopfsteinpflaster schon die Stoßdämpfer kaputtgefahren - noch gestrafter sind die Radfahrer. Ein Radweg, den würden sich die Bewohner wünschen. Doch dieser Wunsch ist aufgeschoben. Denn Neutrebbin ist kein normales Dorf.
Den ersten Hinweis darauf gibt Besuchern das Denkmal des Alten Fritz auf dem Friedensplatz. Dem König, der mit vagem Blick in die Ferne schaut, hat jemand ein Transparent über die Schulter gehängt. "CO2-Endlager nein danke", steht darauf. "Neutrebbin hat sich verändert", sagt Link, als er sein Auto mit den kaputten Stoßdämpfern um den Alten Fritz herumlenkt. Früher war es nur ein Dorf. Jetzt ist es Teil einer Bewegung. Einer Bewegung gegen die CCS-Technologie, bei der Kohlendioxid (CO2), das bei dem Betrieb von Kohlekraftwerken entsteht, abgeschieden, verflüssigt und dann in unterirdische Gesteinsschichten in über 1.000 Meter Tiefe gepresst werden soll. "Klimaneutral" sollen die Kraftwerke dadurch werden - und der klimaschädlichen Technologie das Überleben sichern.
CCS steht für "Carbon Capture and Storage" - also Abspaltung und unterirdische Einlagerung des klimaschädlichen Kohlendioxids. Für die Lagerung gibt es in der Bundesrepublik derzeit keine gesetzliche Grundlage. Ursprünglich hatte die große Koalition im Bund ein Gesetz verabschieden wollen. Das Vorhaben wurde jedoch Ende Juni von der CDU gekippt. Unter anderem hatte sich die schleswig-holsteinische CDU gegen das Gesetz ausgesprochen, nachdem es vor Ort Proteste aus der Bevölkerung gegen die Einlagerung gab.
Erste Erkundungen sollen in der Region Oderbruch aber auch schon nach Bergrecht möglich sein, daher muss nun das Bergamt in Cottbus entscheiden. Die Bürger in der Region rechnen ohnehin damit, dass das CCS-Gesetz noch dieses Jahr kommt - nach der Bundestagswahl.
"Wir haben erst im März von den Plänen erfahren - von Medienvertretern, die uns gefragt haben, was wir darüber denken", erzählt Link. Erst danach habe Vattenfall die Anwohner per Postwurfsendungen informiert. Im April kamen Vertreter des Energiekonzerns in die Turnhalle des Dorfes, bauten einen Schaukasten mit Trockeneis auf und sprachen von Sprudelwasser. Die anwesenden Bürger glaubten kein Wort. Stattdessen begannen sie, sich zu wehren.
Einer von ihnen ist Rolf Ignaz. Im April hat er einen Verein gegründet, der sich der Erhaltung des Oderbruchs widmen sollte. Doch dem ruhigen Leben zwischen Kultur und Natur kam der Energiekonzern dazwischen. Der Verein wurde ein Teil des Netzwerkes rund um die beiden Bürgerinitiativen aus der Region, mit regelmäßigen Treffen und Infoveranstaltungen. Wenn Ignaz heute im Garten seines Hauses sitzt, spricht er nicht über Konzerte und Ausstellungen, sondern über CO2, Probebohrungen und Verpressung in salinen Aquiferen. All das hängt mit dem zusammen, wovor sich die Neutrebbiner fürchten.
"Keine Technologie ist sicher", fasst Ignaz die Ängste der Bevölkerung zusammen. Niemand könne garantieren, dass das CO2 wirklich in der Erde bleibe - und nicht irgendwann an irgendeiner Stelle wieder austrete. Die Folgen eines solchen Szenarios beschreiben die CCS-Gegner gerne am Beispiel eines Vorfalls in Mönchengladbach im August 2008. Damals schaltete sich nach einem Brand eine Löschanlage nicht wieder ab, das Kohlendioxid strömte weiter aus. Durch die Lage in einer Senke sammelte sich das Gas: Anwohner konnten nicht mit dem Auto fliehen, da die Motoren auf Grund des Sauerstoffmangels nicht ansprangen, auch die Fahrzeuge von Rettungskräften waren betroffen. Anwohner und Rettungskräfte selbst fielen in Ohnmacht. Ein Polizeihubschrauber verwehte schließlich die Gaswolke, es gab über hundert Verletzte.
Eine weitere Befürchtung der Neutrebbiner: Das Grundwasser könnte versalzen. Die Gesteinsschichten, in die das CO2 eingelagert werden soll, sogenannte salinare Aquifere, führen Salzwasser. Das könnte durch das eingepresste Kohlendioxid ins Grundwasser verdrängt werden.
Auch Manfred Wercham will sich wehren. Der Landwirt war der Erste, der die Vorboten der Planungen zu spüren bekam. Ende 2007 stand jemand vom Bergbauamt Cottbus am Rand seines Feldes. Warum er da war, wollte er nicht sagen. "Aber als das mit dem CCS anfing, wurde mir klar, was er wirklich vorhatte."
Wercham ist gut organisiert. Aus einem Schrank zieht er einen dicken grünen Ordner, voll mit Kopien, Listen, Korrespondenz über CCS. "Das CO2, das bleibt doch nicht da unten, das kommt irgendwann wieder hoch", sagt er. "Und was ist mit den Reststoffen, da wird doch schließlich nicht reines CO2 verpresst." Dann erzählt er, dass er in Beeskow war, beim Bürgerbüro von Vattenfall. Er wollte wissen, welche Reststoffe mit dem CO2 in das Gestein gelangen. Niemand habe es ihm sagen können.
In Werchams Ordner befinden sich auch die Kopien von Unterschriftenlisten. Über 70 Landwirte aus der Region haben mittlerweile mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass sie die Technologie ablehnen und auf ihrem Land keine Erkundungen, ganz zu schweigen von Probebohrungen, dulden werden. "Dass wir Bauern uns so engagieren, ist schon etwas Besonderes, das gab es vorher noch nicht", sagt Wercham. Auch Bürgermeister Link sieht das Engagement der Landwirte und der Anwohner ein bisschen mit Erstaunen. "Während der DDR hat es das nicht gegeben, hinterher auch nicht", erklärt er.
Der Protest ist auf den ersten Blick sichtbar. Viele haben Hüte an ihre Haustüren gehängt, als Zeichen dafür, dass sie Braunkohle und Endlager als "alten Hut" betrachten. Eine einfache Aktion, die trotzdem Wirkung zeigt - und sei es nur, dass Besucher erstaunt nachfragen.
"Wir haben uns für das Oderbruch entschieden, weil die Gesteinstrukturen hier für die Einlagerung von Gas geeignet sind und weil wir einen Ort gesucht haben, der in der Nähe unserer Demonstrationsanlage in Jänschwalde liegt", erklärt Damian Müller, der bei Vattenfall die CCS-Kommunikation leitet. Momentan stockt die Umsetzung sowieso - der Energiekonzern wartet auf die Genehmigung des Bergamtes, Erkundungen durchführen zu dürfen. "Das Amt hat nicht gesagt, ob und wann es die Genehmigung gibt", so Müller.
Die Anwohner erzählen, dass sie trotzdem schon Auswirkungen spüren: Grundstücke verlieren an Wert, Kredite werden nicht mehr gegeben. Davon sei auch das Handwerk betroffen. Einige würden an ihren Häusern gar nichts machen wollen.
Vattenfall habe nun angeboten, die Hauptstraße neu zu machen, wenn der Ort dem CCS-Projekt zustimme. Bürgermeister Link hat abgelehnt. Lieber ein holpriger Weg als über CO2 leben. "Wir wollen die Straße ja nicht als Fluchtweg nutzen müssen."
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