■ Bonner Nebensachen aus aller Welt: Italiens Angst vor der Annexion der Toskana
So ganz können die Italiener das deutsche Fieber „Wird Schröder Kanzler, wird er's nicht?“ nicht verstehen. Leidgeprüft durch mehr als 50 Nachkriegsregierungen, haben sie die Überzeugung gewonnen, daß neue Köpfe in der Politik alsbald alte Köpfe werden. Und so fragt die Zeitung L'Espresso beispielsweise in der neuesten Ausgabe, was sich „denn konkret in Deutschland gegenüber Kohl ändern soll, wenn Schröder die Regierung übernimmt“ – Antwort: „Faktisch nichts.“ „Wir sind alle die Mitte, machen wir eine Große Koalition“, überschreibt das Magazin sein Interview mit dem Kandidaten.
Die moderate Linke natürlich, Democratici di Sinistra genannt, ist pflichtschuldigst für Schröder; von seinem Sieg erwartet man ein bißchen Aufpolierung des eigenen, nach zweieinhalb Jahren Regierung schon ramponierten Images Marke: Die Welt hat Vertrauen zu uns Sozis. Ansonsten aber fühlt sich Ministerpräsident Romano Prodi, ehemals Mitglied der Democrazia Cristiana, ideologisch näher etwa an Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf als an Schröder und seinen Vorzeige- Eierköpfen. Zudem ist er Kohl dankbar, daß dieser, nach langem Zögern, dann doch noch grünes Licht für den Zugang der Italiener zum Euro gegeben hat.
Ganz und gar merkwürdig finden die meisten Medien die in Deutschland so grundwichtige Debatte um den „Generationenwechsel“. Wer Leute wie Giulio Andreotti ausgehalten hat, der 1972 zum ersten Mal und 1992, mit 73, zum bisher letzten, achten Mal Regierungschef war, oder Amintore Fanfani, der mit 50 Jahren zum ersten und mit 80 zum letzten Mal Ministerpräsident wurde, kann nicht einsehen, warum Alter ein Nachteil für das Regieren sein soll. Im Gegenteil: Für zahlreiche Ämter hat die italienische Republik bis heute besonders hohe Altershindernisse gesetzt – Staatspräsident kann nur werden, wer das 50. Lebensjahr vollendet hat, in den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, darf nur gewählt werden, wer mindestens 40 Jahre alt ist.
Ein Aspekt allerdings bringt inzwischen doch ein wenig Farbe in die Beobachtung des deutschen Wahlkampfs. Schröder stehe, munkeln kundige Berichterstatter, einer merkwürdigen Gruppe nahe, die sich „Toskana- Fraktion“ nennt und den Großteil der sozialdemokratischen und grünen Intelligenzia umfassen soll. Derlei weckt – Italien ist das Land der Verschwörungen und Komplotte – einigen Argwohn: Was wollen diese Leute? Handelt es sich um eine Art „think-tank“ oder um eine linke Seilschaft oder gar um einen machtgierigen Geheimbund, eine hermetische Loge? Vergessen wir nicht, daß auch Italiens schlimmste Nachkriegs-Kungelbrüderschaft, die illegale Loge „Propaganda 2“, aus dem Herzen der Toskana kam, aus Arezzo. Zielt die Toskana- Fraktion Leute nur auf die zypressenbestandene Landschaft und die weltberühmten Dichter Dante und Petrarca – oder will sie vom Theoretiker des Machthungers, Niccolo Machiavelli, profitieren? Wollen sich ihre Mitglieder gar, einmal an der Macht, die mittelitalienische Region einverleiben?
„Auch wenn das Ganze nur eine Gemeinschaft italophiler Urlaubskumpel sein sollte“, meinte ein Anrufer in einer Radiosendung: „Wir sollten da sehr vorsichtig sein. Eine Überschwemmung mit arroganten Germanen, die einem künftigen Kanzler Schröder in die Toskana nachziehen, ist das letzte, was wir brauchen.“ Vor einigen Wochen habe er am Wolfgangsee Urlaub gemacht. Und da war gerade Kohl da... Fazit: „Besser für uns, die Dinge bleiben, wie sie sind, und der Urlaubsort des Kanzlers in Österreich.“ Werner Raith
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