Branche verunsichert: Bad News für die Windlobby
Unbeliebt und zu teuer seien die Windparks. Obendrein klagt die immer noch erfolgreiche Branche über fehlende politische Unterstützung.
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HAMBURG taz | Leisere Rotoren, mehr Sicherheit für Schweinswale und intelligente Netzeinspeisung – die Windbranche hat viele Ideen. Und sie hat in Deutschland ein Rekordjahr bei der Neuinstallation hinter sich. Dennoch sieht Giles Dickson, Chef des europäischen Verbandes Wind Europe seine Branche auf „wackeligen Beinen“. Sie gelte in weiten Teilen Europas als zu teuer, sagt er bei der Windenergie-Messe in Hamburg. Die Integration in das vorhandene Stromnetz werde sich bis 2025 hinziehen, prognostiziert Dickson. Noch vor fünf Jahren wäre der politische Ehrgeiz weit größer gewesen.
Zwar spricht EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič, zuständig für die Energieunion, auf der Messe von einem „kulturellen Wandel“ zugunsten der Windenergie, doch er hat eher schlechte Nachrichten für die Wind-Lobby mitgebracht: Die EU will Preise freigeben, mehr Wettbewerb und einen grenzüberschreitenden Marktverbund. Zwar profitieren die meisten der 1.436 Aussteller immer noch, doch nur sieben der 28 EU-Staaten haben sich langfristige Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt.
An der norddeutschen Küste wirke das neue Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) als „politische Bremse“ für die Windenergie auf See, sagt Knut Gerdes am Messestand von EMO. Der Offshore-Spezialist versorgt Plattformen und fliegt notfalls kranke Arbeiter per Helikopter ins Krankenhaus. Die Offshore-Windenergie wachse nun viel langsamer, als noch vor fünf Jahren gedacht. Statt 30 Windparks werden erst einmal nur 16 in der deutschen Nordsee gebaut.
Hans-Dieter Kettwig, Chef des führenden Onshore-Spezialisten Enercon in Ostfriesland, warnt vor zunehmenden „Akzeptanzproblemen“ im Lande. Ob sich das durch die Pläne von Nordex-Boss Lars Bondo Krogsgaard ändern wird? Er will „höher und höher bauen“ – um die Wirtschaftlichkeit zu steigern. Zwei neue Mühlenmodelle versprechen dafür eine um 20 Prozent höhere Leistung.
Das Gipfeltreffen der Windindustrie findet zum zweiten Mal in Hamburg statt. Für Bürgermeister Olaf Scholz die „Windhauptstadt“ Deutschlands. Nach heftigem Streit wurde die „Weltleitmesse“ aus Husum abgeworben.
Der stark exportorientierten Branche war die nordfriesische Kreisstadt zu klein. 70 Prozent des Onshore-Geschäfts macht die deutsche Industrie im Ausland.
Windkraftwerke auf See sind dagegen global gesehen noch ein Nischenmarkt von etwa 3 Prozent.
Mit Prototypen-Windparks in Nord- und Ostsee drängen die alten Energien auf den neuen Markt.
Eon will Offshore „industrialisieren“. Noch sind Windparks im Meer nicht wirklich konkurrenzfähig. Die Kosten pro installierter Wattstunde liegen im günstigsten Windpark „Borssele“ bei über 120 Euro. Fast 50 Euro höher als an Land.
Chefstratege Martin Neubert von Dong sieht einen weiteren Bremsklotz. „Wir leben immer noch von Zuschüssen“, sagt er. Viele Projekte seien zu teuer. Noch vor wenigen Jahren galten 100 Euro pro Megawattstunde als Ziel. In den Niederlanden wird jetzt ein Projekt zu 77 Euro realisiert, und Nordex-Chef Krogsgaard hält 50 Euro bis 2020 für machbar. Doch um wirtschaftlicher zu werden, bedarf es größerer Stückzahlen. Die Branche dürfte vor weiteren Fusionen stehen.
Mit zunehmend „großen Playern“ in der noch mittelständisch geprägten Branche rechnet Hermann Albers. Der Präsident des Bundesverbandes Windenergie übte am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz den Schulterschluss mit der IG Metall – gegen die „Deckelung“ der erneuerbaren Energien auf etwa 45 Prozent der Stromerzeugung durch die Bundesregierung.
Enttäuscht sind auch die Schiffbauer. Sie hatten sich massenhafte Bestellungen für Errichter- und Versorgerschiffe erhofft. „Selbst realistische Erwartungen wurden nicht realisiert“, sagt Reinhard Lüken vom Verband für Schiffbau und Meerestechnik. Branchenführer Nordic an der Ostsee baut keine Plattformen mehr. Nobiskrug in Rendsburg prozessiert gegen Siemens. Und der Stahlbauer BVT in Bremerhaven musste im September infolge eines Offshore-Projektes Insolvenz anmelden.
Schiffbauer Lüken fordert von der Politik „Ziele für ein Gesamtsystem“ – statt isolierter Einzelmaßnahmen. Eine Forderung, die in den Messehallen überall zu hören ist.
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