: Boom auf Ludwig Erhards Spuren
Im Wirtschaftsbericht 2000 propagiert Wirtschaftsminister Werner Müller Wirtschaftswachstum für alle. Dabei setzt er vor allem auf die Steuerreform und aufs Internet, das Arbeitsplätze bringen soll. Nur für Ostdeutschland hat er kein Rezept
aus Berlin BEATE WILLMS
„Mehr Wohlstand für alle lässt sich nur durch Wirtschaftswachstum, nicht aber durch mehr Umverteilen erreichen.“ Unter diese oberste These hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) seinen Wirtschaftsbericht 2000 gestellt. Und sie gleich mit der frohen Botschaft verbunden, dass er für die Zukunft ein „jährliches Wirtschaftswachstum von 3 Prozent“ und bis Ende 2002 einen Rückgang der Arbeitslosenzahl auf annähernd 3 Millionen erwarte. Allerdings nur, wenn die Bundesregierung ihre Reformen ohne größere Abstriche umsetzen könne. Gelinge ihr das nicht, drohe Ungemach: Bis zu 500.000 Arbeitsplätze gingen allein verloren, wenn die Steuerreform scheitere. Aufgabe seines Berichts sei es deswegen, in der Bevölkerung „Vertrauen in unseren Kurs“ zu festigen.
Im Gegensatz zum vom Finanzministerium verfassten Jahreswirtschaftsbericht, der 90 eng bedruckte Seiten umfasst, kommt der Wirtschaftsbericht aus dem Müller-Ministerium mit knapp 60 großzügig gestalteten Seiten für Konzept, konjunkturelle Entwicklung, etliche Stellungnahmen von Unternehmern, Managern und Gewerkschaftern und vielen bunten Bildern aus. Der inhaltliche Kurs zielt gemäß dem vielfach zitierten „Wirtschaftswundervater“ Ludwig Erhard in Richtung soziale Marktwirtschaft, mit weniger Staat, aber mit weniger Steuern, mehr Eigenverantwortlichkeit und flexibleren Arbeitnehmern.
Die Orientierung auf mehr Wohlstand durch mehr Wachstum übersetzte Müller als „New Economy“. Naheliegend, dass er sich dabei einen besonderen Schub von der Internet-Wirtschaft verspricht. Einer im Auftrag des Ministeriums erstellten Prognose des wirtschaftsnahen Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge könnten im IT-Bereich bis zu 750.000 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden. Allerdings sei es schwer, hier mit konkreten Zahlen zu arbeiten. Auf jeden Fall, so Müller, müssten hierfür sowohl die steuerlichen Rahmenbedingungen stimmen als auch die Beschäftigten bereit sein, flexibler und mobiler zu arbeiten. Außerdem werde es sicherlich einen Verdrängungswettbewerb geben, bei dem nicht alle IT-Unternehmen durchkämen. Was der Staat tun könne, sei, das Internet in der Schule selbstverständlich zu machen.
Eine mindestens ebenso große Aufgabe wie der Aufbau der Internet-Wirtschaft findet in dem Bericht keine explizite Erwähnung: Für die nachholende Entwicklung in Ostdeutschland hat Müller kein eigenes Rezept. Nur „eine persönliche Perspektive“, die er bei der Vorstellung des Berichtes mündlich nachlieferte: die EU-Osterweiterung. Mit der Aufnahme osteuropäischer Länder, so die Hoffnung, würden internationale Unternehmen nach einem Standort suchen, von dem aus sie die neuen Märkte erobern könnten. Und in Ostdeutschland habe die Infrastruktur bei Bildung, Ausbildung und Datennetzen in den letzten Jahren ein Niveau erreicht, das in Europa seinesgleichen suche.
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