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Bookcheck

Gelesen: Remmerts de Vries' Kinderbuch. Man hätte ja auch einfach schreiben können, Kinder sollten sich keine Tiger, sondern lieber Kaninchen zum Geburtstag wünschen. Weil das bequemer für die Eltern ist. Doch so leicht macht es sich Daan Remmerts de Vries in seinem Kinderbuch Jan-Willem, die wilden Tiere und ich nicht: Eine ganz andere, phantasiegeladene Geschichte hat der 1962 geborene niederländische Kunsterzieher, der zehn Jahre lang Sänger und Gitarrist einer Rockband war, geschrieben.

In einem Hochhaus spielt die Geschichte des Jungen, dessen Eltern sich ständig streiten. Manchmal versteckt er sich im Schrank, um allein zu sein. Und wenn es ihm zu viel wird mit der Streiterei der Eltern, verzieht er sich aufs Hochhausdach – aber nicht einfach so: zusammen mit seinem Fernglas, das er anstelle des ersehnten Tigers zum Geburtstag bekam.

Lakonisch, ironisch und pragmatisch ist das Buch geschrieben. Kein bisschen weinerlich spricht der Junge dabei über die Elternquerelen, denen er unters Kopfkissen entflieht. Oder eben aufs Dach, wo er den verrückten alten Jan-Willem, den „Reisenden im Ruhestand“, trifft. Und der erzählt ihm vom Land Pudidrien, in dem alle Tiere dadurch entstehen, dass man sie sich ausdenkt. Die Folgen sind immens: Massen Monster tauchen mit jedem üblen Gedanken auf; „ich passte gut auf, nichts Böses mehr zu denken“, erzählt Jan-Willem. „Und nicht in meiner eigenen Traurigkeit zu ertrinken. Denn sonst regnet es in Pudidrien“ – wohin der Junge schließlich selbst aufbricht, als die Eltern wieder mal streiten: Raus aus der Stadt und bis hinter den Bahnhof läuft er, nachdem er den alten Mann „Lügner“ genannt hat.

Doch dann findet er Pudridien tatsächlich: eine Stadt ist es, deren Häuser blau werden vor Fröhlichkeit und grau, wenn er den Bewohnern Trauriges erzählt. Fast wie in Alfred Kubins Die andere Seite. Die Verantwortung für die eigene Stimmung ist allgegenwärtig in dieser Geschichte, verpackt aber nicht in moralinsaures Geschwätz, sondern in Bilder, die jeder verstehen kann und die viel mit der eigenen Stimmung zu tun haben. Denn scheint nicht wirklich alles grau, wenn man traurig ist? Der Junge erlebt es am eigenen Leib – und auch die Eitelkeit der zahmen Tiger, die so interessant nun auch wieder nicht sind: „Sie wollten immer nur Geschichten über sich selber hören“, stellt er fest. Kaninchen dagegen gelten als gefährlich.

Was gibts noch an Themen? „Ein Junge darf keine Angst haben“, hat sein Vater immer zu ihm gesagt, und er hat auch keine. Sagt er jedenfalls zu Jan-Willem, der das komisch findet: „Ich hatte auch mal eine Zeit lang keine Angst, weißt du, was ich da alles gemacht habe? Ich bin nicht mal vor der Büffelherde ausgewichen, die haben mich komplett niedergetrampelt. Manchmal ist es hilfreich, ein bisschen Angst zu haben.“

Der Rest der Geschichte: Der alte Mann stirbt, seine Reisen waren tatsächlich erfunden. Er war ein bisschen verrückt, hat das Hochhaus sein Leben lang nicht verlassen – aber das macht dem Jungen jetzt nichts mehr aus: „Du hast Recht gehabt“, sagt er dem Sterbenden, der da-raufhin beruhigt die Augen schließt. Und auch wenn der Junge ja aus Pudidrien weiß, dass die Toten zu sprechenden Blüten werden, ist er doch ein bisschen traurig darüber, dass der alte Mann dann einfach weg ist... Petra Schellen

Daan Remmerts de Vries (Illustrationen: Stefanie Scharnberg): Jan-Willem, die wilden Tiere und ich. Hamburg 2001: Carlsen-Verlag, 125 Seiten, 19,90 Mark, ab 8 Jahren

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