Boulevardisierung des "Guardian": Nur Monster und Brangelina

Der "Guardian" war die beste britische Tageszeitung - meinungsstark, unterhaltsam, recherchefreudig. Doch längst hat eine schleichende Boulevardisierung das Blatt befallen.

Na, haben Sie auch wegen diesen Beiden auf den Text geklickt? Bild: dpa

Der Hund auf dem Titel, braune Augen hinter rostigen Gittern, ist schon in Ordnung. Selbstverständlich ist die chinesische Tradition des Hundeverzehrs für Briten ein Riesenthema.

Hunde, Katzen, die Königinnenfamilie und natürlich das Wetter (Schnee im Winter!) sind Themen, die auch auf die ersten Seiten des Guardian gehören, der besten, schönsten, klügsten aller britischen Tageszeitungen. Aber, mit Verlaub: Brangelina? Auf dem Titel? Wie verzweifelt muss der Guardian sein?

Wie verzweifelt werden demnach bald die Mitte-links-Zeitungen im Rest der Welt sein? Denn wenn der Guardian meint, sich nur noch mit Angelina Jolie und Brad Pitt verkaufen zu können - dann wird bald niemand mehr ohne auskommen. Der Guardian ist schon immer voranmarschiert. Keine Zeitung hat es wie der Guardian geschafft, Recherche, Analyse und Unterhaltung so intelligent zu mischen, hat sich mit so viel Erfolg (und Geld) der Konkurrenz der Online-Medien und der speziell im Vereinigten Königreich immer biestigeren Boulevard-Presse gestellt.

Der Guardian setzt Maßstäbe. Schon immer stand er zu seiner Meinung: Er füllt im auf DIN A3 geschrumpften "Berliner Format" vier ganze Seiten mit Kommentaren sowie eine weitere Seite mit Leserzuschriften. Das Parlamentsbüro hat es all die Jahre unter Blair und nun Brown geschafft, Labour gnadenlos vorzuführen und trotzdem größtmögliche Distanz zu den Tories zu bewahren. Den Aufstieg von Gesundheit zum Gesellschafts-Thema Nummer eins hat der Guardian früh erkannt - keine neue Brustkrebstherapie entgeht ihm.

Der Guardian leistet sich Langzeitrecherchen: Seit 2003 sind seine Leute dem Rüstungsgiganten BAE auf der Spur, um Korruption im Waffengeschäft vor allem mit Saudi-Arabien nachzuweisen. Mit Erfolg: Im Februar zahlte BAE 300 Millionen Pfund Strafe.

Und doch. Vielleicht sind Brangelina gar nicht das Schlimmste. Möglicherweise wäre auch die Verschwendung der prominenten Seite 3 an eine belanglose Geschichte über zwei Nobelrestaurants namens "Ivy" in London und Miami verzeihlich. Einige Anlässe der jüngsten Zeit aber bleiben übrig, sich über den Wandel des Guardian und damit über die Zukunft des linksliberalen Tageszeitungsgeschäfts Sorgen zu machen.

So ist die BAE-Rüstungsgeschichte ein großes Verdienst, ja. Aber ist es nötig, auf einem Fünftel der beiden BAE-Seiten allein die eigenen Ausgaben in Miniatur abzubilden, in denen dieser Skandal bereits behandelt wurde? Sollte dies bedeuten, dass die Zeitung das großflächige Selbstzitat betreiben muss, um ihre Arbeit überhaupt erkennbar zu machen - es wäre traurig.

So traurig wie das aktuelle Missverhältnis zwischen dem Ausblick des Landes und dem Niveau der öffentlichen Debatte. Großbritannien steckt in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Eine Wahl steht bevor. Doch es ist, als existierten keine Vorschläge der Parteien, wie Arbeitsmarkt und Sozialsysteme über die kommenden Jahre gebracht werden könnten. Sondern nur zwei Spitzenkandidaten mit unterschiedlichen Nachteilen: Gordon Brown, das düstere Brummelmonster, gegen David Cameron, die seifige Weichbacke. Auch der Guardian lässt die Diskussion darüber hinter sich, wie ein kohärentes Politikmodell ohne Finanzblasen aussehen könnte, und unterwirft sich dem immergleichen Wer-gewinnt-wer-verliert-Schema.

Auch diese Form der News-Personalisierung aber wird im Zweifel noch überlagert von Privatangelegenheiten. Wer dachte, es sei geschmacklos, wie die Bunte Schnüffler auf Franz Müntefering anzusetzen, kennt die britische Presse noch nicht. Jüngstes Opfer: der Kapitän der englischen Fußballmannschaft, John Terry. Er musste sein Amt niederlegen, weil er eine Affäre mit der Ex eines Mitspielers hatte. Uff.

Der Guardian stieg auch voll ein: Wie es kam, wer was geschrieben hat und dass alles medial sehr aufgebauscht war. Eine Kritik daran aber, dass der Celebrity-Kult an kleinbürgerlicher Bigotterie der Moral des 19. Jahrhunderts sehr nahe kommt, sucht man vergeblich.

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