Boomende Tier-Homöopathie: Siegeszug der Globuli im Stall
Landwirte und Tierärzte greifen bei der Behandlung von Tierkrankheiten zunehmend zu homöopathischen Mitteln. Selbst die EU gewährt der angeblich sanften Tiermedizin Vorrang.
Immer mehr deutsche Bauern und Veterinäre schwören auf die Homöopathie, wenn Tiere erkrankt sind. Laut einer Umfrage der Fachhochschule Osnabrück haben 72 Prozent der Bioland- und Demeter-Betriebe und 30 Prozent der konventionell wirtschaftenden Bauern Homöopathie bereits angewandt. Die Nachfrage nach entsprechenden Fortbildungen bei den Tierärzteverbänden und Landwirtschaftskammern ist immens.
Für den Globuli-Boom gibt es drei Gründe: Erstens räumt die EU-Öko-Verordnung den homöopathischen Mitteln einen Vorrang vor den herkömmlichen Turbomedikamenten ein. Derzeit sind 198 potenzierte Mittel etwa zur Heilung von Kälberdurchfall oder Virusinfektionen beim Schwein zugelassen. Das dient dem Verbraucherschutz, weil homöopathisch behandelte Tiere rückstandsfrei in die Lebensmittelkette gelangen. Auch Biomilch ist darum frei von Antibiotika & Co. Zudem wird der gefürchteten Resistenzbildung bei humanpathogenen Keimen mit dieser Rechtsvorschrift ein Riegel vorgeschoben.
Zum Zweiten sind Bauern zunehmend einem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Jede Produktionsminderung kommt ungelegen, weil teuer. Werden Tiere mit Globuli therapiert, unterliegen sie keinerlei Wartezeiten. Milch von Milchkühen, die gegen eine Euterentzündung ein Antibiotikum gespritzt bekommen, darf mindestens eine Woche nicht in den Handel gelangen. Wird in einem Milchtank auch nur die Spur eines Antibiotikums nachgewiesen, muss der ganze Tankinhalt in die Biogasanlage.
Drittens verschmähen Bauern - auch zahlreiche konventionell arbeitende - Antibiotika-Gaben, weil die Wirksamkeit der derzeit zugelassenen Arzneien wie Tetrazyklin oder Sulfonamid rapide nachlässt.
Eine rundum gute Sache also? Schließlich hat der Verbraucher ein sauberes Steak auf dem Teller und die Umwelt wird weniger mit Tierarzneien belastet? Nicht alle Beteiligten halten den Trend zur Homöopathie für sinnvoll. Schließlich stehen die extrem verdünnten Heilmittel wissenschaftlich gesehen auf wackeligen Beinen.
Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung initiiert und finanziert zwar seit zehn Jahren die Erforschung der Homöopathie in der Tiermedizin. Bislang sind die Beweise jedoch dünn gesät. Eine Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2006 hat bei 126 an Euterentzündung erkrankten Tieren Homöopathika und Placebos verglichen. Die Behandlung mit Belladonna & Co war nur unwesentlich besser als die Placebo-Gabe. Trotzdem war insgesamt die Heilungsrate hoch und Antibiotika konnten eingespart werden. Der untersuchte Betrieb in Brandenburg konnte so immerhin 25.000 Liter Milch retten. Zudem war die Infektion der Kühe mit dem gefürchteten, weil Antibiotika-resistenten Staphylococcus-aureus-Stamm stark vermindert.
Auch wenn wasserdichte Beweise aus Studien fehlen: "Homöopathie wird derzeit viel nachgefragt, weil Bauern und Veterinäre so gute Erfahrungen machen", berichtet Birgit Gnadl, Naturland-Bäuerin und Fortbildnerin in Sachen Homöopathie. "Es wirkt einfach."
Kritik an der derzeit gängigen und von der EU forcierten Praxis übt dagegen Wolfgang Löscher, Wissenschaftler an der Tierärztlichen Hochschule Hannover: "Ob Homöopathie wirkt, muss erst bewiesen werden, bevor man damit falsche Hoffnungen beim Tierbesitzer weckt."
Doch wie könnten Globuli ein Tier heilen? Beim Menschen geht man häufig davon aus, dass die Wirkung auf dem Placebo-Effekt beruht, der bei der Heilung von Krankheiten tatsächlich eine große Rolle spielt. "Auch bei Tieren gibt es einen Placebo-Effekt", so Löscher. Und zwar dann, wenn ein Tier merkt: seine Bezugsperson, der Bauer, ist besorgt, kümmert sich um das Tier besonders, spricht ihm gut zu. Oft werden aber ganze Herden prophylaktisch behandelt, wenn einzelne Tiere erkrankt sind. Wie passt das zur Hahnemannschen Vorgehensweise, dass ein Mittel individuell abgestimmt sein muss?
"Die Herde ist ein System wie die Familie, hier kann man häufig das gleiche Mittel für alle verschreiben", ist Homöopathie-Expertin Gnadl überzeugt.
Die EU will Rückstandsfreiheit für Biolebensmittel, und daher nimmt sie offensichtlich die ungeklärte Wirkungsweise der alternativen Arzneien in Kauf. Trotzdem kommen Antibiotika noch vielfach zum Einsatz - ob als Beimengung in Geflügelfutter, ob als prophylaktische Gabe an ganze Ferkelbestände etwa beim Umstallen, ob als einzelne Spritze gegen Infektionen.
"Der Einsatz von Antibiotika kann noch weiter gedrosselt werden", ist Löscher überzeugt - indem man prophylaktische Gaben weiter reduziere oder sogar verbiete.
"Man weiß eigentlich, dass diese in den meisten Fällen unnütz sind, nur die Lobby für den Erhalt des oft indikationslosen Einsatzes von Antibiotika ist so stark, dass sich das anscheinend nicht durchsetzen lässt", so Löscher. Schließlich wird gerade in der Schweine- und Geflügelmast der größte Anteil an Antibiotika vorbeugend eingesetzt.
Dabei wäre ein Verbot auch für den Bauern ohne Risiken. Beispiel Dänemark: 1998 wurden dort Antibiotika aus dem Geflügelfutter verbannt. Die Sterberate der Küken war gleichbleibend, sie wuchsen ebenso rasch wie "gedopte" Tiere. Nach dieser positiven Bilanz wurde 1999 dann auch in Kälber- und Schweineställen der Einsatz von Antibiotika als Vorsorgemaßnahme drastisch reduziert.
Ganz ohne die Chemiekeule kommt man jedoch nicht aus. Zwar gibt es in den USA bereits eine Praxis, die jeglichen Einsatz konventioneller Medikamente verbietet. Erkrankt ein Tier dann so schwer, dass nur noch ein Antibiotikum Abhilfe schafft, muss das Tier - egal, wie alt es ist - geschlachtet und "entsorgt" werden. "Dieser Preis ist für einen überzeugten Biobauern oft zu hoch", meint Bioland-Tierarzt Matthias Link. In einigen Fällen verstoße die Nichtbehandlung sogar gegen das Tierschutzgesetz. "Verbraucherschutz und Tierschutz müssen aber ausgeglichen sein", so Link.
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