Bosniens Außenminister Alkalaj: "Stimmung auf dem Tiefpunkt"
Der Außenminister von Bosnien und Herzegowina, Sven Alkalaj sagt: EU-Visafreiheit würde Bosnien stabilisieren. Die Menschen im Land haben die Hoffnung auf einen EU-Beitritt fast verloren.
taz: Herr Alkalaj, dass nur Serbien, Montenegro und Mazedonien in den Genuss der Visafreiheit ab dem 1. Januar 2010 kommen sollten, hat im Europaparlament zu erheblicher Unruhe geführt. Denn dieses Vorhaben könnte vor allem den Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina destabilisieren. Jetzt scheint sich in Brüssel auch in Bezug auf Bosnien etwas zu bewegen. Wie beurteilen Sie die neueste Entwicklung?
Sven Alkalaj: Diese Entwicklung ist den vielen Persönlichkeiten und Initiativen zu verdanken, die mit ihrem Protest und ihren Analysen die Diskussion in Brüssel vorangebracht haben. Das war sehr wichtig. Und die vielen Freunde im Ausland zeigen, dass unsere Gesellschaft eine Zukunft hat. Endlich ist es seit dem Mai auch innenpolitisch gelungen, die Weichen richtig zu stellen. Gesetze, die für die von der EU geforderte Roadmap wichtig waren, konnten schon im Juli verabschiedet werden.
Welche denn?
Wir sind vorangekommen in der Frage der Grenzkontrollen, der Kontrolle von Waffen und militärischer Ausrüstung, der internationalen Zusammenarbeit bei Kriminalfällen, Geldwäsche und auch in Bezug auf Finanzierung des Terrorismus. Über das Strafrecht wird jetzt im Parlament beraten. Und wir haben die Voraussetzungen für die Einführung biometrischer Pässe geschaffen. Am 15. Oktober wird dieser Prozess beendet sein, dann können die Pässe ausgegeben werden. Das zeigt, dass wir jetzt in einer besseren Situation sind, als Serbien, Mazedonien und Montenegro es zu dem Zeitpunkt waren, als die EU ihre Entscheidung ankündigte, diesen Ländern Visafreiheit ab dem 1. Januar 2010 zu gewähren.
Also hat der Premierminister der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, mitgemacht. Vorher hat er ja viele Gesetze für den Gesamtstaat blockieren lassen.
Sie wissen ja, dass unser Land nach dem Friedensvertrag von Dayton 1995 in zwei so genannte Entitäten, die "Föderation Bosnien und Herzegowina" und die "Republika Srpska" geteilt ist. Mit dem komplizierten Staatsaufbau Politik zu machen und Entscheidungen zu treffen ist oft sehr schwierig, und vieles kann blockiert werden. Im Juli ging aber alles glatt. Nächstes Jahr haben wir allgemeine Wahlen, wer möchte da schon als Blockierer der Visafreiheit dastehen?
Was würde die Visafreiheit für ihr Land bedeuten?
Bei uns ist nach all den Enttäuschungen die Stimmung auf dem Tiefpunkt angekommen, viele Menschen haben resigniert und glauben nicht mehr, dass wir jemals in die EU aufgenommen werden. Wenn also jetzt das Europäische Parlament eine Empfehlung für den Ministerrat ausspricht, auch Bosnien Visafreiheit zu gewähren, würde uns dies sehr freuen. Und wenn dann der Ministerrat grünes Licht gibt, hätte dies einen sehr positiven und stabilisierenden Einfluss auf unser Land.
Am Freitag dieser Woche kommt hoher Besuch nach Sarajevo - Carl Bildt als Vertreter der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und auch der Erweiterungskommissar der Europäischen Union, Olli Rehn. Sie wollen Vorschläge zu einer Verfassungsrefom machen und das Büro des Hohen Repräsentanten OHR auflösen. Was erwarten Sie konkret von dem Besuch?
Bisher wissen wir hier in Sarajevo noch nichts über die Vorschläge, die zunächst den Parteiführern unterbreitet werden sollen. Daher kann ich jetzt noch keine Einschätzungen geben, befürchte aber, dass diese Vorschläge kein großer Wurf sein werden. Wenn das OHR abgeschafft wird, dann hoffe ich, dass wenigstens jene Bestimmungen unserer Verfassung verändert werden, die immer wieder unsere Gesetzgebungsverfahren behindern. So das Abstimmung über Gesetze in den beiden Entitäten. Aufgrund dieses bisherigen Prozederes sind über 200 Gesetze blockiert worden. Es muss in Zukunft möglich sein, im gemeinsamen Parlament Mehrheitsentscheidungen fällen zu können.
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