Brandanschlag in Dautphetal: Flammen in der "heilen Welt"
Polizisten patrouillieren in Dautphetal bei Marburg, nachdem das Haus einer Einwandererfamilie angezündet wurde. Vermutet wird ein rassistisches Motiv.
Fahrettin O. fühlt sich fremd. Der 29-Jährige lebt schon seit 16 Jahren in Dautphetal bei Marburg. Der Einwanderer türkischer Herkunft hat einen deutschen Pass. Das Zusammenleben in der hessischen Gemeinde sei bisher harmonisch gewesen, berichtet er in akzentfreiem Deutsch. Probleme mit Rassismus hatte er bisher "nicht mehr und nicht weniger, als sie jeder Ausländer in Deutschland mal hat". Doch seit der vergangenen Woche ist es anders geworden. Vergangene Woche hat sein Haus gebrannt.
Unbekannte in Dautphetal hatten das Haus der Familie von Fahrettin O. angezündet. Anders als bei der Brandkatastrophe in Ludwigshafen am 3. Februar, deren Ursache weiter unklar ist, gibt es deutliche Hinweise auf eine rassistische Tat. Auch Tage danach herrscht bei den Betroffenen Fassungslosigkeit.
Am Montagabend in der vergangenen Woche will O. noch kurz zum Supermarkt fahren, als er vor dem Haus ein Geräusch hört. Zunächst vermutet er in der Dunkelheit seinen Bruder. Im Scheinwerferlicht des Wagens entdeckt er jedoch, dass in etwa 50 Zentimeter großen Runen das Wort "Hass" auf die Vorderseite des Einfamilienhauses geschmiert worden ist. Die alarmierte Polizei fotografiert die Schmiererei, beruhigt die Hausbewohner und fährt wieder weg. Knapp zwei Stunden später nimmt die Familie Brandgeruch wahr. Als Fahrettin O. die Haustür öffnet, schlägt ihm dichter Qualm entgegen. Er sieht zwei Männer davonlaufen, die ausländerfeindliche Parolen brüllen. "Ich habe sofort die Tür zugeschlagen und zusammen mit meinen Eltern Schutz vor möglichen Wurfgeschossen auf dem Boden gesucht", sagte er später.
Das Feuer zerstört die Holzverkleidung einer zum Garten hin gelegenen Hauswand. Zwar ist - da die Bewohner das Feuer schnell löschen können - der Sachschaden mit rund 1.500 Euro verhältnismäßig gering, doch der Schock sitzt tief. Die 55-jährige Mutter Ayse O. wird psychologisch betreut. Der Staatsschutz hat sich eingeschaltet, bisher wurde noch niemand festgenommen. Die Ermittler gehen davon aus, dass junge Menschen für den mutmaßlich fremdenfeindlichen Anschlag verantwortlich sind. Dafür spreche, sagt Annemarie Wied von der Staatsanwaltschaft Marburg, die "ziemlich dilettantische Vorgehensweise der Täter, die das Haus wahrscheinlich mit einem einfachen Feuerzeug anzündeten." Brandbeschleuniger konnte die Kripo nicht feststellen.
Schnell hat sich die Nachricht vom Anschlag in der 13.000-Einwohner-Gemeinde herumgesprochen. Vor allem unter den Ausländern - rund 10 Prozent der Bevölkerung - herrscht nun Angst vor Anschlägen. Viele von ihnen haben die Familie besucht, um sie zu unterstützen.
Auch Bürgermeister Bernd Schmidt kam vorbei. "Schockiert und entsetzt" sei er gewesen, als er von dem Anschlag erfuhr. Die Stimmung im Ort sei gedrückt. Mit einer für heute einberufenen Sondersitzung der Gemeindevertretung wolle man die Verbundenheit mit Familie O. zum Ausdruck bringen. Neben Schmidt bemüht sich auch Polizeipräsident Manfred Schweizer um Normalität. Nur vier politisch motivierte Straftaten habe es in Dautphetal in den vergangenen zehn Jahren gegeben, "hier ist noch heile Welt". Allerdings kam es in der Vergangenheit mehrfach zu rechtsextremistischen Vorfällen im Kreis Marburg-Biedenkopf. Zwölf Kilometer von Dautphetal entfernt liegt die Kleinstadt Gladenbach. Zusammen mit Marburg war die Stadt insgesamt viermal im Jahr 2004 Aufmarschgebiet mehrerer hundert Neonazis, die dort nach bundesweiter Mobilisierung demonstrierten.
In Dautphetal fährt die Polizei nun verstärkt Streife, vor dem Haus der Familie O. steht eine schwarze Limousine mit Frankfurter Kennzeichen und verdunkelten Scheiben. Am Steuer sitzt ein Polizist in Zivil und beobachtet das Geschehen.
"Heile Welt" in Dautphetal? Für Fahrettin O. steht fest: "Seit letztem Montag gibt es die nicht mehr für uns."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!