Brandenburger Linke und die Stasi: Birthler sieht rot
Die Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde mag die rot-rote Koalition in Brandenburg nicht. Das ist okay. Doch jetzt hat sie deswegen einem ihrer Mitarbeiter einen Maulkorb verpasst.
BERLIN taz | Rot-Rot in Brandenburg, das ist für Matthias Platzeck (SPD) und Linke-Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser fast schon business as usual. Am Mittwoch kamen beide mit ihren Unterhändlern in Potsdam zur vierten Runde der Koalitionsverhandlungen zusammen. Ende der Woche soll der Koalitionsvertrag stehen. Die Potsdamer Koalition wäre derzeit neben dem Berliner Senat das zweite rot-rote Bündnis auf Landesebene.
Ganz und gar nicht normal ist Rot-Rot hingegen für Marianne Birthler. Nachdem bereits der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, die Koalitionsverhandlungen in Potsdam als Verrat an den Idealen der friedlichen Revolution von 1989 bezeichnet hatte, legte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit nun nach.
Sie warne davor, so Birthler zur taz, "früheren MfS-Mitarbeitern oder Funktionsträgern der SED politischen Einfluss einzuräumen - ob als Mitglied einer Landesregierung oder in anderen einflussreichen Funktionen, beispielsweise als Abgeordnete oder als Vorsitzende von Koalitionsfraktionen".
Die Warnung gilt vor allem Linken-Fraktionschefin Kaiser, einer ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit, die qua Amt auch an den Sitzungen der neuen Landesregierung teilnimmt. Allerdings hatte Kaiser bereits 1994 ihre Stasimitarbeit öffentlich gemacht. Mit ihrem Verzicht auf ein Ministeramt hatte sie Ministerpräsident Platzeck zudem die Entscheidung erleichtert, mit der Linken Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Zuletzt kündigte Kaiser an, alle Abgeordneten der Linken würden sich bei der Birthler-Behörde einer Stasi-Überprüfung unterziehen.
Zwar begrüßte Birthler gestern gegenüber der taz die beschlossene Überprüfung, doch das sei nicht ausreichend. "Die vergangenen zwanzig Jahre haben gezeigt, dass in Brandenburg - anders als in anderen Bundesländern - ein zögerlicher Umgang mit der Vergangenheit gewählt wurde."
Mit ihrem Eintreten gegen eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei schreckt die ehemalige Bürgerrechtlerin Birthler auch nicht davor zurück, Andersdenkende in ihrer Behörde einen Maulkorb verpassen zu wollen. In einer Pressemitteilung distanziert sich die Behörde öffentlich von ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Helmut Müller-Enbergs.
Im Berlinteil der taz vom 14. Oktober hatte Müller-Enbergs zur Versachlichung der Debatte gemahnt und gesagt: "Die Linke in Brandenburg ist in der Aufarbeitung der Vergangenheit weiter als andere Blockparteien." Dazu ließ Birthler ihren Pressesprecher Steffen Mayer mitteilen, Müller-Enbergs habe "weder die Meinung der Bundesbeauftragten wiedergegeben, noch wäre er dazu berechtigt".
Wenn Müller-Enbergs nicht berechtigt wäre, für die Birthler-Behörde zu sprechen, wären allerdings auch die Umstände nicht nötig gewesen, unter denen er überhaupt erst mit der taz sprechen durfte. Bedingung für das Gespräch war die Anwesenheit der stellvertretenden Leiterin der Pressestelle, Helvi Abs, im Raum des wissenschaftlichen Mitarbeiters. Sie sollte sicherstellen, dass Müller-Enbergs nichts sagt, was der Linie des Hauses widerspricht. Am Ende des Gesprächs gab Abs grünes Licht. Auch eine schriftliche Autorisierung der zur Verwendung vorgesehenen Zitate wurde nicht verlangt.
Zwei Tage später aber verlangte Pressechef Mayer eine Klarstellung. Ihm ging vor allem die Unterzeile der taz zu weit, in der es hieß: "Ist die Linke regierungsfähig? Ja, sagt Helmut Müller-Enbergs von der Birthler-Behörde und verweist auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Die sei sogar weitergehend als bei den Blockparteien."
Die öffentliche Distanzierung Birthlers von der Meinung eines ihrer eigenen Mitarbeiter sorgt auch außerhalb der Behörde für Diskussionen. "Es muss die Freiheit eines anerkannten zeitgeschichtlichen Autors sein, sich zu wichtigen Vorgängen der Zeitgeschichte zu äußern, egal wo er gerade beschäftigt ist", sagte der renommierte Verleger Christoph Links der taz.
Solange es nicht um Interna der jeweiligen Institution oder Behörde geht, gebietet es die Freiheit der Wissenschaft, dass er sich äußern kann. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die Einschätzung eines Experten zu erfahren." Links verlegt auch die wissenschaftlichen Publikationen der Birthler-Behörde.
Der ehemalige Bürgerrechtler Reinhard Schult, der 1989/1990 für das Neue Forum am runden Tisch saß, mahnte beide Seiten, sich an ihren Auftrag zu halten. "Der Auftrag der Stasiunterlagenbehörde ist die Erforschung der Akten und nicht die Debatte darüber, ob die Linke regierungsfähig ist oder wer am weitesten mit der Aufarbeitung ist", sagte Schult der taz.
Dies gelte sowohl für Müller-Enbergs als auch für Marianne Birthler. Unterdessen werden in der SPD die Rufe nach einem neuen Umgang mit den Linken laut. "Weg mit dem ewigen Schaum vor dem Mund", forderte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin