Bosnien vor WM-Qualifikation: „Einfach einmal Glück haben“
Die Fußballnationalelf weckt derzeit die Hoffnung der Menschen in Bosnien und Herzegowina. In Litauen kann sie sich erstmals für eine WM qualifizieren.
SARAJEWO taz | Die Fieberkurve in Sarajevo steigt fast stündlich vor dem wichtigsten Fußballspiel der Geschichte Bosnien und Herzegowinas. Denn am Dienstagabend könnten Dzeko und Co. bei ihrem Qualifikationsspiel in Litauen den Sack zumachen. Selbst wenn Hauptgegner Griechenland gegen Liechtenstein zu Hause gewinnen würde: Die mit 22 Punkten gleichauf liegenden Bosnier haben ein überragendes Torverhältnis vorzuweisen. Bei einem Sieg hätten es die Bosnier geschafft.
Dem Friseur in der Koseva-Straße zittert gefährlich das Rasiermesser, als er auf das Spiel der Spiele angesprochen wird. Romajungs gehen von Haus zu Haus, um die gelb-blauen Nationalflaggen zu verkaufen. Schon am Montag sind Trötentöne in der Stadt zu vernehmen, viele Autos sind schon mit Flaggen geschmückt.
Sanela und ihre Freundinnen aus der Kunstszene Sarajevos überlegen sich, ob sie sich das Spiel ansehen können. Sie haben Angst vor einer Nervenkrise. „Das ist ja alles nicht auszuhalten“, sagt das Fotomodell Lana, „gewinnen wir, tanzen wir die Nacht durch, verlieren wir, fallen wir in eine Depression, dann siehst du mich lange Zeit nicht mehr.“
In Bosnien und Herzegowina geht es nicht um ein normales WM-Qualifikationsspiel wie in anderen Ländern. Ein Nachbar sagt: Nach all den Jahren des Kriegs und der Zerstörung, nach all den Jahren des Stillstands „sind wir ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft“. Die Friedensverfassung von Dayton knebelt das Land; während Kroatien in die EU aufgenommen wurde und Serbien daran ist, mit Brüssel zu verhandeln, „gibt es hier nur Stillstand.“
Suche nach einem Lichtblick
In ethnisch definierte „Entitäten“ geteilt und von ungeliebten Politikern regiert, sucht man nach einem Lichtblick. „Wir sind ein geschlagenes Land, wir Bosnier haben immer Pech“, sagt die Lehrerin Amela, „jetzt müssen wir einfach einmal Glück haben.“ Und auf die Frage einer Touristin, die mit tazreisen nach Sarajevo gekommen ist, was ihm angesichts dieser Lage im Lande überhaupt noch Hoffnung machen könnte, erklärte der Menschenrechtler und Vizevorsitzende der Helsinki Föderation für Menschenrechte, Srdjan Dizdarevi, schon im August, knapp und trocken: „Die Fuballnationalmannschaft.“
Andere witzeln, „wir kommen zwar nicht nach Europa, wir fahren aber nach Brasilien“. Ob die Spieler der Nationalmannschaft darüber lachen können, ist wenig wahrscheinlich. Sie haben jetzt eine schwere Bürde zu tragen. Ob sie den Druck standhalten, ist für manch einen zweifelhaft. Schon im September hätten sie alles klarmachen können. Sie hätten nur zu Hause gegen die Slowakei gewinnen müssen.
Doch Bosnien spielte pomadig, ohne Esprit, verlor 1:0, rappelte sich aber wieder auf und gewann das Rückspiel in der Slowakei mit 2:1. Doch selbst nach dem jüngsten 4:1 Sieg gegen Liechtenstein darf man sich nicht sicher sein, ob die Mannschaft stabil bleibt.
Schwache Hintermannschaft
„Die Schwäche des bosnischen Teams liegt in der Hintermannschaft“, sagt Philippe, ein belgischer Journalist, der lange Jahre in Sarajevo gelebt und den bosnischen Fußball genau verfolgt hat. Der Torwart Asmir Begovic sei zwar ein sicherer Schlussmann. Der Sturm mit Vedad Ibisevic vom VfB Stuttgart und Edin Dźeko von Manchester City, auch das Mittelfeld mit Sejad Salihovic aus Hoffenheim und Miralem Pijanic vom AS Rom könne sich durchaus sehen lassen, doch in der Hintermannschaft habe man Spieler, bei denen man Angst haben müsse, ob sie das Tempo besserer Mannschaften mitgehen können.
Das aus Spielern der englischen, italienischen, russischen, deutschen und anderen Ligen zusammengewürfelte Team, in dem Muslime, Kroaten und Serben zusammen spielen, will alles daran setzen, die Qualifikation zu schaffen.
Es geht auch um die persönlich Karriere. Der von der Nationalmannschaft der Schweiz nicht berücksichtigte Izet Hajrovic besann sich erst vor zwei Monaten auf seine bosnischen Wurzeln und wechselte in sein Heimatland. Als er nach wenigen Sekunden auf dem Platz das zweite Tor für Bosnien schoss, hat er nicht nur die Bosnier begeistert, sondern auch seinen Marktwert beträchtlich gesteigert. Kein Zweifel, auch er will nach Brasilien.
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