■ Bosnien: Die Nato kann einen Waffenstillstand erzwingen, aber keinen Frieden. Langfristig gibt es deshalb keine Alternative zur UNO: Militäroperationen sind nur Hilfsmittel
Nato-Truppen werden auch über den Sommer 1998 hinaus in Bosnien stationiert bleiben. Die dafür notwendigen offiziellen Entscheidungen sind reine Formsache. Derzeit können auch überzeugte Pazifisten nicht wagen, für einen sofortigen Truppenabzug einzutreten. Verließen die ausländischen Militärs Bosnien jetzt, dann würden erneut Zivilisten sterben. Seltsam, daß ausgerechnet diese Tatsache als Argument für die Richtigkeit des Nato-Einsatzes ins Feld geführt wird. Beweist sie nicht eher das Gegenteil?
Es ist wahr: Die Waffen in Bosnien schweigen. Militärisch haben die internationalen Truppen die Lage im Griff. Aber die Abwesenheit von Krieg ist noch kein Frieden. Davon ist Bosnien nach wie vor weit entfernt. Weder gibt es funktionierende staatliche Institutionen noch rechtsstaatliche Strukturen. Von Aussöhnung kann keine Rede sein. Nichts spricht dafür, daß der bislang eingeschlagene Weg Bosnien langfristig innere Stabilität bringen wird. Das ist aber das erklärte Ziel jeder ausländischen Intervention in dem Konflikt.
Bosnien ist aus den Schlagzeilen verdrängt worden. Weite Teile der Öffentlichkeit hegen das diffuse Gefühl, eigentlich sei dort doch das Gröbste geschafft. Auch führende internationale Politiker haben es sich erlaubt, in ihren Bemühungen um eine dauerhafte Lösung der Probleme auf dem Balkan nachzulassen. Stimmen, die warnten, politische Konzepte drohten durch militärische Effizienz ersetzt zu werden, haben recht behalten.
Bislang ist der Bevölkerung in Bosnien nur eine Atempause verschafft worden. Ein Waffenstillstand läßt sich mit militärischen Mitteln erzwingen. Frieden nicht. Allein schon der Terminus „friedenserzwingende Maßnahmen“ deutet auf eine fatale Verwirrung der Begriffe hin. Er zeugt von einer Neigung, in einer Militäroperation nicht mehr ein Hilfsmittel, sondern bereits die Lösung zu sehen.
Kritikern des Nato-Einsatzes ist von Befürwortern immer wieder Empfindungslosigkeit gegenüber menschlichem Leid vorgeworfen worden. Das ist eine so schwere Beschuldigung, daß heute nur noch wenige wagen, öffentlich die Eignung der Nato für eine humanitäre Intervention zu bezweifeln. Dabei gibt die Entwicklung denjenigen recht, die in dem Bündnis das falsche Instrument für eine Operation in Bosnien sehen. Militärische Erfolge als Ersatz für Politik: Dafür gibt's in der Geschichte doch schon genug Beispiele, die zeigen, wo das endet.
Die Vereinten Nationen haben in Bosnien versagt, nachdem sie zuvor auch in Somalia gescheitert waren. Aus diesen Erfahrungen lassen sich zwei mögliche Konsequenzen ziehen: Entweder wird die UNO endgültig für unfähig zur Krisenintervention erklärt und zur politischen Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt. Oder die internationale Staatengemeinschaft setzt die Diskussion über die überfällige Reform der Vereinten Nationen ganz oben auf die Liste der politischen Prioritäten und stattet UNO-Truppen auch einmal mit einem Mandat aus, das sie wenigstens theoretisch handlungsfähig macht. Die führenden Industrienationen haben sich für den ersten Weg entschieden.
Die Entmachtung der Vereinten Nationen ist von den USA politisch gewollt. Die Erfahrungen in Somalia waren für Washington ein verheerender Schock und eine moralische Niederlage. Auf einen Schlag waren die Hoffnungen zerstoben, nach dem Ende des Kalten Krieges ließen sich die Einhaltung der Menschenrechte und die westlichen Werte weltweit erzwingen. Spätestens nach der gescheiterten Operation in dem ostafrikanischen Land wandelten sich Skepsis und Mißtrauen gegenüber der ohnehin ungeliebten UNO in offene Verachtung.
Für die Deutschen mag die Frage, ob in Bosnien UNO oder Nato federführend agieren, eine rein akademische und letztlich bedeutungslos sein. Für die Völker der Dritten Welt ist die Diskreditierung der Vereinten Nationen eine Katastrophe. Der Ansehensverlust der UNO hat bereits Menschenleben gekostet, und er wird weitere fordern.
In Ruanda wurden zu Beginn des Völkermordes 1994 fast alle UNO-Truppen abgezogen, die sich damals zur Überwachung eines Friedensabkommens im Lande aufgehalten hatten. Begründung: Der Friedensprozeß sei ja nun ohnehin gescheitert, damit sei auch der Grund für die Präsenz der ausländischen Militärs entfallen. Hunderttausende wehrloser Frauen, Kinder und Männer wurden vor den Augen der Welt abgeschlachtet. Niemand griff ein. Den Vereinten Nationen wurde von ihren eigenen Mitgliedern einfach nichts mehr zugetraut.
Die hilflose Verzweiflung des damaligen UN-Generalsekretärs Butros Ghali, dem es trotz beschwörender Appelle nicht gelang, ein Mandat für die Rettung von Zivilisten zu bekommen, blieb ohne Echo. Wieviel möglich gewesen wäre, bewiesen die ganz wenigen UN-Soldaten, die in der ruandischen Hauptstadt Kigali noch vor Ort geblieben waren. Sie retteten Hunderte vor den mordenden Milizen. Verstärkung bekamen sie dennoch nicht. Warum eignet sich das Leid der bosnischen Bevölkerung eigentlich bis heute so viel besser zur moralischen Untermauerung eines Standpunktes als das der ruandischen?
Verlust des Vertrauens in politische Institutionen ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der UNO wird inzwischen auch in den Bereichen Friedenssicherung und politischer Mittlertätigkeit von Konfliktparteien in vielen Krisenregionen nicht mehr besonders ernstgenommen. Das schwächt die Weltorganisation zusätzlich. Die Spirale dreht sich immer schneller nach unten.
Inzwischen sind die Vereinten Nationen so schwach, daß die Forderung nach einer sofortigen Entsendung von UNO-Truppen nach Bosnien wohl wirklich verantwortungslos wäre. Mindestens ebenso verantwortungslos ist es aber, diese Entsendung als Ziel aus den Augen zu verlieren, ja, selbst die Diskussion darüber, ob und wie es sich verwirklichen ließe, für traumtänzerisch oder gar unmoralisch zu erklären.
Langfristig gibt es zu der Weltorganisation keine Alternative. Jede andere internationale Institution muß auch nationale Interessen ihrer Mitgliedsländer im Blick haben. Das schmälert ihre Legitimität. Natürlich erst dann, wenn es zwischen verschiedenen Staaten oder Lagern zu offenen Interessenkonflikten kommt. Aber wagt wirklich irgend jemand zu behaupten, solche Konflikte seien für die vorhersehbare Zukunft auf dem Balkan ausgeschlossen? Bettina Gaus
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