Box-Film "Klitschko": Zwei Doktoren im Ring
Der Kinofilm "Klitschko" von Sebastian Dehnhardt erzählt die Geschichte der berühmten Boxbrüder. Er stellt viele interessante Fragen - beantwortet sie aber nicht.
Irgendwie interessant fand man sie ja auch als Nichtfan schon immer. Die Gründe dafür zumindest aufblitzen zu lassen: Dies ist der Verdienst des neuen Dokumentarfilms und ersten Kinofilms "Klitschko" von Sebastian Dehnhardt, der bereits viele Preise für erfolgreiche Fernsehfilme mit so sprechenden Titeln wie "Das Wunder von Leipzig" und "Das Drama von Dresden" gewonnen hat.
"Klitschko" erzählt mit viel klebrigem Soundtrack, einer kompletten Abwesenheit von Experimentierfreude und insgesamt so konventionell wie Promotion die Geschichte der berühmten Boxbrüder, der Schwergewichts-Champions und Ikonen Vitali und Wladimir Klitschko.
Charmant wie in der Milchschnitten-Werbung
Es beginnt, wie sollte es anders sein, chronologisch, mit der Jugend der Brüder. Sowjetischer Plattenbau in nostalgisch realsozialistischen Farben rückt ins Bild: Was für ein Sozialaufstieg! Es folgen - etwa in der Mitte - zahlreiche Boxkämpfe in Zeitlupe, sodass man sehen kann, wie es spritzt und sabbert und wie die Köpfe der Gegner fast auseinanderfliegen, wenn der Schlag eines Klitschko sie trifft: Was für ein Siegeswille! Und schließlich endet "Klitschko" mit einem inszenierten Schachspiel zwischen den beiden, einer Szene, in der sie mindestens so charmant schauspielern wie in der Milchschnitten-Werbung. Werden die Brüder eines Tages doch gegeneinander antreten, auch wenn sie es der geliebten Mama anders versprochen haben? Was für ein biblischer Konflikt!
All dies war erwartbar. Erwähnenswert ist darum, dass man den Film trotzdem stellenweise ganz gern ansieht. Der Grund ist sein Sujet, sind die Klitschkos selbst. Vitali und Wladimir Klitschko sind aus vielen Gründen nicht nur sympathisch, sondern ein echtes Phänomen. Dieses vermag der Film zwar nicht zu analysieren, aber doch zumindest anzureißen.
Doktoren auf der Ebene von Ghetto-Jungs
Zum einen sind da tatsächlich die Kindheit und die Jugend der Klitschkos. Zwar sind die beiden Kinder höherer Militärs und mussten sich daher in wechselnden Wohnheimen mit gleich bleibendem Minimalkomfort in der ganzen ehemaligen Sowjetunion zurechtfinden. Dennoch hatten sie, die Doktoren, die vier Sprachen sprechen - dies im Film nur angedeutet -, bessere Ausgangsbedingungen als sämtliche afroamerikanischen Gegner, mit denen beide später boxten. So lässt "Klitschko" einen ehemaligen Gegner zu Wort kommen, der sich ernsthaft fragt, warum diese beiden wohl intelligentesten Boxer der Welt sich auf die Ebene von Ghetto-Jungs herabließen. Ist es der Ruhm, das Geld? Der Film fragt richtig, fragt aber nicht weiter.
Dann ist da die seltsame Beliebtheit der Klitschko-Brüder in Deutschland. Warum leben die beiden hier, warum sind sie hier offenbar fast berühmter als in der ukrainischen Heimat? Was sind das für hehre Werte, die hierzulande so becircend scheinen? Auch andere Fragen wirft "Klitschko" auf: Warum boxen die Brüder so unterschiedlich? Warum hält diese Familie, in der vor allem Pflicht und Verantwortung zählen, so sehr zusammen, dass sie unzugänglich für alle Außenstehenden wirkt, warum steht der Ältere bis heute fürsorglich für den Jüngeren ein? Warum haben sie sich bis heute nicht endgültig aus dem Boxsport verabschiedet, wo sie doch alles erreicht und genug Nebenbaustellen geschaffen haben wie etwa den Kampf gegen Korruption als ukrainischer Politiker?
Fragen, Fragen, Fragen. Es ist schön, dass "Klitschko" sie stellt. Es ist aber auch öde, dass er keine Zeit hat, sich auch nur bei einer einzigen dieser Fragen länger aufzuhalten.
"Klitschko". Regie: Sebastian Dehnhardt. Mit Vitali Klitschko, Wladimir Klitschko. Dokumentarfilm. Deutschland 2011, 110 Min.
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