Brand in Ludwigshafen: Kritik an "Hetze" türkischer Medien
Zahlreiche deutsche Politiker haben sich empört über Reaktionen aus der Türkei auf den Brand in Ludwigshafen gezeigt. Die SPD verglich den türkischen Premier Erdogan mit Roland Koch.
BERLIN rtr/ap/afp Der Unionsfraktionsvize im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), hat die türkischen Medien scharf für ihre Berichterstattung über die Brandkatastrophe in Ludwigshafen kritisiert. "Schlagzeilen in türkischen Zeitungen wie 'Wieder verbrennen Sie uns!'", sind einfach unerträglich. Feuerwehr, Rettungskräfte und Polizei haben kein Misstrauen verdient. Sie verdienen Vertrauen und Unterstützung. Es gibt überhaupt keinen Grund für den Verdacht, dass die Polizei nicht vorbehaltlos in alle Richtungen ermitteln würde", sagte Bosbach der "Passauer Neuen Presse".
Den türkischen Ministerpräsidenten, Tayyip Erdogan, der am Donnerstag den Unglücksort besucht hatte, warnte er davor, das Ereignis innenpolitisch zu instrumentalisieren. "Er darf diese Katastrophe allerdings nicht zu einer politischen Demonstration nutzen. Ich hoffe, dass er dazu beiträgt, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Die Debatte muss dringend versachlicht werden. Herr Erdogan sollte deutlich machen, dass die deutschen Ermittlungsbehörden Unterstützung verdienen. Wir sollten jetzt die Ermittler in Ruhe ihre Arbeit machen lassen. Die Politik muss sich da raushalten", sagte Bosbach.
Die SPD-Islambeauftragte Lale Akgün kritisierte den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am Brandort scharf. "Ihm ging es letztlich um innenpolitische Profilierung", sagte Akgün der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Erdogan betreibe eine ähnliche Politik wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). "Die gleichen Ressentiments, die Koch gegen Ausländer im Wahlkampf geschürt hat, werden jetzt auch in der türkischen Bevölkerung von Erdogan geschürt", sagte die SPD-Politikerin. Koch und Erdogan seien "Brüder im Wahlkampfgeiste". Die Islambeauftragte der SPD kritisierte auch die Berichterstattung der türkischen Presse über den Brand. Die Kritik an Feuerwehr und Polizei sei unfair. "Diese Hetze kann man nicht hinnehmen."
Auch Cem Özdemir (Grüne) äußerte sich kritisch über türkische Medien. Özdemir sagte, die Reaktionen seien überzogen. Doch verteidigte er zugleich den Besuch des Regierungschefs in Ludwigshafen. "Natürlich muss Erdogan in so einer Situation Anteil nehmen, wenn er nach Deutschland kommt", sagte Özdemir "stern.de". "Es handelt sich schließlich um eine Katastrophe, von der türkische Staatsbürger betroffen sind."
Trotz der ungeklärten Brandursache waren viele türkische Zeitungen in den vergangenen Tagen fest von einem neonazistischen Anschlag ausgegangen und hatten Parallelen zu dem tödlichen Brandanschlag von Solingen 1993 gezogen. Laut "Yeni Safak" rief die türkische Botschaft in Berlin die türkischen Medien inzwischen zur Zurückhaltung auf. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte bei seinem Besuch in Ludwigshafen am Donnerstag einen ähnlichen Appell an die Medien beider Länder gerichtet.
Die Polizei kommt bei den Ermittlungen zur Ursache der Brandkatastrophe nach eigenen Angaben indes kaum voran. Die Ermittlungen liefen weiter in alle Richtungen, könnten aber noch Wochen dauern, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. Die Sonderkommission sei von 50 auf 80 Mitarbeiter aufgestockt worden. Die Zusammenarbeit mit den aus der Türkei entsandten Brandschutzexperten laufe reibungslos. "Das ist eine produktive, professionelle Zusammenarbeit", sagte er.
Aus Ermittlungsgründen wollte der Sprecher keine Angaben zur Befragung der beiden Mädchen machen, die vor dem Brand einen zündelnden Mann im Treppenhaus gesehen haben wollen. Er sagte lediglich, eines der Mädchen sei traumatisiert. Deswegen könne es auch nicht immer wieder befragt werden. Nicht bestätigt haben sich seinen Angaben zufolge Gerüchte, wonach es früher schon mal Drohungen gegen die Hausbesitzer gegeben haben sollte. Die Ermittler hätten keine entsprechenden Anhaltspunkte gefunden.
Bei der Brandkatastrophe am Sonntag waren neun Türken ums Leben gekommen und 60 Hausbewohner verletzt worden. Am Donnerstag hatte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan die Brandruine besichtigt und die Medien zur Mäßigung aufgerufen.
Frostig bleibt allerdings das Verhältnis zwischen dem scheidenden türkischen Botschafter in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik, und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Irtemcelik kündigte nach übereinstimmenden Presseberichten an, er werde vor seiner Abreise aus Deutschland in wenigen Wochen auf einen Abschiedsbesuch bei Schäuble verzichten. Der Botschafter hatte kritisiert, deutsche Politiker hätten unmittelbar nach dem Brand in Ludwigshafen einen fremdenfeindlichen Anschlag ausgeschlossen. Schäuble sagte daraufhin mit Blick auf Irtemcelik, manchmal müsse man auch einem Botschafter noch Manieren beibringen.
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