Bosnische "Frauen als Kriegsopfer"-Leiterin: "Das Monster ist gefangen"
Als Bakira Hasecic hörte, dass Ex-Serbenführer Karadzic gefasst ist, war sie leicht optimistisch. Die Bosnierin kämpft dafür, dass die Täter nicht entkommen. Sie war eines ihrer Opfer.
Sechziger Jahre: Die Bosniakin Bakira Hasecic wächst unbeschwert in der südostbosnischen Kleinstadt Visegrad auf. Von ihrem Haus an der Drina kann sie die weltberühmte, von Ivo Andric beschriebene Brücke sehen.
Neunziger Jahre: Bakira Hasecic sieht, wie serbische Soldaten Muslime aus Visegrad von der Brücke in die Drina werfen. Wer es ans Ufer schafft, wird erschossen oder erschlagen. Sie selbst wird monatelang von Freischärlern festgehalten und vergewaltigt.
Nuller Jahre: Nachdem Bakira Hasecic in ihrer ehemaligen Heimatstadt drei ihrer Peiniger auf der Straße wiedererkannt hat, gründet sie mit anderen den Verein "Frauen als Kriegsopfer". Sie ermutigen Folter- und Vergewaltigungsopfer, über ihr Schicksal zu sprechen, sammeln Beweise und ermitteln den Aufenthaltsort der Täter. Die serbisch-bosnischen Behörden behindern diese Arbeit, wo immer sie können. Dennoch erreicht der Verein, dass das UN-Tribunal in Den Haag in die Anklageschrift gegen Milan Lukic, den Schlächter von Visegrad, die Vergewaltigungen aufnimmt.
Sie kann jetzt manchmal wieder lächeln. Dann erhellt sich ihr sonst wie versteinert wirkendes Gesicht. Dieser Tage, sagt Bakira Hasecic und hebt ihre Stimme, gebe es doch immerhin einen Lichtblick. Die Verhaftung von Radovan Karadzic, des Führers der nationalistischen Serben in Bosnien und Herzegowina, lässt die Leiterin der Organisation "Frauen als Kriegsopfer" natürlich nicht unberührt. "Das Monster ist gefangen," sagt sie, als die Nachricht sie erreicht.
Bakira Hasecic, 55, gehört zu den Frauen in Bosnien, die nicht locker lassen, die nicht einfach vergeben und zur Tagesordnung übergehen. Ihre persönliche Geschichte ist verwoben mit der des Balkankrieges, sie und ihre minderjährigen Töchter wurden von serbischen Männern vergewaltigt und gefoltert. Damals, 1992, lebte die Familie in Visegrad, der Stadt an der Drina, der Stadt mit der von dem Schriftsteller Ivo Andric beschriebenen berühmten Brücke über den reißenden Fluss, dessen Unterlauf die Grenze zwischen Serbien und Bosnien markiert. Von ihrem Garten aus konnte Bakira Hasecic auf die einst von einem Osmanenherrscher gebaute Brücke schauen, das einstige Symbol des Miteinanders der Kulturen. Jahrhundertelang lebten in der Stadt Muslime, Christen und Juden friedlich zusammen. Als aber die serbischen Freischärler die mehrheitlich von muslimischen Bosniaken bewohnte Stadt mit ihren 21.000 Einwohnern in ihre Gewalt brachten, brach über Hasecic das Inferno herein.
An dem Haus bei Sarajevo weist kein Schild auf den Verein "Frauen als Kriegsopfer" hin. Aber die Menschen hier wissen Bescheid, die Interessenvertretung der Vergewaltigungsopfer ist hier eine bekannte Institution. Leider, erklärt Bakira Hasecic, fehle es an Geld, nur der deutsche Arbeitersamariterbund gebe regelmäßig einen bescheidenen Betrag. "Aber wir arbeiten trotzdem. Ich lebe ja hier in Sarajevo nur wie hinter einem Schleier, mit meinen Gedanken bin ich Tag und Nacht in Visegrad".
Grauenhaftes hat sie dort gesehen. Wie die Peiniger die Menschen lebendig in die Drina warfen. Und wie sie die, die es schafften, das Ufer zu erreichen, erschossen oder erschlugen. Damals wurden 3.000 Menschen ermordet, sagt sie. Internationale Quellen sprechen von 1.500 Opfern - auch dies eine ungeheuerliche Zahl, so viele Tote in dieser kleinen Stadt. Frauen und Kinder wurden zu Hunderten in das Hotel Vilina Vlas und in die nahe Kaserne der Jugoslawischen Armee verschleppt, dort wurden sie gefoltert, vergewaltigt. Immer wieder, manche monatelang. "Einigen gelang es, aus dem Fenster zu springen und sich selbst zu töten", sagt Bakira Hasecic.
Die berühmte Brücke über den Fluss war schon während des Zweiten Weltkriegs Schauplatz schlimmer Verbrechen. Im Jahr 1943 ermordeten serbische Tschetniks eine ähnlich große Anzahl von Menschen. Unter anderem wegen dieser Verbrechen wurde 1946 der Tschetnikführer Drazen Mihailovic von den Partisanen zum Tode verurteilt. "Als ich jung war", sagt Hasecic, "erzählte mir mein Vater die Geschichte von damals. Ich glaubte sie einfach nicht. Wie sollte das denn möglich sein, fragte ich ihn, so was ist doch unvorstellbar."
Und dann, vor 16 Jahren, musste sie all dies selbst durchleben. "Ich bat meine Peiniger, mich zu töten." Sie taten es nicht. "Danach habe ich mir geschworen, mich zu wehren."
Bakira kam irgendwie frei. Und begann, ihr Trauma zu verarbeiten. Sie sprach über das Erlebte. Ermutigte auch andere überlebende Frauen, zu reden, nicht, wie die meisten es getan haben, aus Scham zu schweigen. Die Täter sollten büßen.
Ihre Organisation gründete sie 2003, nachdem sie zusammen mit anderen Frauen zum ersten Mal nach dem Krieg ihre Heimatstadt besucht hatte. "Wir waren schockiert, denn wir erkannten drei unserer Peiniger wieder, einer war Polizist." Unbehelligt lebten diese Leute in der Stadt. "Wir mussten etwas tun." Sie gründeten das Büro. Und sie begannen, systematisch Informationen zu sammeln. Brachten serbische Zeugen dazu, ihr Schweigen zu brechen. Ließen nicht locker, als in der Anklageschrift des UN-Tribunals in Den Haag gegen Milan Lukic, den Führer der paramilitärischen Gruppe "Weißer Adler", Schlächter von Visegrad, die Vergewaltigungen nicht einmal erwähnt wurden.
Der 1967 in Foca geborene Milan Lukic wurde im Jahr 2000 vom Tribunal angeklagt. Dennoch blieb er noch jahrelang in der Region, er fühlte sich sicher, die zuständigen französischen Truppen und die serbisch-bosnische Polizei unternahmen nichts. Die Anklage gegen ihn liest sich wie ein Horrorroman. Er soll 70 Frauen, Kinder und ältere Leute in einem Haus in der Pionirska-Straße in Visegrad eingesperrt und das Haus in Brand gesetzt haben. Wer durch die Fenster zu fliehen versuchte, wurde von ihm erschossen.
Ähnliches soll in Bikavac geschehen sein. Mehrfach stellte er Gruppen gefangener Männer ans Ufer der Drina und erschoss sie eigenhändig.
Irgendwann wurde Lukic der Boden doch zu heiß. Denn wegen der Ermordung von 19 serbischen Staatsbürgern hatte ihn ein serbisches Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er floh nach Argentinien und wurde im August 2005 dort verhaftet.
"Immerhin hat Serbien damals reagiert", sagt Bakira Hasecic. "Die Polizei der Republika Srpska aber hat bis heute keinen einzigen Kriegsverbrecher verhaftet." Das, meint sie, sei das Erbe von Karadzic. "Die politische Führung der Serben in der Stadt leugnet jegliche Schuld, so wie die meisten Funktionsträger in der Republika Srpska." Täter würden sogar noch als serbische Helden verehrt. "Karadzic ist es gelungen, unsere gemischte und tolerante Gesellschaft auseinanderzureißen." Bis heute.
Natürlich beklagt auch die internationale Gemeinschaft, dass die bosnisch-serbische Polizei sich weigert, gegen die von Den Haag und dem bosnischen Gerichtshof gesuchten Kriegsverbrecher vorzugehen. Doch sie übt nur schwachen Druck auf die serbische Teilrepublik in Bosnien aus. Im Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo weiß man zwar, dass viele der Kriminellen von damals heute als Polizisten arbeiten, unternimmt aber nichts. Der Hohe Repräsentant hätte die Macht, diese Leute wenigstens aus dem Polizeidienst zu entlassen. Erst kürzlich, am Jahrestag des Massakers von Srebrenica, beklagten überlebende Frauen, heute aktive serbische Polizisten seien an dem Massaker beteiligt gewesen.
Die Frauen lassen sich dadurch nicht beirren. Sie sind es nicht anders gewöhnt. Doch zumindest im Fall Lukic haben sie Erfolg: Die Vergewaltigungen werden wahrscheinlich in die Anklage aufgenommen. Und mit ihren Nachforschungen haben sie geholfen, zehn weitere Vergewaltiger und Mörder ausfindig zu machen. Zum Beispiel Momir Savic, den Schlächter von Rudo, der Ende Dezember 2007 verhaftet wurde. "Jahrelang haben wir nach Beweisen gesucht", erzählt Bakira Hasecic. "Wir übernehmen ja praktisch die Polizeiarbeit, die nicht gemacht wird." Die Gruppe arbeitet manchmal mit der Sipa zusammen, der gesamtstaatlichen Polizei für Korruption und Kriegsverbrechen, die befugt ist, Leute zu verhaften.
Auch in anderen Fällen waren die Frauen erfolgreich. So wurde Vrdoje Smisic wegen Vergewaltigung und Mordes vor dem Gerichtshof von Bosnien und Herzegowina angeklagt. Das Urteil, fünf Jahre Haft, enttäuschte sie. Und Zeljko Lelek musste Anfang Dezember 2007 vor Gericht erscheinen. Andere blieben bisher unbehelligt, etwa ein Arzt, der heute in Mrkonjic-Grad praktiziert, oder ein Mann, der noch am letzten Tag des Krieges eine muslimische Frau ermordet hat.
Bakira Hasecic fährt jetzt regelmäßig nach Visegrad. Sehr zum Missfallen der serbischen Behörden hat sie ihr Haus wieder in Besitz genommen. Vor drei Monaten, am 24. Mai, hat sie organisiert, dass zum Gedenken an die Opfer 3.000 Rosen in der Drina schwammen.
Natürlich haben die Behörden der jetzt rein serbischen Stadt ein Auge auf sie. Mehrfach wurde sie kurzzeitig festgenommen. Die von den Frauen an der Brücke angebrachte Gedenktafel wurde von der in der Stadt regierenden Karadzic-Partei SDS entfernt. Und es gab deutliche Warnungen aus den Kreisen der Täter. Am 1. Mai stürzte ein Serbe, der als Zeuge der Anklage aussagen wollte, von einer Klippe in den Tod. Die Polizei behauptet, der Mann habe sich umgebracht, Bakira Hasecic aber ahnt, wer hinter diesem "Selbstmord" steckt. Sie hofft, dass mit der Verhaftung Karadzic die alte Garde verunsichert wird.
Doch nach wie vor feiern sich die Täter. Mit einem gewaltigen Monument kräftiger Kämpfer in faschistisch-stalinistischem Stil wird nahe der Drina-Brücke der serbischen Gefallenen gedacht. Die Unesco stört das nicht - gerade hat sie die Brücke zum Weltkulturerbe erklärt. Die Stadtoberen bemühen sich, Visegrad zur Touristenstadt zu machen. Sie werben mit Ivo Andric, seinen Büchern und dem Geist, den sie selbst vor 16 Jahren zerstört haben.
An ein Denkmal für die Opfer ist bisher nicht gedacht. Bakira Hasecic wird das nicht hinnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands